Gesamtkunstwerk für die Sinne
30. Festival Europäische Kirchenmusik Schwäbisch Gmünd ist am Wochenende gestartet
SCHWÄBISCH GMÜND - Alle Sinne ansprechen will das 30. Festival Europäische Kirchenmusik Schwäbisch Gmünd unter dem Motto „Mit allen Sinnen“, das am Freitagabend mit einem Konzert mit Uraufführung, mit Empfang und Event und mit dem Artisten Martin Bukovsek alias Carismo eröffnet worden ist.
Den Auftakt machte der ökumenische Eröffnungsgottesdienst mit der Münchner Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler und dem Kammerchor figure humaine Stuttgart. Hören, Sehen, Fühlen, Riechen und Schmecken gehöre zu diesem Festival, „es muss für jeden Freude und Lust bedeuten, hier dabei zu sein“, sagte Breit-Keßler in ihrer Predigt.
Arnold ehrt Otto Wanke
Auf dem Münsterplatz eröffnete Oberbürgermeister Richard Arnold das Festival offiziell und zeichnete den Sieger unter 42 Teilnehmern des Kompositionswettbewerbs aus: Otto Wanke aus Wien, der sein Werk schlicht mit „...durch...“betitelte. Auf das Motto „Mit allen Sinnen“anspielend sprach Arnold den „Sinn für Nächstenliebe und Mitmenschlichkeit“an in einer Zeit, in der eine „Woge der Verhärtung der Herzen“zu spüren sei.
Die Liturgie gestalteten Dekan Robert Kloker und Dekanin Ursula Richter, auf der Orgel spielte Münsterorganist Kirchenmusikdirektor Stephan Beck. Die Besucher waren beeindruckt: Sie erlebten einen Eröffnungsgottesdienst als Gesamtkunstwerk, als großen Impuls aus Wort und Musik, aus klangmalerischem und gewaltigem Orgelspiel und aus einer Fülle von anschaulichen Sprachbildern.
Der Stuttgarter Chor figure humaine unter der Leitung von Denis Rouger trat mit Werken von Felix Mendelssohn Bartholdy, Maurice Duruflé und Kurt Hessenberg sowie mit der Uraufführung des Siegerstücks aus dem Kompositionswettbewerb Zeitgenössische Geistliche Musik auf. Wer Denis Rouger vor gut drei Jahren das erste Mal mit dem Stuttgarter Hochschulkammerchor in der Klosterkirche Lorch erlebt hatte, war restlos fasziniert von seiner sensiblen „Klangmagie“, gestisch völlig uneitel, dafür umso ansteckender im Ausdruck und in der Interpretation zwingend.
Der Engelsgesang aus Mendelssohns „Elias“oder Kurt Hessenbergs „O Herr, mache mich zu einem Werkzeug deines Friedens“trug der Chor in packender Dramatik vor, Maurice Duruflés „Ubi caritas et amor“, inzwischen zum Repertoire vieler Kirchenchöre gehörend, wurde formvollendet im Miteinander von Kehrvers und Psalm vorgetragen.
So durfte man auch gespannt sein auf die Uraufführung nach dem Text aus Salomons Prediger, der so recht zum Festivalmotto passt. Der preisgekrönte Komponist Otto Wanke wählt immer wieder Textphrasen aus, die das Ausreizen monumentaler Assoziationen verbieten, dafür umso mehr die Annäherung ermöglichen. Rouger führte sicher durch die heiklen Anforderungen zwischen Skylla und Charybdis und gab dem Ganzen unverwechselbare Farbe und klangliche Güte.
Die Uraufführung im Münster musste kurz unterbrochen werden, da zwei Sängerinnen einen Schwächeanfall erlitten. Sie waren später aber wieder wohlauf.
Gebannte Blicke nach oben
Nach Schlusssegen und Gemeindelied wurde es akrobatisch. Es folgte eine atemberaubende Performance unter dem Netzgewölbe des Münsterchors durch Carismo am Vertikaltuch, quasi ein Kunstflug am Laken, begleitet von Markus Ehrlich am Saxofon und Julius Heise am Vibraafon. Den Bewegungen des Artisten folgten die Blicke gebannt nach oben. Die Zuschauer hielten ein ums andere Mal den Atem an, als sich Bukovsek in dem um Arme, Beine, Nacken und Rumpf geschlungenen Tuch bis ins Gewölbe zog. Der Festival-Beginn – ein Gesamtkunstwerk für die Sinne.