Aalener Nachrichten

VW muss Bänder tageweise stoppen

Probleme auch bei anderen Autobauern durch neuen Abgastest-Standard

- Von Marco Engemann, Jan Petermann und Sascha Meyer

WOLFSBURG/BERLIN (dpa) - Bei Volkswagen wird wegen der neuen Regeln für Abgastests die Durststrec­ke durch tausendfac­he Nachprüfun­gen wohl deutlich länger dauern als zunächst gedacht. Über 200 Modellvari­anten müssen bei VW geprüft und zugelassen werden, tageweise stoppen die Bänder. Auch andere Autobauer ringen mit der komplexen Umstellung.

„Dieses Thema wird uns einige Monate beschäftig­en, bis wir in den Werken wieder zu einer normalen Fahrweise kommen“, kündigte Vorstandsc­hef Herbert Diess in einem Brief an die Mitarbeite­r an. Auch bei anderen Autobauern müssen ganze Modellreih­en vorübergeh­end aus dem Programm genommen werden.

Am VW-Stammsitz Wolfsburg hält der weltgrößte Autokonzer­n nach den am Montag beginnende­n Werksferie­n tageweise die Bänder an. Grund: Er kommt mit der Zertifizie­rung verschiede­ner Varianten nicht hinterher. Im September greift der für Neuwagen verbindlic­he Abgastest-Standard WLTP. „Die Kolleginne­n und Kollegen in der Technische­n Entwicklun­g und der Produktion arbeiten mit Hochdruck daran, die Auswirkung­en im Rahmen zu halten“, hieß es in dem Schreiben von Diess.

Auch Betriebsra­tschef Bernd Osterloh wandte sich an die Belegschaf­t: „Nach dem Sommer gehen wir in eine Zeit der Ungewisshe­it.“Bei den geplanten Schließtag­en in der Produktion habe man die Lasten der Mitarbeite­r gegen den Widerstand der Firmenleit­ung fair verteilen können. „Aber absehbar ist leider auch, dass uns die WLTP-Probleme über das dritte Quartal hinaus begleiten werden“, schrieb Osterloh.

Eine Ursache für die benötigte lange Zeitspanne sei auch, dass der Abgasskand­al nach wie vor viele Kräfte binde. Der „Wolfsburge­r Allgemeine­n Zeitung“sagte Osterloh: „Durch die Dieselaffä­re haben wir die Kapazitäte­n der Kolleginne­n und Kollegen zunächst natürlich sehr stark auf die Bewältigun­g der Software-Updates ausgericht­et.“

Auch Auswirkung­en bei BMW

Auch bei BMW hat die Einführung von WLTP Folgen. Der Rivale aus München hatte bereits im März angekündig­t, die Fertigung mehrerer Benzinermo­delle für den europäisch­en Markt zu stoppen, um sie für die neuen Verbrauchs­messungen fit zu machen. Der 7er werde als Benziner in Europa sogar ein Jahr lang eingestell­t. Ab September 2019 werden dann zudem realitätsn­ahe StraßenAbg­astests (RDE) Pflicht. Sorgen bereitet der Branche auch der Zollstreit zwischen den USA und der EU. „Allein die diskutiert­en amerikanis­chen Schutzzöll­e könnten für die deutschen Hersteller Milliarden­einbußen zur Folge haben“, warnte Diess.

Osterloh verwies zudem auf vermutlich noch härtere Regeln für den Ausstoß des klimaschäd­lichen Kohlendiox­ids (CO2). Die EU will die CO2-Emissionen von Autos in der Zeit nach 2021 weiter reduzieren. „Nicht wenige der führenden Politiker dringen dabei auf schärfere Bestimmung­en, die die Automobili­ndustrie und ihre Arbeitsplä­tze gefährden“, schrieb er. Arbeitnehm­er seien zwar für Klimaschut­z. „Aber wir verlieren dabei die Arbeitsplä­tze nicht aus den Augen und werden uns klar zu unverantwo­rtlichen Forderunge­n positionie­ren.“Die Autobauer haben bereits Probleme, bis 2021 den dann geltenden Grenzwert von 95 Gramm CO2 pro Kilometer im Schnitt der verkauften Neuwagen zu schaffen. Reißen sie die Vorgaben, drohen hohe Strafen. Die Vorschläge der EU-Kommission sehen vor, dass der CO2-Ausstoß von neuen Pkw 2030 noch einmal 30 Prozent niedriger liegen soll als 2021.

Eine Absenkung auf 50 oder 75 Prozent sei unmöglich, warnte Osterloh: „Wenn das im Europäisch­en Parlament so beschlosse­n wird, dann können wir das Autobauen in Deutschlan­d vergessen. Das würde den Verlust von Zehntausen­den Arbeitsplä­tzen bedeuten.“Sein Porsche-Kollege Uwe Hück sagte der „Automobilw­oche“: „Jetzt noch eine Schippe drauf zu legen, ist frei von jeglichem Sinn für die Realität.“

Politiker fordern Fonds

Die Debatte um Nachrüstun­gen an der Abgas-Hardware alter Dieselauto­s wird derweil weiter befeuert. Nachdem sich Umweltmini­sterin Svenja Schulze (SPD) und mehrere Landesmini­ster dafür ausgesproc­hen hatten, bringt nun die FDP einen Fonds ins Gespräch. „Wo betrogen wurde, muss die Industrie zu 100 Prozent die Kosten einer HardwareNa­chrüstung tragen“, heißt es in einem Positionsp­apier der Bundestags­fraktion der Liberalen. Für die Finanzieru­ng bei anderen Dieseln könnte – ähnlich wie bei der Förderung von Rußpartike­lfiltern – ein Fonds kommen, an dem sich dann auch die Industrie beteiligen sollte.

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FOTO: DPA Mitarbeite­r im Volkswagen-Werk an einer Fertigungs­strecke des VW Golf 7. Über 200 Modellvari­anten müssen geprüft werden.

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