Keine Entspannung in der Türkei
Ausnahmezustand ist beendet, aber Regierung will reguläre Gesetze verschärfen
ISTANBUL - Zwei Jahre nach dem Putschversuch vom Juli 2016 ist der Ausnahmezustand in der Türkei offiziell beendet – doch eine Rückkehr zur Normalität wird es nicht geben.
Die Staatsgewalt habe die Bewegung des Predigers Fethullah Gülen, die für den Staatsstreich verantwortlich gemacht wird, zwar größtenteils zerschlagen, sagte Präsident Recep Tayyip Erdogan vor einigen Tagen. Aber die Angriffe auf die Türkei würden nicht enden, setzte er hinzu: Die Vorstellung einer ständigen Gefahr neuer Umsturzversuche wird zur Staatsdoktrin. Erdogans Regierung will deshalb wesentliche Vollmachten der Sicherheitsbehörden unter dem Ausnahmezustand in normales Recht übersetzen.
Erdogan sprach vor Hunderttausenden Zuhörern bei einer Istanbuler Gedenkveranstaltung zum zweiten Jahrestag des Putschversuches, bei dem 250 Menschen ums Leben kamen. Die Hintergründe der Gewalt sind bis heute nicht restlos aufgeklärt. Laut der Erdogan-Regierung wollten Gülens Leute mit dem Putschversuch die Macht an sich reißen. Der in den USA lebende Gülen weist den Vorwurf zurück und sagt, Erdogan habe den Staatsstreich inszeniert, um einen Vorwand für ein drakonisches Vorgehen gegen Regierungskritiker zu haben.
Unter dem Ausnahmezustand hat die Regierung fast 160 000 Beamte, Soldaten, Richter, Lehrer und Polizisten wegen des Verdachts auf Mitgliedschaft in der Gülen-Gruppe entlassen. Weitere 150 000 Menschen wurden nach UN-Zahlen festgenommen, Hunderte Medien und Verbände der Zivilgesellschaft verboten.
Nicht zuletzt in den Reihen der Wirtschaft wuchs im Laufe der vergangenen zwei Jahre die Kritik am Ausnahmezustand. Investoren vermissten Planungs- und Rechtssicherheit. Erdogans Entscheidung, den Ausnahmezustand nach sieben Verlängerungen nun auslaufen zu lassen, ist deshalb auch Teil der Bemühungen, die Türkei wieder attraktiver für Anleger zu machen.
Ein Verdacht reicht aus
Gleichzeitig schickt sich die Regierung aber an, den Ausnahmezustand durch die Hintertür teilweise wieder einzuführen. Mit einem Gesetzespaket, das an diesem Donnerstag im zuständigen Parlamentsausschuss beraten wurde, will Ankara unter anderem den örtlichen Behörden das Recht geben, Personen den Zugang zu einer Provinz zu verweigern. Die Frist, innerhalb derer ein Verdächtiger einem Haftrichter vorgeführt werden muss, wird von fünf auf maximal zwölf Tage erhöht. Wie unter dem Ausnahmezustand können Beamte wegen Terrorverdachts aus dem Staatsdienst entfernt werden. Der Terrorbegriff wird in der Türkei weit gefasst; häufig genügt bereits der Vorwurf einer Gülen-Anhängerschaft.
Zur Rechtfertigung der Gesetzesverschärfung verweist die Regierung auf Frankreich, wo die Sicherheitsbehörden ebenfalls nach einem fast zweijährigen Ausnahmezustand neue Rechte zur Terrorbekämpfung erhielten. Vertreter der türkischen Anwaltskammern halten die in Ankara debattierte Novelle jedoch für verfassungswidrig. Deshalb zeichnen sich neue Spannungen zwischen der Türkei und der EU ab. Brüssel verlangt von Ankara seit Monaten eine Liberalisierung der Terrorgesetze und macht dies zur Voraussetzung für Erleichterungen im Reiseverkehr.
Wenig begeistert zeigte sich die EU am Donnerstag von Erdogans Plänen für einen Ausnahmezustand „light“. Das Ende des Ausnahmezustands sei zwar zu begrüßen, erklärte die Außen-Behörde in Brüssel. Doch könne das neue Gesetzespaket alle positiven Effekte der Abschaffung wieder zunichte machen.