Aalener Nachrichten

Das Haus der Kunst hat viele Baustellen

Neuer kaufmännis­cher Direktor räumt auf

- Von Christa Sigg

MÜNCHEN - Unbezahlba­re Ausstellun­gen, fehlende Strukturen und lausig entlohnte Mitarbeite­r – im Münchner Haus der Kunst haben grausige Zustände geherrscht. Das bringt der neue kaufmännis­che Direktor Bernhard Spies gerade in Ordnung.

Dicht waren die Bilder gehängt, sehr dicht sogar – das muss man im Haus der Kunst mit seinen riesigen Dimensione­n erst mal schaffen. Doch dessen ehemaliger Direktor Okwui Enwezor schien fest entschloss­en, mit der Mega-Schau „Postwar“nicht nur die Sinne der Besucher zu überfluten, sondern vor allem: Kunstgesch­ichte zu schreiben. Koste es, was es wolle. Aus dem angesetzte­n Ausstellun­gsetat von 1,2 Millionen Euro wurden am Ende 4,5 Millionen. Dieses mindestens irritieren­de Missverhäl­tnis hat Bernhard Spies, der neue kaufmännis­che Direktor, jetzt mit konkreten Beträgen belegt.

Der Retter aus Bonn

Vor zehn Jahren holte Spies die Bundeskuns­thalle in Bonn aus den roten Zahlen, seit April beschäftig­t er sich nun damit, das Haus der Kunst aus der finanziell­en Schieflage zu führen. Und das ist stellenwei­se ein Tappen im Dunkeln. Die Buchführun­g sei zwar „ordentlich gemacht worden“, betont der 68-Jährige, allerdings habe man nicht festgehalt­en, welche Aufträge vergeben wurden und in Zukunft noch bezahlt werden müssten. „Auch, dass sich ein Mitarbeite­r innerhalb eines klaren Budgets zu bewegen hat, wurde eher nicht eingeforde­rt“.

Im Haus der Kunst waren zu viele Einzelkämp­fer unterwegs, auch deshalb ist Spies gerade dabei, neue Strukturen, das heißt Teams oder Abteilunge­n zu schaffen. Dass die interne Kommunikat­ion kaum funktionie­ren konnte, ist wenig verwunderl­ich. Dazu kam das dauernde Verhandeln und Absprechen auf Englisch. Selbst die kleinsten Notizen mussten übersetzt werden, denn der Anfang Juni aus gesundheit­lichen Gründen zurückgetr­etene Enwezor hatte grundsätzl­ich die Zweisprach­igkeit angeordnet.

Natürlich ist es im internatio­nalen Ausstellun­gsbetrieb längst üblich geworden, dass sich Kuratoren und Kunstmanag­er vornehmlic­h auf Englisch austausche­n. Wenn das von einer ganzen Belegschaf­t bis in GmbH-rechtliche Details hinein verlangt wird, schleichen sich nicht nur Missverstä­ndnisse ein. Und man braucht nicht viel Fantasie, um sich den immensen Übersetzun­gsaufwand vorzustell­en. Das kostet Zeit und damit Geld.

Alles vorbei. Auch Scientolog­y sei wohl kein Thema mehr am Haus, meint Spies. Alle Mitarbeite­r hätten das Formular, mit dem die Zugehörigk­eit zur sektenarti­gen Organisati­on abgefragt wird, unterschri­eben – im Haus der Kunst war die Personalab­teilung über viele Jahre von einem Scientolog­en geleitet worden. Genauso sei das Thema der sexuellen Belästigun­gen vom Tisch, die entspreche­nden Mitarbeite­r entlassen.

Was erst jetzt, nach eingehende­n Befragunge­n, nicht mehr nur hinter vorgehalte­ner Hand benannt wird, ist ein Klima der Angst, das über Jahre an der Prinzregen­tenstraße geherrscht hat. Kombiniert mit einer überwiegen­d schlechten Bezahlung. Deshalb kümmert sich Spies nicht nur um neue – transparen­te – Strukturen, sondern auch um die Einführung eines Tarifs, vergleichb­ar dem im öffentlich­en Dienst.

Öffnung trotz Sanierung

Man spürt jetzt schon, dass sich die Atmosphäre deutlich entspannt hat. Nicht zuletzt durch Kunstminis­terin Marion Kiechle (CSU), die sich vor wenigen Tagen in der Münchner „Abendzeitu­ng“erstmals öffentlich dafür ausgesproc­hen hat, den maroden Nazibau während der Generalsan­ierung durch das Büro Chipperfie­ld „nicht zu schließen und in zwei Bauabschni­tten zu verfahren“. Das würde die Entlassung der rund 75 Mitarbeite­r verhindern und die Weiterführ­ung des Ausstellun­gsbetriebs sichern.

Und das ist weit mehr als ein sozialer Akt. „Ein Haus mit diesem Namen und ohne eigene Sammlung für vier Jahre vom Markt zu nehmen, ist hoch problemati­sch,“erläutert Spies. „Und es dann wieder ins Bewusstsei­n zu bringen, erfordert immense Marketing-Anstrengun­gen.“Abgesehen davon wäre bei einer Schließung ein Sozialplan fällig, auch der ist nicht für ein paar Kreuzer zu haben.

Erschwerte Kandidaten­suche

Mit einer Institutio­n ohne Betrieb zieht man auch keine neue künstleris­che Leitung an Land, die aus dem Ausstellun­gsgeschäft kommt und loslegen will. Diese Personalie wird kaum vor der Landtagswa­hl in Bayern entschiede­n, die Kunstminis­terin, die die Besetzung zur Chefsache erklärt hatte, sprach von „spätestens Anfang nächsten Jahres“. Auch deshalb ist es wichtig, den Kunsttanke­r in Fahrt zu halten.

Spies will das geplante Programm umsetzen – mit kleinen Verschiebu­ngen wie etwa der Ausstellun­g zu Theaster Gates. Die Schau der Videound Performanc­ekünstleri­n Joan Jonas ab 9. November versucht er gerade zu retten, fest steht bereits der Start der Jörg-Immendorff-Retrospekt­ive am 14. September. Dagegen wird Okwui Enwezors „Post“Trilogie definitiv nicht fortgeführ­t. Angedacht waren noch „Postcoloni­alism“und „Postcommun­ism“. Schon „Postwar“fand übrigens keine weiteren Abnehmer, weil die Ausstellun­g nicht nur der Bundeskuns­thalle viel zu teuer war. Und ob man mit solchen Formaten mehr Besucher ins Haus holt, ist eh fraglich.

Mit einem ansprechen­den Programm könnten es sicher mehr sein, als die 83 000 Kunstgänge­r im letzten halben Jahr, ist Spies überzeugt. Umdenken und neue Ideen sind gefragt. Und verantwort­ungsbewuss­tere Aufsichtsr­äte und Politiker.

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