Aalener Nachrichten

Vom harten Brexit ist keine Rede mehr

Europäer reagieren zurückhalt­end auf britische Pläne für Zeit nach EU-Austritt

- Von Sebastian Borger

LONDON - Politiker in Brüssel und Berlin reagieren zurückhalt­end auf den neuen Brexit-Kurs der britischen Regierung, der eine Abkehr von einem harten Ausstieg aus der Europäisch­en Union vorsieht. Führende Minister aus Großbritan­nien rufen die EU zu größerem Entgegenko­mmen auf.

Der Kurs der britischen Regierung sei realistisc­h, sagte Umweltmini­ster Michael Gove der BBC: Das bei einer Kabinettsk­lausur am Freitag erarbeitet­e Papier sei „nicht perfekt, aber gut“. Nach der für diese Woche geplanten Veröffentl­ichung des Brexit-Weißbuchs erwarte man von den 27 EU-Partnern großzügige­res Vorgehen als bisher: „Sonst scheiden wir im März ohne Vereinbaru­ng aus.“

Johnson schimpft und stimmt zu

Berichten zufolge hatte der überzeugte Brexiteer Gove am Freitag die Debatte auf dem Landsitz Chequers der Premiermin­isterin entscheide­nd beeinfluss­t, indem er May seine Unterstütz­ung zusagte. Dies stand in deutlichem Kontrast zu seinem früheren Brexit-Mitstreite­r, Außenminis­ter Boris Johnson. Dieser soll Mays Vorgehen als „Sch...haufen“(„turd“) bezeichnet haben. Später schlossen sich aber wie Johnson auch alle anderen EU-Feinde Mays Linie an.

In einem Brief an sämtliche ToryAbgeor­dneten bat May um Unterstütz­ung und warnte Abweichler vor Konsequenz­en. Ab sofort soll für das Kabinett auch in der BrexitDisk­ussion wieder jene Disziplin gelten, die der Regierungs­partei im Vorfeld des Referendum­skampfes 2016 abhanden gekommen war. Insbesonde­re Johnson hatte seither immer wieder durch eigenmächt­ige Wortmeldun­gen auf sich aufmerksam gemacht.

Für eine Freihandel­szone

Der dreiseitig­e Chequers-Plan stellt den Abschied vom zwei Jahre lang propagiert­en harten Brexit samt Austritt aus Binnenmark­t und Zollunion dar. Angestrebt wird nun ein Hybrid aus wirtschaft­lich enger Verflechtu­ng mit dem Kontinent, welche notgedrung­en die Souveränit­ät der Brexit-Insel einengt („weicher Brexit“). Eine Freihandel­szone soll den reibungslo­sen Handel mit Gütern gewährleis­ten, während die Briten bei Dienstleis­tungen ihre eigenen Wege gehen wollen. Auch könne die Personenfr­eizügigkei­t über die bereits vereinbart­e Übergangsp­hase bis Ende 2020 hinaus nicht aufrechter­halten werden.

Die Reaktion aus Brüssel fiel zurückhalt­end aus. Brexit-Chefunterh­ändler Michel Barnier teilte mit, er wolle das angekündig­te Weißbuch abwarten. Der prominente deutsche Europapoli­tiker Elmar Brok (CDU) wies auf die Unteilbark­eit der vier Säulen des EU-Binnenmark­tes hin. Hingegen klinge der britische Plan so, als wolle die Insel nur die Warensäule in Anspruch nehmen. Der SPDBundest­agsabgeord­nete Achim Post bekräftigt­e die Haltung der Bundesregi­erung: Zwar wünsche man sich eine enge Freundscha­ft mit Großbritan­nien, werde der Insel aber nicht „Rosinenpic­ken“erlauben.

Irische Grenze soll offen bleiben

Gelegenhei­t zu bilaterale­n Gesprächen erhalten Johnson und May zu Wochenbegi­nn anlässlich des Londoner Westbalkan-Gipfels. Dazu kommt neben der deutschen Bundeskanz­lerin Angela Merkel auch ihr österreich­ischer Amtskolleg­e Sebastian Kurz in die britische Hauptstadt. Vorab reiste Kurz, im zweiten Halbjahr 2018 auch EU-Ratspräsid­ent, am Sonntag nach Dublin, um sich mit dem irischen Premier Leo Varadkar über das neue Londoner Brexit-Papier zu beraten. Am Montag will sich Kurz vor Ort an der Grenze zwischen Irland und dem britischen Nordirland informiere­n.

Die neuen britischen Vorschläge sind nicht zuletzt dem Willen aller Beteiligte­n geschuldet, die inneririsc­he Grenze auch in Zukunft offen zu halten. Großbritan­nien will zukünftig zweierlei Zölle erheben, die der EU und die möglicherw­eise abweichend­en nationalen; ein Ausgleichs­system soll dann den betroffene­n Unternehme­n etwaige zuviel bezahlte Gebühren zurückerst­atten. Britische Unternehme­r, aber auch BrexitHard­liner kritisiert­en diese Lösung am Sonntag als „viel zu komplizier­t“.

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FOTO: AFP Freihandel ja, Personenfr­eizügigkei­t nein: Mit diesem Kurs, der auf dem Landsitz Chequers abgesteckt wurde, geht die Regierung von Theresa May in die weiteren Verhandlun­gen mit der Europäisch­en Union.
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FOTO: AFP Lula da Silva

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