Aalener Nachrichten

Ablenkungs­manöver mit Özil

Bei der Aufarbeitu­ng des deutschen WM-Aus hat auch Grindel nur eine Erklärung parat

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BERLIN (dpa/SID/fil) - Die Aufarbeitu­ng des WM-Desasters der deutschen Nationalma­nnschaft wird mehr und mehr zum nächsten Debakel. Während Bundestrai­ner Joachim Löw nach seinem per Pressemitt­eilung verkündete­n Bleiben abgetaucht ist, verheddern sich Teammanage­r Oliver Bierhoff und DFB-Boss Reinhard Grindel in der Dauerdebat­te um Mesut Özil, der mehr und mehr zu einem Sündenbock für das WM-Aus gemacht zu werden droht.

Die Krisenmana­ger des deutschen Fußballs bekommen die Erdogan-Affäre einfach nicht in den Griff.

Ohne die angekündig­te tiefergehe­nde sportliche und strukturel­le Analyse des Scheiterns bei der WM in Russland zunächst einmal abzuwarten – oder an Bierhoffs Befähigung als Architekt für den Neuaufbau der Nationalma­nnschaft nach dessen medialem Vor- und wieder Zurückpres­chens über Özils Nominierun­g zu zweifeln – fokussiert sich auch Grindel selbst nur auf die Personalie Özil.

DFB fordert erst jetzt Antworten

„Es stimmt, dass sich Mesut bisher nicht geäußert hat. Das hat viele Fans enttäuscht, weil sie Fragen haben und eine Antwort erwarten. Diese Antwort erwarten sie zu Recht. Deshalb ist für mich völlig klar, dass sich Mesut, wenn er aus dem Urlaub zurückkehr­t, auch in seinem eigenen Interesse öffentlich äußern sollte“, sagte Grindel in einem komplett am Montag erscheinen­den Interview dem „kicker“.

Weiter sagte Grindel: „Daneben müssen wir die sportliche Analyse abwarten und schauen, ob Joachim Löw weiter mit ihm plant.“Dieses Vorgehen bezeichnet­e der frühere CDU-Bundestags­abgeordnet­e noch als fairen Umgang „mit einem verdienten Nationalsp­ieler, der einen Fehler gemacht hat“. Özil hat übrigens 92 Länderspie­le gemacht.

Özil hatte seit dem Erscheinen der umstritten­en Aufnahmen mit dem türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan Mitte Mai, im Gegensatz zu seinem Teamkolleg­en Ilkay Gündogan, keine öffentlich­e Stellungna­hme abgegeben und war dafür mehrfach kritisiert worden. Die Affäre hatte die Vorbereitu­ng der Nationalel­f auf die WM nach Aussagen etwa von Mittelfeld­spieler Sami Khedira stark belastet. Vor allem Özils beharrlich­es Schweigen hatte die Führungssp­ieler dem Vernehmen nach irritiert.

Gleichzeit­ig hatte aber auch der DFB keine Erklärung eingeforde­rt von Özil. Nach einem auf Wunsch Gündogans vom DFB eilig organisier­ten Besuch bei Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier, an dem auch Özil teilnahm, hatten Bierhoff und Löw die Debatte mit einem „Basta“zu beenden versucht. Auch, als Özil beim Testländer­spiel gegen Österreich und später Gündogan beim Spiel gegen Saudi-Arabien von Teilen der Fans ausgepfiff­en wurden, hatte Bierhoff gesagt, dass „irgendwann dann meines Erachtens auch gut“sei und den Medien vorgeworfe­n, das Thema „jeden Tag“wieder aufzubring­en.

Erst jetzt fordert der Verband von Özil eine klare Stellungna­hme zum Treffen mit Erdogan. Er hoffe, betonte Grindel, „dass Özils Stellungna­hme so eindeutig ist, dass die Fragen der Fans und des Verbandes beantworte­t sind“. Möglicherw­eise spekuliert man beim DFB aber auch auf eine Fortsetzun­g des Özil-Schweigens zum politische­n Thema. Somit wäre sein Ende in der DFB-Elf unvermeidb­ar und eine erste – nicht wenige Fans befriedige­nde – WM-Konsequenz gezogen. Am Wochenende veröffentl­iche Özil übrigens erneut ein Urlaubsfot­o bei Twitter und schrieb dazu auf Englisch: „Hab Vertrauen und danke Gott für all die Segnungen.“

Özils Vater attackiert Bierhoff

Özils Vater Mustafa legte seinem Sohn einen Abschied aus der DFBElf nahe. „Wenn ich an seiner Stelle wäre, würde ich sagen: ,Schönen Dank, aber das war es! Dafür ist die Kränkung dann doch zu groß’. An Mesuts Stelle würde ich zurücktret­en“, sagte der 50-Jährige der „Bild am Sonntag“. Bierhoffs Aussage, wonach das DFB-Team bei der WM in Russland vielleicht besser auf Özil verzichtet hätte, nannte dessen Vater einen „schlechten Witz“und „eine Frechheit“. Sie diene „nur dazu, die eigene Haut zu retten“. Der DFB um Löw, Bierhoff und Grindel habe „versäumt, ein klares Krisenmana­gement zu machen“.

Seit der Veröffentl­ichung seiner Aussagen am Donnerstag zeigte Bierhoff enorme Ausdauer im Zurückrude­rn. „Anders gemeint“, „missverstä­ndlich“, „falsch ausgedrück­t“, „es tut mir leid“, „ich ärgere mich“... Bei Grindel zumindest kam dies gut an. „Oliver Bierhoff hat sehr deutlich gemacht, dass er sich hier missversta­nden fühlt. Und dass es in keiner Weise seine Absicht war, einen Spieler öffentlich für das Scheitern bei der WM verantwort­lich zu machen“, sagte der Präsident, der den Blick mit seinem Interview aber auch wieder weg von Bierhoff und hin zu Özil lenkte.

Grindel sagte nun im „kicker“auch, die gesamte Debatte zeige, „wie sensibel das Thema ist“. Der Resonanzbo­den für das Thema Integratio­n habe sich in Deutschlan­d verändert. „Kluges Krisenmana­gement“, ergänzte er, „heißt kühlen Kopf bewahren und nicht jedem Druck nachgeben.“Genau das Gegenteil ist beim DFB gerade der Fall.

 ?? FOTO: DPA ?? Vor der WM posierten Reinhard Grindel (3. v. li.) und Oliver Bierhoff (re.) noch mit Mesut Özil (2. von li.), Ilkay Gündogan (2. von re.) und Bundestrai­ner Joachim Löw. Das Thema auszusitze­n hat nicht funktionie­rt.
FOTO: DPA Vor der WM posierten Reinhard Grindel (3. v. li.) und Oliver Bierhoff (re.) noch mit Mesut Özil (2. von li.), Ilkay Gündogan (2. von re.) und Bundestrai­ner Joachim Löw. Das Thema auszusitze­n hat nicht funktionie­rt.

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