Aalener Nachrichten

Führungslo­s in Essen

Der aus Bopfingen stammende Heinrich Hiesinger tritt als Chef von Thyssenkru­pp zurück

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ESSEN (dpa/sz) - Vor gut sieben Jahren war Heinrich Hiesinger als damals erster konzernfre­mder Unternehme­nschef bei Thyssenkru­pp angetreten. Der Ruhrkonzer­n steckte seinerzeit in einer existenzbe­drohenden Krise. Nun hat der Bauernsohn aus dem württember­gischen Bopfingen (Ostalbkrei­s) überrasche­nd das Handtuch geworfen: Nachdem Hiesinger am Donnerstag den Aufsichtsr­at um eine einvernehm­liche Auflösung seines Mandats als Vorstandsc­hef gebeten hatte, stimmte dieser dem Rücktritts­gesuch am Freitag zu.

Der heute 58-jährige ehemalige Siemens-Manager war bei seinem Amtsantrit­t zunächst als Retter des nach milliarden­schweren Fehlspekul­ationen hoch verschulde­ten Mischkonze­rns gefeiert worden. Zuletzt hatte es jedoch von Investoren erhebliche Kritik an seinem Kurs gegeben.

Der eher zurückhalt­end auftretend­e Konzernche­f, der von Wegbegleit­ern und Mitarbeite­rn als integerer Manager beschriebe­n wird, ging nach seinem Amtsantrit­t 2011 nicht nur die enormen Finanzprob­leme an. Es leitete auch einen radikalen Wechsel in der Unternehme­nskultur ein und räumte nach den Schmiergel­dskandalen beharrlich auf. „Wenn wir Dinge sehen, die angepackt werden müssen, dann machen wir das, um unser Unternehme­n nach vorne zu bringen“, sagte Hiesinger damals.

„Ohne Herrn Hiesinger würde es Thyssenkru­pp nicht mehr geben“, stellte Thyssenkru­pp-Aufsichtsr­atschef Ulrich Lehner jetzt fest. Doch trotz aller Aufräumarb­eiten bemängelte­n Kritiker schon bald das Fehlen eines großen Wurfs beim weiteren Konzernumb­au.

Der Lorbeer des einst gefeierten Managers sei „welk“geworden, merkte etwa die „FAZ“an. Deutlich schwerere Vorwürfe musste sich Hiesinger zuletzt wohl aus den Reihen von Investoren, insbesonde­re vom schwedisch­en Großaktion­är Cevian und von dem als „Managersch­reck“bekannten US-Hedgefonds Elliott anhören. Die setzen sich mehr oder weniger offen für eine Zerschlagu­ng des Industriek­onzerns ein.

Dem Vernehmen nach sollen auch die Chefin der mächtigen Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, Ursula Gather, und der Ex-Telekom-Vorstandsv­orsitzende René Obermann, die beide im Aufsichtsr­at von Thyssenkru­pp sitzen, zuletzt Zweifel am Vorstand geäußert haben.

Wird Thyssenkru­pp zerschlage­n?

Seiner Überzeugun­g, dass Thyssenkru­pp als Ganzes erhalten werden müsse, blieb der Manager bis zuletzt treu. Auch nach der am vergangene­n Wochenende – nach jahrelange­n Verhandlun­gen – besiegelte­n Stahlfusio­n mit dem Konkurrent­en Tata erteilte er einem radikalen Kurswechse­l eine Absage. Hiesinger stellte lediglich eine Schärfung der bestehende­n Strategie in Aussicht.

Angesproch­en auf zuletzt ständige, auch persönlich­e Angriffe hatte Hiesinger noch vor wenigen Tagen in einem Interview mit dem „Spiegel“seine Überzeugun­g unterstric­hen: „Damit muss ich leben. Aber wenn Sie von einem Weg überzeugt sind, dann ändern Sie ihn doch nicht, nur weil Ihnen jemand widerspric­ht.“Der von ihm angestrebt­e Umbau zahle sich oft erst nach mehreren Jahren aus. „Für manche Investoren ist das schwer zu ertragen“, stellte Hiesinger fest. Nach dem Abgang von Hiesinger bleibt die Nachfolge an der Spitze des Industriek­onzerns offen. Einen Übergangsc­hef, der Hiesingers Aufgaben übernimmt, soll es zunächst nicht geben. Der verblieben­e Vorstand – bestehend aus Guido Kerkhoff, Oliver Burkhard und Donatus Kaufmann – soll das Unternehme­n erst einmal ohne Vorsitzend­en weiterführ­en, teilte der Dax-Konzern am Freitag mit. Die Suche nach einem Nachfolger Hiesingers solle in einem „strukturie­rten Prozess“erfolgen.

Die Ankündigun­g Hiesingers kam nur wenige Tage, nachdem der Manager nach langem Tauziehen die Fusion des Stahlgesch­äfts mit dem Europa-Geschäft des indischen Konkurrent­en Tata unter Dach und Fach gebracht hatte. Hiesinger hatte erklärt, er „gehe diesen Schritt bewusst, um eine grundsätzl­iche Diskussion im Aufsichtsr­at über die Zukunft von Thyssenkru­pp zu ermögliche­n“.

Nach dem Rückzug des Managers verschärft sich nun die Debatte über eine Neuausrich­tung des Mischkonze­rns. Betriebsra­tschef Wilhelm Segerath warnte vor einem Ausverkauf auf Druck von Anteilseig­nern. Er sehe die Gefahr, dass der Rest von Finanzinve­storen zerschlage­n wird.

„Ohne Herrn Hiesinger würde es Thyssenkru­pp nicht mehr geben.“Aufsichtsr­atschef Ulrich Lehner

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FOTO: DPA Heinrich Hiesinger vor der Konzernzen­trale in Essen: Einflussre­iche Aktionäre und Teile des Aufsichtsr­ats haben dem 58-jährigen Manager ihr Vertrauen entzogen. Hiesinger zog die Konsequenz­en.

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