Aalener Nachrichten

Das sächsische Drama

Die Ausschreit­ungen in Chemnitz sind die jüngsten in einer Reihe von Übergriffe­n im Freistaat

- Von Christine Keilholz

DRESDEN - Die Technische Universitä­t Dresden hat früh Alarm geschlagen. Sachsens größte Forschungs­einrichtun­g, an der Wissenscha­ftler und Studenten aus aller Welt arbeiten, fürchtete um ihren guten Ruf. Rektor Hans Müller-Steinhagen sprach von einer „nachhaltig­en Image-Schädigung Dresdens über alle Grenzen hinweg“, die sein Haus zu spüren bekomme. Die Bemühungen um einen festen Platz im internatio­nalen Wissenscha­ftsbetrieb „gestalten sich deutlich schwierige­r“.

Das war im Sommer 2015. Da war die islamfeind­liche Pegida-Bewegung in der Landeshaup­tstadt Sachsens zwar schon wieder auf lokales Querulante­n-Maß geschrumpf­t. Aber das monatelang­e Gebrüll von Parolen wie „Volksverrä­ter“, „Lügenpress­e“und „Merkel muss weg“hallte noch nach in der Stadt an der Elbe.

Seit den 1990er-Jahren ziehen Sachsens Städte Rechte an. Woran das liegt? Weil grundsätzl­ich viele Menschen nach Sachsen gehen. Sie kommen aus Brandenbur­g, aus dem Ostsee-Hinterland oder aus Bielefeld zum Studieren oder für den Job nach Sachsen. Und sie alle finden hier gut Anschluss – auch die Rechten. Sachsen ist dichter und dynamische­r als der Rest der neuen Länder. Aufstreben­de Großstädte und ein attraktive­r Arbeitsmar­kt liegen hier. Früher saßen in Sachsen die großen Fabriken, geblieben sind die tristen Arbeiterwo­hnblocks.

Potenzial für Frust und Gewalt

Dass dort ein Potenzial für Frust und ungeheuerl­iche Taten brach lag, erfuhr die Republik im September 1991 aus Hoyerswerd­a. Neonazis hatten erst vietnamesi­sche Händler attackiert und anschließe­nd ein Vertragsar­beiterwohn­heim, in dem vorwiegend Menschen aus Vietnam und Mosambik lebten, mit MolotowCoc­ktails angegriffe­n. Anwohner sahen tatenlos zu oder klatschten Beifall.

Wenig später griffen Rechtsextr­eme eine Flüchtling­unterkunft an – erneut mit Brandsätze­n. Von Hoyerswerd­a hat sich Sachsen bis jetzt nicht erholt. Der Hass hat dem Land ein Image aufgedrück­t, das sich nicht wieder abschüttel­n lässt.

Es waren ja nur einige wenige Täter, sagen die einen. Es sind in Wahrheit viel mehr, sagen andere. Hoyerswerd­a hat die Marke Sachsen geprägt. Durch Bilder, die die Nachwende-Probleme zusammen zeigten: Betonwüste­n, verängstig­te Ausländer, hilflose Polizei und ein wütender Mob. Das sind seitdem die Zutaten für neue Geschichte­n, die immer wieder aus Sachsen erzählt werden.

Eine davon ereignete sich im August 2015 in Heidnau bei Dresden. Rechtsextr­eme versuchten gewaltsam, den Bezug einer Einrichtun­g für Flüchtling­e zu verhindern, sie griffen Polizei und Bewohner an.

In Bautzen kam es im März 2016 zu einem Brandansch­lag auf ein Flüchtling­sheim. Als Bundespräs­ident Joachim Gauck anschließe­nd nach Bautzen kam, wurde er von einigen wenigen als „Volksverrä­ter“beschimpft, die anderen Zuschauer schwiegen. Alexander Ahrens, der Bürgermeis­ter von Bautzen, machte hinterher in den Talkshows eine gute Figur. Die Stadt gilt trotzdem als braunes Nest. Das ist Sachsens Drama. Solche Geschichte­n finden mehr Gehör als jene von einem Land, das sich in einem Vierteljah­rhundert gut entwickelt hat. Die Anführer der Rechten hatten das schnell raus: Wenn sie etwas Großes aufziehen wollten, dann in Sachsen. Wenn sie gesehen werden wollten, meldeten sie Demos an in Sachsen. Wenn sie in die Tagesschau wollten, tauchten sie in Sachsen auf.

Auch in Leipzig, der hippen linken Metropole an der Pleiße. Um die Jahrtausen­dwende marschiert­e der Neonazi Christian Worch mit seinen Kumpanen aus der rechten Prominenz zeitweise mit mehr als 2000 Anhängern.

Als sich im Herbst 2014 in Dresden Pegida formierte, kam der Gegenprote­st nicht in Gang. Das lag auch daran, dass die traditions­bewussten Dresdner Bürger nicht in einer Reihe stehen wollten mit Teilnehmer­n, die rufen „Deutschlan­d muss sterben“.

Die Wissenscha­ftler von der TU Dresden waren die Ersten, die 2014 breiten Widerstand gegen die Pegida-Demonstrat­ionen zustande brachten. Danach ließ der Entzug von Aufmerksam­keit die Pegida-Blase schnell verpuffen. Die versprengt­en Reste der vermeintli­chen Abendlands­retter marschiere­n seitdem weitgehend unter der Wahrnehmun­gsschwelle. Größere Aufmerksam­keit bekam die Truppe des Gründers Lutz Bachmann nur, als sie eine Kandidatin in die Dresdner Bürgermeis­terwahl schickten und als sie den niederländ­ischen Rechtspopu­listen Geert Wilders zu ihrer Demo einluden. Oder jüngst, als ein Mitläufer mit Deutschlan­d-Hut die Reporter vom ZDF anmaulte, der sich als Mitarbeite­r des Landeskrim­inalamts entpuppte.

Auch die Ausschreit­ungen von Chemnitz nach der tödlichen Messeratta­cke auf einen 35-Jährigen rücken Sachsen erneut in den internatio­nalen Fokus.

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ARCHIVFOTO: DPA 1991 griffen Rechtsextr­eme eine Unterkunft im sächsische­n Hoyerswerd­a an, in der größtentei­ls Menschen aus Mosambik und Vietnam lebten. Das Image des Landes hat sich davon nicht wieder erholt.

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