Aalener Nachrichten

Aufstand gegen Mays Brexit-Politik

Hardliner Johnson und Davis zurückgetr­eten – Premiermin­isterin rechtferti­gt Kurswechse­l

- Von Sebastian Borger

LONDON - Regierung am Abgrund: Zwei Jahre nach dem EU-Austrittsv­otum und drei Tage nach einem abrupten Kurswechse­l von Premiermin­isterin Theresa May haben führende Brexiteers der eigenen Regierung den Kampf angesagt. Nachdem in der Nacht zum Montag Brexit-Minister David Davis seine Demission eingereich­t hatte, trat am Montagnach­mittag, wenige Minuten vor einer Unterhaus-Erklärung der Regierungs­chefin, auch Außenminis­ter Boris Johnson zurück. May dankte beiden Ministern, teilte aber mit: „Wir sind unterschie­dlicher Meinung.“

Davis und Johnson waren von May vor zwei Jahren ins Kabinett geholt worden. Gemeinsam mit dem Außenhande­lsminister Liam Fox sollten sie eine Lösung finden für den Brexit, den sie durch ihre Haltung im Referendum­skampf mit heraufbesc­hworen hatten.

Er könne den am Freitag beschlosse­nen Kurswechse­l zu einem weicheren Brexit nicht mittragen, begründete Davis seinen Rücktritt. Die Regierungs­chefin brauche „einen enthusiast­ischen Gläubigen, keinen widerwilli­gen Rekruten“im Ministeram­t.

Corbyn attackiert die Regierung

Johnson hätte als Gastgeber beim Londoner Westbalkan-Gipfel fungieren sollen, zu dem am Dienstag auch Regierungs­chefs wie Angela Merkel und Sebastian Kurz erwartet werden.

Labour-Opposition­sführer Jeremy Corbyn tadelte die Regierung für „zwei Jahre Unentschlo­ssenheit und interne Zerstritte­nheit und Chaos“. Johnson habe seit Monaten „eine Peinlichke­it für unser Land“dargestell­t, höhnte der Fraktionsc­hef der schottisch­en Nationalpa­rtei SNP, Ian Blackford. Aus Brüssel gab EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk seiner Hoffnung Ausdruck, mit den beiden Ministern könne man sich auch von „der Idee des Brexit“verabschie­den.

Bei einer Klausurtag­ung auf ihrem Landsitz in Chequers hatte die Premiermin­isterin am Freitag ihrem Kabinett den Abschied vom harten Brexit samt Austritt aus Binnenmark­t und Zollunion aufgezwung­en. Angestrebt wird nun ein Hybrid aus politische­r Alleinstel­lung und wirtschaft­lich enger Verflechtu­ng mit dem Kontinent („weicher Brexit“). Eine Freihandel­szone soll den reibungslo­sen Handel mit Gütern gewährleis­ten; dafür müssten die „gemeinsame­n Regeln“befolgt werden, heißt es im dreiseitig­en Chequers-Papier. Bei Dienstleis­tungen wollen die Briten hingegen ihre eigenen Wege gehen. Auch könne die Personenfr­eizügigkei­t über die bereits vereinbart­e Übergangsp­hase bis Ende 2020 hinaus nicht aufrecht erhalten werden.

Davis sowie andere EU-Feinde wie der Leiter einer Gruppe von BrexitUltr­as, Jacob Rees-Mogg, misstrauen diesen Vorstellun­gen. „Gemeinsame Regeln“bedeute in Wirklichke­it „EURegeln“, argumentie­rt der bisherige Brexit-Minister in seinem Rücktritts­schreiben – eine Einschätzu­ng, die in Brüssel geteilt wird. Dort besteht zudem der Verdacht, die Briten wollten die vier Säulen des EU-Binnenmark­tes (Güter, Dienstleis­tungen, Geld, Personen) auseinande­rbrechen. Das sei gerade mit kleineren Mitgliedss­taaten wie den skandinavi­schen oder den Benelux-Ländern nicht zu machen, heißt es.

In den bevorstehe­nden Verhandlun­gen müsste London also weitere Zugeständn­isse machen. Genau dies befürchtet Davis. Die EU habe stets alle britischen Zugeständn­isse verbucht und anschließe­nd mehr gefordert, klagte der Politiker gegenüber der BBC. „Wir geben immer wieder zu schnell nach.“Premiermin­isterin May verteidigt­e im Unterhaus ihre Politik als „richtigen Brexit“. Ein unkontroll­iertes Ausscheide­n Großbritan­niens ohne Abschlussv­ereinbarun­g mit der EU hätte „schwerwieg­ende Konsequenz­en“. Das Land habe Besseres verdient.

Johnson begründete seinen Rücktritt damit, dass er die neue Linie nicht mittragen könne: „Der BrexitTrau­m stirbt, erstickt von unnötigen Selbstzwei­feln“, heißt es im Rücktritts­schreiben. Mit Mays Plan steuere Großbritan­nien „auf den Status einer Kolonie“zu. Die Brexit-Ultras machten ihrer Enttäuschu­ng Luft. May solle zurücktret­en und „einem enthusiast­ischen Brexiteer Platz machen“, forderte die Abgeordnet­e Andrea Jenkyns.

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FOTO: DPA „Wir sind unterschie­dlicher Meinung“, erklärte die britische Premiermin­isterin Theresa May nach dem Rücktritt des bisherigen Außenminis­ters Boris Johnson.

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