Aalener Nachrichten

Hexenwahn: 16-jährige Ellwangeri­n geht freiwillig in den Tod

Maria Ostertag zeigte sich selbst an und beschrieb abscheulic­he Taten – Fürstpröps­te waren treibende Kraft bei Verfolgung­en

- Von Michael Häußler

ELLWANGEN - Es war eine dunkle, eine grausame Zeit in Ellwangen. Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunder­ts fanden rund 450 unschuldig­e Menschen auf brutale Art den Tod. Menschen, die einem fanatische­n religiösen Wahn zum Opfer fielen. Ihr Leben endete am Galgen oder durch den Scharfrich­ter, der ihnen mit dem Richtschwe­rt den Kopf abschlug. Schuldig im Sinne der Anklage: Hexerei, Teufelspak­t. Kurz – das Böse.

Das Böse trug auch die 16-jährige Maria Ostertag aus Ellwangen in sich. Zumindest glaubte sie das. Laut eigener Aussage war sie eine Hexe. Am 12. Juli 1613 – zur Zeit des zweiten Hexenwahns in Ellwangen – ging sie ins Hexengefän­gnis und zeigte sich an. Das geht laut Matthias Steuer, dem Museumslei­ter im Ellwanger Schloss, einwandfre­i aus den Akten von damals hervor. Steuer ist sozusagen in den Dokumenten zuhause, bietet am Schloss Führungen zum Hexenwahn an.

„Maria Ostertag ist ohne jeglichen äußeren Druck dorthin gegangen“, erzählt Steuer. Das sei zwar ab und an vorgekomme­n. In der Regel aber wurden Hexen, aber auch Hexer oder Zauberer, als solche denunziert. Vermeintli­che Hexen, so der Museumslei­ter, hätten unter Folter weitere Namen nennen müssen. „Unter Folter sagt man alles aus“, sagt Steuer. So sei die Verfolgung in Gang geblieben.

Die Obrigkeit hat die Bürger vor dem Bösen beschützt

Dass Ostertag freiwillig in den Tod gegangen ist, sei aus ihrer offizielle­n Aussage herauszule­sen, die Steuer in den Akten hat. Dort sei im Wortlaut darauf explizit hingewiese­n. In Fällen von Denunzieru­ng stehe nichts von Freiwillig­keit. „Die Leute sahen sich im Recht. Deswegen wurde auch alles bis ins Detail dokumentie­rt“, erzählt der Museumslei­ter. Daher kenne man auch die Namen der Opfer. „Die Menschen haben geglaubt, dass das schiere Böse in den Denunziert­en verankert ist.“Es habe keinen Unrechtsge­danken dabei gegeben. Steuer: „Sie haben die Menschen vor dem Bösen beschützt.“

Und dass sich jemand selbst als Hexe angezeigt hatte, verstärkte den Glauben an die Sache. Sowohl an Hexen, Hexer oder Zauberer. Aber auch an das Böse, das es zu bekämpfen galt. Und an den Kampf an sich. „Zu Zeiten des zweiten Hexenwahns war das natürlich Stadtgespr­äch NumMensche­n mer eins“, ordnet Steuer den Zeitgeist ein. Das könnte die Phantasie des Mädchens angeregt haben. Bekannte und Verwandte der 16-Jährigen sollen zudem auch bereits als Hexen hingericht­et worden sein. „Heute würde man von einem Trauma sprechen. In dem Fall spielen auch Suizidgeda­nken eine Rolle und eine psychische Krankheit“, so der Museumslei­ter. Das seien zumindest mögliche Erklärunge­n.

Maria Ostertag schilderte schändlich­e Taten

Schuld an ihrem Dasein als Hexe sei ihre Tante, sagte Maria Ostertag aus. Von ihr sei sie in das teuflische Laster der Hexerei verführt worden. Doch die Anschuldig­ung an die eigene Tante blieb ohne Folgen. Sie war zu diesem Zeitpunkt bereits tot – hingericht­et als Hexe. Aus der gemeinsame­n Zeit gibt das Mädchen folgende Geschichte­n zu Protokoll:

Sie sei mit einem bösen Geist verkuppelt worden, mit dem sie schändlich­e Unzucht trieb. Dazu komme der Pakt mit dem Teufel. Doch auch reale Taten beschreibt das Mädchen: Sie habe mit ihrer Tante auf dem Friedhof Sankt Wolfgang zwei Kinder ausgegrabe­n und aus den Leichen Teufelssal­be gemacht. „Diese habe sie dann anderen Kindern auf die Brust geschmiert. Dadurch sind sie gestorben“, erzählt Matthias Steuer die grausige Geschichte. Ein weiteres Kind will sie zudem gelähmt haben.

Für ihre Taten und ihr „teuflische­s Dasein“büßt die 16-Jährige. Am 21. August 1613 wird sie vom Scharfrich­ter enthauptet. Ein Gnadenurte­il des Landesherr­n, dem Fürstprops­t persönlich. Denn das Stadtgeric­ht hatte Ostertag, wie alle Hexen und Hexer, zum Tod durch Verbrennen am lebendigen Leib verurteilt. Der Landesherr begnadigte alle – zum Tod am Galgen oder durch das Richtschwe­rt.

Als sie zu ihrer Hinrichtun­gsstätte ging, muss Maria Ostertag erleichter­t gewesen sein. Das geht aus einem Brief eines Jesuiten hervor, welcher zu einer Niederlass­ung in Ellwangen gehörte. Tapfer und mutig soll die 16-Jährige ihrem Tod entgegen gegangen sein. „Sie sei glücklich, dass sie zeitig gerichtet wird. So habe sie in der Ewigkeit keine allzu lange Strafe zu erwarten“, gibt Steuer den Jesuitenbr­ief wieder. Denn ansonsten hätte sie als Hexe noch mehr Schandtate­n vollbracht und länger dafür in der Hölle büßen müssen. „Der Glaube war sehr stark in den verankert“, so Steuer. Das sei durch eine solche Aussage sehr deutlich.

Wichtig ist es, den Zeitgeist der Vergangenh­eit zu betrachten

Dieser vorherrsch­ende Zeitgeist sei eines der wichtigste­n Kriterien im Rückblick auf derartige Geschichte­n und Ereignisse, erläutert der Museumslei­ter. „Man darf die Vergangenh­eit nie aus der heutigen Sicht bewerten. Nur unter Berücksich­tigung der damaligen Sichtweise lässt sich das Geschehene einordnen.“

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FOTOS: MICHAEL HÄUSSLER Mit einem solchen Richtschwe­rt wurde der 16-jährigen Maria Ostertag vom Scharfrich­ter der Kopf abgeschlag­en. Das Mädchen bezeichnet­e sich selbst als Hexe und wurde daraufhin verurteilt. Das Schwert hängt im Ellwanger Schlossmus­eum und stammt aus Memmingen.
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Museumslei­ter Matthias Steuer bietet im Schloss ob Ellwangen Führungen zum Thema Hexenverfo­lgung an.

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