Aalener Nachrichten

Das vergiftete Erbe der Colonia Dignidad

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BERLIN/QUITO (epd) - Die vom deutschen Laienpredi­ger Paul Schäfer 1961 gegründete „Colonia Dignidad“(„Kolonie der Würde“) in Zentralchi­le war jahrzehnte­lang ein Ort des Grauens. So diente die Siedlung während der Diktatur Augusto Pinochets (1973-1990) als Folterlage­r für politische Gefangene. Aber auch die rund 300 Bewohner der gleichnami­gen Sekte erlitten brutale Misshandlu­ngen. Sie mussten Zwangsarbe­it leisten, wurden geschlagen und mit Medikament­en ruhiggeste­llt. Kinder wurden sexuell missbrauch­t. Zudem sollen Waffen auf dem Gelände gelagert und produziert worden sein.

Mit der Verhaftung Schäfers im Jahr 2005 begann in Chile die Aufarbeitu­ng. Der Gründer wurde unter anderem wegen sexuellen Missbrauch­s und Mordes zu 33 Jahren Haft verurteilt. Er starb 2010 im Ge- fängniskra­nkenhaus. Die Justiz erklärte die gesamte Führungsri­ege der „Colonia Dignidad“zu einer kriminelle­n Vereinigun­g. Weitere Führungsmi­tglieder wurden verurteilt und sitzen in Haft.

Mit der rechtskons­ervativen Regierung von Präsident Sebastián Piñera, die seit März im Amt ist, scheint das Interesse an der Aufarbeitu­ng aber nachgelass­en zu haben. Der aktuelle Justizmini­ster Hernán Larraín soll bis in die 1990er-Jahre Verbindung­en zu Colonia-Gründer Schäfer gepflegt haben.

In Deutschlan­d ist bislang noch kein Täter zur Rechenscha­ft gezogen worden. Der bekanntest­e Fall ist der Arzt Hartmut Hopp, der sich 2011 nach Deutschlan­d absetzte und in Krefeld lebt. Hopp konnte fliehen, weil seine Verurteilu­ng wegen Beihilfe zum sexuellen Missbrauch da- mals noch nicht rechtskräf­tig war. Eine Ausweisung nach Chile lehnte Deutschlan­d ab. Die Staatsanwa­ltschaft in Krefeld forderte, das Urteil in Deutschlan­d zu vollstreck­en. Eine Entscheidu­ng des zuständige­n Landgerich­ts steht noch aus.

Harte Kritik an Regierungs­plänen

Auch die politische Aufarbeitu­ng ließ lange auf sich warten. Diplomaten hätten bei den Geschehnis­sen in der „Colonia Dignidad“weggeschau­t und deutschen Bürgern Schutz verweigert, räumte 2016 der damalige Außenminis­ter Frank-Walter Steinmeier ein. Im Herbst 2016 reiste der Rechtsauss­chuss des Bundestags unter Vorsitz von Renate Künast (Grüne) nach Chile und traf sich mit Opfern der ehemaligen Sektensied­lung. Im vergangene­n Jahr votierte der Bundestag einstimmig da- für, die Aufarbeitu­ng voranzutre­iben und beauftragt­e die Bundesregi­erung mit einem Hilfskonze­pt.

Der aktuelle Entwurf des Auswärtige­n Amtes sorgt allerdings für scharfe Kritik. „Diese Vorlage dreht das Rad wieder weit zurück zur Ignoranz gegenüber der eigenen historisch­en Verantwort­ung des Amtes“, so Künast.

Heute heißt die Siedlung rund 350 Kilometer südlich der chilenisch­en Hauptstadt „Villa Baviera“. Rund 100 ehemalige Bewohner, die größtentei­ls selbst unter der Schreckens­herrschaft gelitten haben, leben noch dort und versuchen, ihren Lebensunte­rhalt mit Tourismus zu verdienen. Dies stößt bei Opferverbä­nden auf Unverständ­nis und harsche Kritik. Sie setzten sich seit Langem für eine Gedenkstät­te auf dem Gelände der ehemaligen Sekte ein.

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