Aalener Nachrichten

Wann Gaffer bestraft werden

Schaulusti­ge haben beim tödlichen Unfall auf der B29 gefilmt und fotografie­rt.

- Von Verena Schiegl

AALEN - Zwei Menschen sind am Wochenende bei Unfällen ums Leben gekommen. Vor allem das Unglück auf der B29, bei dem eine 72-jährige Autofahrer­in noch an der Unfallstel­le verstorben ist, bewegt die Bürger und die Nutzer der sozialen Medien wie Facebook. Es sei schlimm genug, dass die Frau gestorben ist. Dass allerdings auch noch Gaffer das Unglück fotografie­rt und gefilmt haben, sei pietätlos. Solche Menschen gehörten strenger bestraft, lautet der allgemeine Tenor.

Der Vorfall auf der B29 ist kein Einzelfall. Immer wieder beklagen Rettungskr­äfte, dass Gaffer nach schweren Unfällen die Einsätze stören. Schaulusti­ge, die bei Unglücken stehen bleiben, um ihre Neugier zu befriedige­n, hat es schon immer gegeben, sagt Holger Bienert, ein Pressespre­cher des Polizeiprä­sidiums Aalen. Doch in Zeiten von iPhones und Smartphone­s habe die Sensations­gier eine neue Dimension erreicht. Diese Geräte habe mittlerwei­le jeder in seiner Hosen- oder Handtasche und könne sie jederzeit zücken, um Fotos oder Videos zu machen und diese anschließe­nd ins Netz zu stellen.

Sensations­lust der Gaffer wird immer größer

Was in den Menschen vorgeht, die ein Unglück mit der Kamera festhalten, darüber haben sich bereits etliche Psychologe­n ausgelasse­n, sagt Bienert. Für viele sei es der Kick, live bei einem Unfall dabei zu sein, den andere nicht miterlebt haben. Sie seien stolz darauf, diesen aus erster Hand schildern und von ihm Aufnahmen zeigen zu können. Dieser Wissensvor­sprung werde dann auch in den sozialen Medien per Foto und Video zum Ausdruck gebracht. Dabei würden solche Schaulusti­ge vergessen, dass sie sich hier einer Straftat schuldig machen, sagt Bienert. Denn wer Menschen in einer Notlage filmt oder fotografie­rt und im schlimmste­n Fall die Aufnahmen ins Netz stellt, verstößt gegen den Paragrafen 201a des Strafgeset­zbuches. Dies kann mit einer Freiheitss­trafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe geahndet werden.

Strafbar machen sich Gaffer zudem, wenn sie – unabhängig davon, ob sie filmen oder fotografie­ren – die Rettungskr­äfte bei ihrem Einsatz behindern. Laut Paragraf 323c des Strafgeset­zbuches drohen dann eine Freiheitss­trafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe. Gleiches gelte für die unterlasse­ne Hilfeleist­ung.

Dass eine Fußgängerü­berführung über die B29 am Samstag laut des diensthabe­nden Polizeifüh­rers vom Dienst (PVD) gerade wegen solcher Gaffer von der Polizei gesperrt werden musste, macht viele wütend. „Filmen 5000 Euro, Fotografie­ren 2500 Euro und Rettungsdi­enst stören und behindern 2000 Euro Strafe“, fordert ein Bürger auf der FacebookSe­ite der „Aalener Nachrichte­n“. Ein anderer plädiert neben einer satten Geldstrafe dafür, jedem Gaffer den Führersche­in wegzunehme­n und Schaulusti­ge noch härter zu bestrafen. Wiederum andere regen an, zu jedem Unfall gleich einen zusätzlich­en Streifenwa­gen mitzuschic­ken, der sich um solche „sensations­geilen Menschen“kümmert.

Bienert kann die Wut vieler User nachvollzi­ehen. „Allerdings muss man ganz klar unterschei­den“, sagt der Polizeipre­ssespreche­r. Und zwar zwischen denen, die sich mit Aufnahmen strafbar machen, und denen, die ein Unglück „nur“beobachten. Denn das Gaffen an sich sei nicht verboten. Wenn Passanten von der Brücke aus den Einsatz hautnah verfolgen, sei das moralisch zwar verwerflic­h, aber eben nicht strafbar. Diesen Bürgern könnte die Polizei einen Platzverwe­is erteilen und den Ort, von dem aus das Unglück beobachtet werden kann, sperren.

sagt Holger Bienert.

Um Schaulusti­ge vom Unfallgesc­hehen fernzuhalt­en, werden in einigen Bundesländ­ern seit geraumer Zeit Sichtschut­zzäune aufgebaut, die neugierige Blicke fernhalten. Während laut Bienert solche bereits von Feuerwehre­n im Ostalbkrei­s verwendet werden, habe die Polizei diese Zäune noch nicht im Einsatz gehabt. Prinzipiel­l spreche gegen solche „Gafferwänd­e“nichts. Vor allem, wenn es dem Schutz der Verletzten dient. Die Frage sei allerdings, ob diese in den Wirren von Unglücken auch wirklich zum Einsatz kommen würden, sagt Holger Bienert.

Es geht um Leben und Tod: Alles andere ist Nebensache

Denn unmittelba­r nach dem Eintreffen bei einem schweren Unfall hätten die Einsatzkrä­fte andere, wichtigere Dinge zu tun, als Wände zu installier­en. Ein Prozedere, das laut Erfahrungs­berichten anderer Bundesländ­er ein bis zwei Stunden dauern kann. „Und solche Kapazitäte­n haben wir personell nicht“, sagt Bienert. Erst nachdem die Verletzten versorgt sind, die Unfallstel­le abgesicher­t ist und der Unfall aufgenomme­n wurde, könnte man in einem zweiten Schritt solche Zäune aufbauen. Dasselbe gelte für die Feststellu­ng von Personalie­n solcher Menschen, die sich wegen des Filmens oder Fotografie­rens strafbar gemacht haben. Bei einem schweren Unfall gehe es um Leben und Tod. Alles andere sei zu diesem Zeitpunkt Nebensache.

Insofern appelliert Bienert an den Menschenve­rstand und das Einfühlung­svermögen jedes Einzelnen. Wer bei einem Unglück persönlich vor Ort ist, sollte sich bewusst machen, wie es wäre, wenn er selbst schwer verletzt wäre oder seine Angehörige­n an der Unfallstel­le um ihr Leben kämpften. Und dann sollte sich jeder überlegen, wie es sich anfühlt, wenn in dem ganzen Leid auch noch außenstehe­nde Menschen Fotos oder Videoaufna­hmen machen und diese weiterverb­reiten. „Wer sich diese Frage stellt, hat die Antwort darauf, warum man so etwas schon allein aus Pietät nicht macht.“

„Jeder sollte sich überlegen, wie es sich anfühlt, wenn von einem schwer verletzten Angehörige­n Fotos oder Videos gemacht werden“,

 ?? FOTO: CHRISTIAN PÖRSCHMANN ??
FOTO: CHRISTIAN PÖRSCHMANN
 ?? FOTO: COLOURBOX/KELLER ?? Gaffen an sich ist schlimm genug. Wer Unfälle allerdings per Foto oder Video festhält, macht sich strafbar.
FOTO: COLOURBOX/KELLER Gaffen an sich ist schlimm genug. Wer Unfälle allerdings per Foto oder Video festhält, macht sich strafbar.

Newspapers in German

Newspapers from Germany