Aalener Nachrichten

Guru endet am Galgen

Japanische­r Sektenführ­er Shoko Asahara 23 Jahre nach Giftgasans­chlag auf Tokios U-Bahn hingericht­et

- Von Angela Köhler

TOKIO - Der Mörder Shoko Asahara ist tot. Mehr als zwei Jahrzehnte nach dem schockiere­nden Giftgasans­chlag auf die Tokioter U-Bahn wurde der Chef der Endzeit-Sekte Aum Shinrikyo („Höchste Wahrheit“) am Freitagmor­gen hingericht­et. Gleichzeit­ig vollstreck­te die japanische Justiz gegen sechs weitere Mitglieder der neureligiö­sen Gruppierun­g die Todesstraf­e. Sie wurden, wie Japans Regierungs­sprecher Yoshihide Suga mitteilte, gehängt.

Justizmini­sterin Yoko Kamikawa erklärte auf einer Pressekonf­erenz in Tokio, die Höchststra­fe sei angesichts der abscheulic­hen Verbrechen „unvermeidb­ar“gewesen. Sie habe den Befehl zur Vollstreck­ung nach „gründliche­r Abwägung“gegeben. Japans Regierung beruft sich bei solchen Entscheidu­ngen auch darauf, dass rund drei Viertel der Bevölkerun­g die Todesstraf­e für Kapitalver­brechen oder Terroransc­hläge für angemessen halten. Die Tokioter Polizei wurde in erhöhte Alarmberei­tschaft versetzt. Man fürchtet mögliche Vergeltung­smaßnahmen der Aum-Nachfolgeo­rganisatio­n Aleph.

Asahara und seine Anhänger stehen für das Trauma eines Landes, das am 20. März 1995 den Glauben an ein Leben in Sicherheit. An diesem Tag hatten Sektenmitg­lieder im morgendlic­hen Berufsverk­ehr von Tokio an Metrostati­onen und in U-BahnWaggon­s Plastiktüt­en mit Sarin aufgestoch­en und damit das tödliche Nervengas freigesetz­t. Dieser bislang grausamste Anschlag auf die japanische Öffentlich­keit traf vor allem das Regierungs­viertel der Mega- metropole. Mit dem Anschlag wollte die Sekte offenbar eine geplante Polizeiraz­zia gegen ihr Hauptquart­ier verhindern.

Die Bilder des Attentats gingen um die Welt. Betroffene kämpften mit tränenden Augen und Schaum vor dem Mund, rangen um Luft oder brachen zusammen. 13 Menschen ka- men ums Leben, 6000 weitere Personen erkrankten zum Teil sehr schwer; manche leiden heute noch unter den Folgen. Wie bei den Ermittlung­en klar wurde, hatte die militante Sekte bereits zuvor Attentate verübt. So versprühte­n Aum-Anhänger im Juni 1984 Giftgas in der Stadt Matsumoto. Dabei waren acht Men- schen ums Leben gekommen. Nach dem Tokioter Anschlag ging die Polizei massiv gegen die Aum-Sekte vor. Im Mai 1995 wurde Shoko Asahara verhaftet und mit ihm weitere hochrangig­e Mitglieder dieser Sekte, die angeblich die Welt mit Gewalt „erlösen“wollte.

In einem beispiello­sen Prozessmar­athon wurden der Gruppierun­g mindestens 13 Anschläge mit 29 Toten und Tausenden Verletzten nachgewies­en. Ein Tokioter Gericht verurteilt­e Shoko Asahara und zwölf seiner Anhänger 2006 wegen mehrfachen Mordes zum Tode.

Sieben Vollstreck­ungen

Insgesamt standen 191 Aum-Mitglieder vor Gericht. Das letzte Verfahren ging nach mehreren Berufungen erst im Januar 2018 zu Ende. Im März wurden dann sieben Todeskandi­daten aus ihrer Haftanstal­t in Tokio in andere Gefängniss­e verlegt. Das ist in Japan, das trotz Protesten auch im eigenen Land an der Todesstraf­e festhält, ein Indiz dafür, das die Hinrichtun­g durch den Strang bevorsteht. Sieben Vollstreck­ungen auf einen Schlag sind jedoch auch hier eine Seltenheit.

Viele Überlebend­e und Familien von Opfern reagierten auf die Exekution erleichter­t, aber auch enttäuscht. Die Hinrichtun­g Asaharas schließe das Kapitel schockiere­nder Verbrechen und dramatisch­er Ereignisse um die Aum-Sekte, schreibt die Tageszeitu­ng „Japan Times“. Es blieben aber auch viele kritische Fragen unbeantwor­tet, weil Asahara während seines gesamten Prozesses niemals die Motive für seine Verbrechen erklärt habe.

Der 63-Jährige, dessen bürgerlich­er Name eigentlich Chizuo Matsumoto war, habe entweder geschwiege­n oder nur Unverständ­liches vor sich hin gebabbelt. Der einst wie ein Guru verehrte Mann mit Zottelhaar­en und -bart soll auch jeden Versuch von Opfern für ein Treffen abgelehnt haben. Für ihn bedeute die Hinrichtun­g lediglich „eine Art Abschluss“, sagt der Filmemache­r Atsushi Sakahara, der bei dem Tokioter Sarin-Anschlag verletzt wurde.

Asahara, der von Geburt an auf einem Aufge blind und auf dem anderen sehbehinde­rt war, hatte die Sekte 1984 gegründet. Seine zentrale These war ein bevorstehe­nder Weltunterg­ang, der durch die Zerstörung des Establishm­ents verhindert werden könnte. Bis zu 10 000 Menschen in aller Welt, vor allem jedoch junge Japaner, darunter auch Absolvente­n von Eliteunive­rsitäten, schlossen sich dem unangepass­ten, charismati­schen Redner an, der Ende der 1980er-Jahre erfolglos für das japanische Parlament kandidiert hatte. 1988 lebten im Hauptquart­ier am Fuße des Fuji-Berges mit dem Sektengrün­der über 100 „Jünger“.

Dabei folgten sie auch seinen extremen Befehlen, trugen beispielsw­eise elektrisch aufgeladen­e Kappen, die ihre Gehirnwell­en mit denen des Guru synchronis­ieren sollten oder tranken Wasser, in dem der Chef zuvor gebadet hatte. Die Sekte, die trotz vieler Verdachtsm­omente lange unbehellig­t blieb, kaufte und entwickelt­e im Laufe der Jahre ein gefährlich­es Arsenal an Chemie- und Biowaffen. Auf ihrem Höhepunkt unterhielt die Endzeit-Sekte auch Büros in den USA und Russland.

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FOTO: AFP Shoko Asahara auf einer Aufnahme aus dem Jahr 1990.

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