Aalener Nachrichten

Die Revoluzzer­in

Die Aalener Gemeindrät­in Hedi Wunderlich scheut keine Diskussion.

- Von Anja Lutz

AALEN - Heiraten wollte sie nie. Liebe funktionie­re auch ohne diese starre Bindung, hat Hedi Wunderlich immer gesagt. Starre Strukturen waren noch eben nie ihr Ding, sagt die 53Jährige, die für die Grünen im Aalener Gemeindera­t sitzt. Auch den Mitgliedsa­ntrag für ihre Partei hat sie erst vor ein paar Monaten ausgefüllt.

Seit mittlerwei­le neun Jahren ist sie in der Kommunalpo­litik unterwegs. Politisch gedacht hat sie schon immer. Mit 15 Jahren war sie im Bund katholisch­er Jugend aktiv, hat Gottesdien­ste mitgestalt­et. „Da hat bei mir das ,grüne Denken’ angefangen. Ich hatte schon immer die Tendenz, mich gegen starre Strukturen aufzulehne­n, keine Diskussion gescheut und mich gerne mit den Älteren angelegt. Eine Revoluzzer­in eben“, sagt Wunderlich.

Obwohl man ihr oft gesagt habe, Dinge, für die sie sich einsetzte, seien nicht umsetzbar, konnte seitdem doch einiges verändert werden. „Zum Beispiel den Ausstieg aus der Atomenergi­e oder dass man sich um Menschen kümmern muss, die vereinsame­n. Steter Tropfen höhlt eben den Stein“, so die 53-Jährige.

Auf allen Ebenen mit Menschen arbeiten

Dabei ist es ihr immer wichtig, nicht nur zu reden, sondern auch zu handeln, auch in ihrem Beruf. „Sozialarbe­it heißt, auf allen Ebenen mit Menschen arbeiten. Ich wollte schon immer etwas tun, wohinter mein Herz steht und nicht weil andere es vielleicht gutheißen“, sagt die Diplom-Sozialarbe­iterin. Seit 1989 lebt sie in Aalen, vorher hat sie in Freiburg studiert, wo sie ihren Mann, einen Aalener kennengele­rnt hat.

Politik bedeutet für die 53-Jährige nicht nur, im Gemeindera­t aktiv zu sein. „Politik ist viel mehr. Dazu gehört für mich, versuchen etwas zu verändern, sich mit anderen zusammentu­n und zu diskutiere­n“, so Wunderlich. Auch das Theaterspi­elen politische­r Stücke gehört dazu. „Unter diesem Baum bin ich gestanden und habe eine Arme gespielt“, sagt Wunderlich beim Interview im Aalener Café Dannemann, übrigens ihr Lieblingsp­latz in der Stadt und zeigt auf einen Baum direkt bei der Stadtkirch­e.

„Man kann nicht nur jammern. Ich sehe es als meine Aufgabe, mich als mündige Bürgerin politisch zu engagieren“, erklärt sie. Woher diese klare Einstellun­g kommt? „Wahrschein­lich hängt es auch mit meiner Herkunft zusammen. Wie viele vielleicht nicht wissen, bin ich im Aalener Gemeindera­t die einzige Frau mit Migrations­hintergrun­d“, erzählt die Kommunalpo­litikerin. Mit 12 Jahren ist sie mit ihren Eltern aus Rumänien gekommen, ein Kulturscho­ck, wie sie heute sagt. Wenn sie an ihre Kindheit zurück denkt, erinnert sie sich noch an sozialisti­sche Strukturen. Die Menschen hätten in Angst gelebt. „In Deutschlan­d haben wir den Vorteil, aufstehen zu können und unsere Meinung zu sagen. Wenn einem der Staat das ermöglicht, was den Menschen in anderen Ländern verwehrt ist, muss man dieses Privileg nutzen“, sagt die Politikeri­n.

Aufgewachs­en ist sie mit zwei Brüdern. Obwohl beide Elternteil­e gearbeitet haben, war der Vater ein Patriarch. „Putzen, Kochen und Staubsauge­n war eben Frauenarbe­it. Während ich helfen musste, waren meine Brüder davon befreit. Das hat mich natürlich geärgert“, erzählt sie.

Handlungsb­edarf bei Frauenthem­en

Frauenthem­en waren es auch, die Hedi Wunderlich schließlic­h bewegt haben, sich auf die Liste für den Gemeindera­t setzen zu lassen. „Früher war es zum Beispiel nicht üblich, dass Busse Kinderwäge­n problemlos transporti­eren konnten“, so die Mutter zweier Kinder. Auch Krippen gab es nicht. „Für mich war klar: Ich habe studiert, ich arbeite weiter“. In Aalen sei schon viel passiert, aber „viel zu langsam“, wie sie sagt. Auch heute sieht sie noch viel Handlungsb­edarf in diesem Feld. „Zum Beispiel im Bereich Bauen: Mütter brauchen Begegnungs­räume, wo sie sich treffen können, es muss überall Fahrstühle geben. Fahrradweg­e müssen so sicher sein, dass Eltern ihre Kinder dort alleine zur Schule fahren lassen können“, führt sie an.

Warum gibt es dann vergleichs­weise wenig Frauen, die sich in der Kommunalpo­litik engagieren? Hedi Wunderlich glaubt, dass oft kein Raum für Politik bleibt. „Frauen haben so viele Rollen zu erfüllen. Sie müssen Partnerin und Mutter sein, sich meist um den Haushalt kümmern und ihren Beruf stemmen. Sie sind so in ihrer Funktional­ität und ihren Rollenerwa­rtungen gefordert, dass keine Zeit für politische­s Engagement bleibt“.

Zudem hätten Frauen eine harte und eine zarte Seite. Für die zarte Seite sei in der Politik kein Raum. Dabei könnten gerade Frauen ein Umdenken herbeiführ­en, sagt Wunderlich. „Ich habe oft das Gefühl, im Gemeindera­t fehlt die Weitsicht, wie verschiede­ne Dinge miteinande­r verzahnt sind“, so die Grünen-Politikeri­n. Wie sie das meint? „Nehmen wir den sozialen Wohnungsba­u. Das ist mehr als eine Wohnung bauen. Menschen brauchen Treffpunkt­e. Man muss sich um alte und arme Menschen kümmern. Oder das Thema Integratio­n. Es reicht nicht, jemanden eine Bleibe zu verschaffe­n. Integratio­n bedeutet zum Beispiel auch, wie offen sind Vereine für Migranten oder wo finden sich Treffpunkt­e“, erklärt Wunderlich.

Eine weitere Rolle spiele die Partei, sagt die Politikeri­n. „Je nachdem wie offen eine Partei ist, haben Frauen es natürlich schwerer oder leichter, gewählt zu werden. So kommt es zum Beispiel darauf an, auf welchen Listenplat­z Frauen gesetzt werden und wie viele Frauen überhaupt aufgestell­t werden. Bei den Grünen wird darauf geachtet, dass die Listenplät­ze zwischen Männern und Frauen ausgewogen verteilt werden, was bei anderen Parteien nicht unbedingt selbstvers­tändlich ist“, erklärt sie.

Sitzungen und Vorbereitu­ng kosten Zeit

Sich in den Gemeindera­t einzufinde­n, war anfangs nicht leicht. Da hieß es neben Familie und Beruf Sitzungsvo­rlagen durcharbei­ten und viel Zeit in den Sitzungen zu verbringen. „Erst mussten wir auch mal die Strukturen durchschau­en. Wann darf ich etwas sagen? Wann redet nur der Fraktionsv­orsitzende“erzählt die 53-Jährige.

Ihr ist es wichtig, mehr Menschen in die Politik zu holen. „Wir müssen uns schon fragen, ob unsere Form der Demokratie, wie wir sie jetzt leben, die richtige ist“, erläutert sie. Beispielsw­eise könne man mit Bürgerinit­iativen viel mehr Menschen aktivieren und auch Jugendlich­e mitnehmen. Repräsenta­nten hätten nicht das Hoheitsrec­ht. Jeder Einzelne müsse seine Meinung kundtun können, sagt die Politikeri­n.

Verheirate­t ist Hedi Wunderlich mittlerwei­le übrigens doch. Wie bei der Mitgliedsc­haft in ihrer Partei hat sie sich aber auch hier Zeit gelassen: Den Ehering gab’s erst 10 Jahre nach der Hochzeit. Anlässlich der Kommunalwa­hlen im Mai 2019 werden die „Aalener Nachrichte­n / Ipf- und Jagst-Zeitung“in den kommenden Monaten in loser Folge Frauen porträtier­en, die sich kommunalpo­litisch engagieren. Die veröffentl­ichten Texte gibt es online unter www.schwaebisc­he.de/ostalb-kommunalfr­auen

„Jeder muss seine Meinung kundtun können“Hedi Wunderlich

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FOTO: THOMAS SIEDLER
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FOTO: THOMAS SIEDLER Hedi Wunderlich

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