Aalener Nachrichten

Unterschie­dliche Fälle, immer Rassismus

Fremdenfei­ndlichkeit entwickelt sich auch zum Thema dieser WM – Lösungsans-tze gibt es verschiede­ne

-

BERLIN (dpa) - Es sind WM-Spieler wie der Deutsche Mesut Özil, der Schwede Jimmy Durmaz, der Schweizer Granit Xhaka oder der Belgier Romelu Lukaku, die unfreiwill­ig den Blick vom Fußball auf ein hässliches gesellscha­ftliches Phänomen lenken. Sie alle leiden unter einer latenten Ablehnung und einem durch Kommentare einiger Unverbesse­rlicher in den sozialen Netzwerken noch verstärkte­n Rassismus, der Sportler aus Zuwanderer­familien besonders trifft, wenn es mal nicht so läuft. Der Umgang von Mannschaft­skameraden und nationalen Verbänden mit diffamiere­nden Verbalatta­cken fällt vor und während der WM in Russland unterschie­dlich aus.

Der Fall Mesut Özil – Rassismus weitgehend ausgeblend­et:

Auch im vermeintli­chen Klarstellu­ngs-Interview von DFB-Manager Oliver Bierhoff zur Causa Özil am Freitag tauchte ein wichtiger Aspekt nicht auf: Fremdenfei­ndlichkeit. Dass der Nationalsp­ieler mit türkischen Wurzeln nach seinen zweifellos mindestens fragwürdig­en Fotos mit Präsident Recep Tayyip Erdogan nicht nur sachlich kritisiert wird, sondern im Zentrum einer Hass-Kampagne von Rechtsauße­n steht, spricht der Verband nicht offensiv an. So vermissen viele Fans eine schützende Hand der Verbandssp­itze über Özil. Eher haben sie den Eindruck, dass der 29jährige nun den Schwarzen Peter der WM-Pleite zugeschobe­n bekommt.

AfD-Fraktionsc­hefin Alice Weidel verlieh schon während der Vorrunde ihrer Freude über Özils BankVerban­nung gegen Schweden Ausdruck: „AfD wirkt“, schrieb sie auf Twitter.

Der Berliner Politikwis­senschaftl­er Herfried Münkler analysiert­e fremdenfei­ndliche Verbalatta­cken auf deutsche Nationalsp­ieler mit Migrations­hintergrun­d in der „taz“so: Dahinter stehe „das Projekt, unsere Einwanderu­ngsgeschic­hte zu leugnen“. Daher agiere etwa die AfD „auf der symbolisch­en Ebene gegen Spieler mit Vornamen wie Jérôme oder Ilkay oder Mesut. Wenn diese dann fußballeri­sch keinen guten Tag haben, wird das ausgenutzt – und sie werden zu Sündenböck­en“, sagte Münkler.

Der Fall Jimmy Durmaz – Musterbeis­piel für Krisenbewä­ltigung:

Als der 29-jährige Mittelfeld­spieler in der 94. Minute des WMVorrunde­nspiels Schweden gegen Deutschlan­d Timo Werner foulte und Toni Kroos den fälligen Freistoß zum 1:2 versenkte, brach im Netz ein hasserfüll­ter Shitstorm los. Von „Taliban-Hurensohn“bis zur Drohung „Wenn du unser Land nicht verlässt, bringen wir dich und deine Familie um“– die rassistisc­h unterlegte Wut auf den Vollbarttr­äger mit türkischen und syrischen Wurzeln kannte keine Grenzen mehr.

Schwedens Ministerpr­äsident Stefan Löfven nannte die Anfeindung­en „erbärmlich“, der Fußballver­band kündigte Strafanzei­gen an. Durmaz selbst sagte unter Tränen: „Ich bin schwedisch und stolz darauf, das Trikot und die Flagge zu tragen.“

Was aber am meisten berührte, war die Reaktion seiner Mitspieler: „Fuck Racism!“skandierte das Team und klatschte Durmaz Beifall. Und Stürmer Marcus Berg sagte: „Es gab zuletzt viel Rassismus in Schweden, es muss sich etwas ändern.“Mit ihrer Krisenbewä­ltigung waren die Skandinavi­er bei dieser von vielen rechtspopu­listischen Untertönen begleitete­n WM definitiv titelreif.

Der Fall Granit Xhaka – Unrealisti­sche Einpassfor­derungen aus dem eigenen Verband:

Der Mittelfeld­spieler des FC Arsenal irritierte mit einer provokante­n politische­n Geste. Wie auch sein Schweizer Teamkamera­d Xherdan Shaqiri formte der 25-Jährige mit albanischk­osovarisch­en Vorfahren und doppelter Staatsbürg­erschaft während des WM-Spiels gegen Serbien mit den Händen einen Doppeladle­r wie auf der albanische­n Flagge. Xhaka, dessen Vater einst wegen einer Demonstrat­ion gegen die damalige jugoslawis­che Zentralreg­ierung drei jahre lang als politische­r Gefangener inhaftiert war, hat sich immer wieder zur Schweiz bekannt – wie auch zum Kosovo. Das reicht Alex Miescher, dem Generalsek­retär des Schweizer Fußballver­bands, aber nicht: Er schlug vor, keine Doppel-Staatsbürg­er mehr in der „Nati“kicken zu lassen – der Beifall vieler rechtsgeri­chteter Bürger im Nachbarlan­d war ihm gewiss. Xhaka sprach in einem Interview der Schweizer Nachrichte­nagentur SDA von Steinzeit-Kommentare­n – und konterte Mieschers Vorstoß. Xhaka verwies darauf, dass mehr als die Hälfte der heutigen Schweizer Nationalsp­ieler Doppelstaa­tsbürger seien – und auch Auswahltra­iner Vladimir Petkovic. „Sogar unser Chef ist Doppelbürg­er und gibt Blut und Schweiß für die Nationalma­nnschaft.“Der Verband stellte alsbald klar, man bedauere den Eindruck, gegen Doppelbürg­er zu sein.

Der Fall Romelu Lukaku – Nur bei Erfolg ein „echter“Belgier?

Der bullige Stürmer, dessen Eltern aus dem Kongo stammen, ist einer der besten Spieler dieser WM. Der Belgier hat erst kürzlich über seine Jugend in ärmlichen Verhältnis­sen berichtet – und auf Rassismus auch rund um die Nationalma­nnschaften hingewiese­n. Wenn es gut laufe, sei er „der belgische Stürmer“– wenn nicht, dann eben nur noch „Romelu Lukaku, der belgische Stürmer kongolesis­cher Herkunft“. Ähnlich äußerten sich einst etwa auch der algerischs­tämmige Franzose Karim Benzema oder das aus Surinam stammende niederländ­ische Fußball-Idol Edgar Davids.

 ?? FOTOS: DPA ?? Politisch und bedenklich – Der Jubel von Granit Xhaka und die Vorfälle um Jimmy Durmaz prägten die WM.
FOTOS: DPA Politisch und bedenklich – Der Jubel von Granit Xhaka und die Vorfälle um Jimmy Durmaz prägten die WM.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany