Ernten, bis die Fetzen fliegen
In Bayerisch-Schwaben geht unter Maisbauern die Angst um, weil Saboteure immer wieder Metallteile in den Feldern verstecken
AUGSBURG - Unter dem gewaltigen Dröhnen der mächtigen Erntemaschinen bringen Landwirte ihren Mais ein: Rotierende Metallscheiben mit großen Zähnen, die an Kreissägeblätter erinnern, fräsen durch die Pflanzen und räumen die Felder bis auf kurze Stumpen sauber ab. Mahlwerke verarbeiten das Material zu feinem Häckselgut für die Biogasanlage oder die Futtertröge der Rinder. Der Vorgang ist laut und wirbelt Staub auf. Und er ist immer wieder angstbehaftet, denn: Jedes Jahr zur Erntezeit gibt es neue Anschläge auf Landwirte – in jüngerer Zeit in Bayerisch-Schwaben, unweit Augsburg.
Die Täter bringen die Bauern in Gefahr und richten enorme finanzielle Schäden an, indem sie Metallteile, etwa Schrauben oder lange Stangen, in Maisfeldern verstecken. Bei der Ernte geraten diese in die Häckselmaschinen. Dabei machen sie nicht nur die Geräte kaputt. Die Metallstücke verwandeln sich in lebensgefährliche Geschosse, die neben den Landwirten auch Unbeteiligte, etwa Spaziergänger, treffen und schwer verletzen könnten. Der Sprecher des Bayerischen Bauernverbandes, Markus Peters, sagt: „Landwirte in ganz Deutschland steigen mit einem mulmigen Gefühl auf ihre Maschinen.“Denn die Sabotage ist von außen nicht sichtbar.
„Ich habe schon Maschinen gesehen, bei denen die Metallteile Löcher in den Boden des Führerhauses gerissen haben“, sagt Peters. So sind vor allem Fahrer von Maishäckslern oder Mähdreschern, in denen sie in der Regel direkt über dem Schneidwerk sitzen, in Gefahr. Peters hat auch eine Vermutung, warum immer wieder Metall auf Äckern versteckt wird. Er sagt: „Ich glaube, das hängt damit zusammen, wie in der Öffentlichkeit über Landwirtschaft diskutiert wird.“Der Ton werde immer schärfer, gerade die konventionelle Landwirtschaft stehe enorm in der Kritik. Er habe außerdem beobachtet, dass Sachbeschädigungen im gesamten landwirtschaftlichen Bereich in den vergangenen Jahren zugenommen hätten. Auch an Tierställen machen sich Täter zum Beispiel immer wieder zu schaffen.
Auch Ernst Buck, Kreisvorsitzender des Bauernverbandes Ulm-Ehingen, glaubt, dass es vor allem niedere Beweggründe missgünstiger Menschen sind, die zu solch gefährlichen Sabotagen motivieren. „Manchmal, wenn es zur Erntezeit nicht so trocken ist wie heuer, dann gibt es halt auch mal aufgrund schmutziger Straßen und Wege ein dreckiges Auto. Der eine oder andere Verbraucher ärgert sich dann darüber. Oder über Lärm und Licht auf den Feldern, wenn bei Dunkelheit geerntet werden muss.“Ernst Buck fürchtet, dass das bei manchen schon genügt, um sich für die Unannehmlichkeiten zu rächen. Heuer, so sagt der Kreisvorsitzende, sei es in seiner Region aber ruhig geblieben. Auch einer Sprecherin des Landesbauernverbandes in Stuttgart fällt kein Fall von Sabotage in der zurückliegenden Erntesaison in Baden-Württemberg ein.
Das jüngste Vorkommnis in unserer Region liegt allerdings erst ein Jahr zurück: Damals hatte ein Unbekannter auf einem Feld in Achstetten (Landkreis Biberach) eine 1,20 Meter lange und 16 Millimeter dicke Eisenstange mittels Drähten an den Pflanzen befestigt. Der Führer einer Erntemaschine hätte kaum eine Chance gehabt, rechtzeitig darauf zu reagieren. Glücklicherweise entdeckte damals ein Spaziergänger das Eisen, sodass im konkreten Fall kein Sachschaden entstand und niemand verletzt wurde.
Doch selbst wenn keine Menschen zu Schaden kommen und kleinere Metallstücke unbemerkt ins Mahlwerk gelangen: Zerlegt der Häcksler metallische Teile, so landen scharfkantige Stücke oder Splitter womöglich im Tierfutter. Wenn Kühe auf diese Weise verunreinigte Nahrung fressen, gelangt Metall in ihren Verdauungsapparat, wo es schwere Schnitte verursachen kann. Die Folge: Tiere gehen an inneren Blutungen zugrunde.
Erst kürzlich entdeckte eine Spaziergängerin in der Nähe von Gablingen (Landkreis Augsburg) eine verdächtige Plastiktüte. Die Täter hatten die Tüte mit Metallteilen gefüllt und an einer Maispflanze befestigt. In Ketterschwang (Landkreis Ostallgäu) hat ein Landwirt vor ein paar Tagen ebenfalls Metall in seinem Maisfeld gefunden. Dank des Detektors, mit dem viele Erntemaschinen ausgestattet sind, hat der Bauer die mit Isolierband umwickelte Schraube aber
„Landwirte in ganz Deutschland steigen mit einem mulmigen Gefühl auf ihre Maschinen.“Markus Peters, Sprecher des Bayerischen Bauernverbandes
noch rechtzeitig entdeckt. Und in Wolferstadt (Landkreis Donau-Ries) wurden heuer wieder zwei Erntemaschinen beschädigt. Schon 2016 kam es rund um den kleinen Ort zu einer ganzen Reihe von Anschlägen. Heuer ist Franken besonders betroffen. Die Polizei in Nürnberg ermittelt wegen einer Serie von acht Fällen. Der Gesamtschaden dort: 120 000 Euro.
Viele dieser Sabotageakte können nicht aufgeklärt werden. Auch für den Anschlag von Achstetten ist bis heute kein Täter zur Verantwortung gezogen worden. Die Ermittlungen sind für die Polizei schwierig. Markus Dösinger ist stellvertretender Leiter der Polizei in Buchloe, in deren Einsatzgebiet es im vergangenen Jahr zehn solcher Fälle gab. Er erklärt, die Beamten könnten zwar die Gegenstände sicherstellen und auf Spuren untersuchen, doch wenn dabei nichts Auffälliges entdeckt werde, gebe es praktisch keine Anhaltspunkte für weitere Ermittlungen. „Wir sind auf Zeugenaussagen angewiesen“, erklärt der Polizeihauptkommissar.
Auch über mögliche Motive kann nur spekuliert werden. Polizei und Landwirtschaftsvertreter äußern aber immer wieder die Vermutung, dass die Täter mit diesen Aktionen den Maisanbau beziehungsweise die gesamte Landwirtschaft kritisieren und schädigen wollten. Auch Dösinger vermutet das. Dass der Täter im persönlichen Umfeld des Landwirts zu finden ist und beispielsweise aus Rache handelt, sei wahrscheinlich die Ausnahme, nimmt der Polizeihauptkommissar an.
Der finanzielle Schaden solcher Sabotageattacken könne schnell zwischen 30 000 und 40 000 Euro betragen, sagt der Kreisobmann des Bayerischen Bauernverbands im Landkreis Augsburg, Martin Mayr. Doch den tragen am Ende oft gar nicht die Landwirte. Für einen einzelnen Betrieb lohne sich die Anschaffung der rund 300 000 Euro teuren Erntemaschinen kaum, erklärt Mayr. Stattdessen kümmern sich beispielsweise Lohnunternehmer um das Abernten. Auch das mache die Suche nach den Tätern so schwierig, sagt Mayr. Haben sie es auf den Besitzer der Felder abgesehen, auf den Lohnunternehmer oder soll die Tat ein genereller Protest gegen die Maismonokulturen sein?
Landwirte wehren sich indes gegen die pauschale Ablehnung von Mais. Hubert Kucher, Vorsitzender des Bauernverbandes Ostalb, betont: „Ein Hektar Mais bindet mehr CO2 als ein Hektar Bäume.“Darüber hinaus benötige Mais nur wenig Wasser. „Er ist also deutlich besser und ökologischer als sein Ruf.“
Inzwischen sind die Maisfelder abgeerntet, das Getreide eingebracht und verarbeitet. Die Maschinen schweigen wieder für ein Jahr. Die Bauernverbände sind sehr vorsichtig im Umgang mit dem sensiblen Thema Sabotage. Wird zu viel und zu detailreich berichtet, könne das womöglich Nachahmer auf dumme Gedanken bringen. Es gibt zwar Metalldetektoren an den Erntemaschinen – aber das bedeutet noch lange keine totale Sicherheit. Und vor der Ernte jede einzelne Pflanzenreihe zu Fuß abzumarschieren und zu kontrollieren, sei auch keine Option: „Dafür sind die Anbauflächen inzwischen einfach zu groß“, heißt es aus den Reihen des Baden-Württembergischen Landesbauernverbandes.