Hexenwahn: 16-jährige Ellwangerin geht freiwillig in den Tod
Maria Ostertag zeigte sich selbst an und beschrieb abscheuliche Taten – Fürstpröpste waren treibende Kraft bei Verfolgungen
ELLWANGEN - Es war eine dunkle, eine grausame Zeit in Ellwangen. Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts fanden rund 450 unschuldige Menschen auf brutale Art den Tod. Menschen, die einem fanatischen religiösen Wahn zum Opfer fielen. Ihr Leben endete am Galgen oder durch den Scharfrichter, der ihnen mit dem Richtschwert den Kopf abschlug. Schuldig im Sinne der Anklage: Hexerei, Teufelspakt. Kurz – das Böse.
Das Böse trug auch die 16-jährige Maria Ostertag aus Ellwangen in sich. Zumindest glaubte sie das. Laut eigener Aussage war sie eine Hexe. Am 12. Juli 1613 – zur Zeit des zweiten Hexenwahns in Ellwangen – ging sie ins Hexengefängnis und zeigte sich an. Das geht laut Matthias Steuer, dem Museumsleiter im Ellwanger Schloss, einwandfrei aus den Akten von damals hervor. Steuer ist sozusagen in den Dokumenten zuhause, bietet am Schloss Führungen zum Hexenwahn an.
„Maria Ostertag ist ohne jeglichen äußeren Druck dorthin gegangen“, erzählt Steuer. Das sei zwar ab und an vorgekommen. In der Regel aber wurden Hexen, aber auch Hexer oder Zauberer, als solche denunziert. Vermeintliche Hexen, so der Museumsleiter, hätten unter Folter weitere Namen nennen müssen. „Unter Folter sagt man alles aus“, sagt Steuer. So sei die Verfolgung in Gang geblieben.
Die Obrigkeit hat die Bürger vor dem Bösen beschützt
Dass Ostertag freiwillig in den Tod gegangen ist, sei aus ihrer offiziellen Aussage herauszulesen, die Steuer in den Akten hat. Dort sei im Wortlaut darauf explizit hingewiesen. In Fällen von Denunzierung stehe nichts von Freiwilligkeit. „Die Leute sahen sich im Recht. Deswegen wurde auch alles bis ins Detail dokumentiert“, erzählt der Museumsleiter. Daher kenne man auch die Namen der Opfer. „Die Menschen haben geglaubt, dass das schiere Böse in den Denunzierten verankert ist.“Es habe keinen Unrechtsgedanken dabei gegeben. Steuer: „Sie haben die Menschen vor dem Bösen beschützt.“
Und dass sich jemand selbst als Hexe angezeigt hatte, verstärkte den Glauben an die Sache. Sowohl an Hexen, Hexer oder Zauberer. Aber auch an das Böse, das es zu bekämpfen galt. Und an den Kampf an sich. „Zu Zeiten des zweiten Hexenwahns war das natürlich Stadtgespräch NumMenschen mer eins“, ordnet Steuer den Zeitgeist ein. Das könnte die Phantasie des Mädchens angeregt haben. Bekannte und Verwandte der 16-Jährigen sollen zudem auch bereits als Hexen hingerichtet worden sein. „Heute würde man von einem Trauma sprechen. In dem Fall spielen auch Suizidgedanken eine Rolle und eine psychische Krankheit“, so der Museumsleiter. Das seien zumindest mögliche Erklärungen.
Maria Ostertag schilderte schändliche Taten
Schuld an ihrem Dasein als Hexe sei ihre Tante, sagte Maria Ostertag aus. Von ihr sei sie in das teuflische Laster der Hexerei verführt worden. Doch die Anschuldigung an die eigene Tante blieb ohne Folgen. Sie war zu diesem Zeitpunkt bereits tot – hingerichtet als Hexe. Aus der gemeinsamen Zeit gibt das Mädchen folgende Geschichten zu Protokoll:
Sie sei mit einem bösen Geist verkuppelt worden, mit dem sie schändliche Unzucht trieb. Dazu komme der Pakt mit dem Teufel. Doch auch reale Taten beschreibt das Mädchen: Sie habe mit ihrer Tante auf dem Friedhof Sankt Wolfgang zwei Kinder ausgegraben und aus den Leichen Teufelssalbe gemacht. „Diese habe sie dann anderen Kindern auf die Brust geschmiert. Dadurch sind sie gestorben“, erzählt Matthias Steuer die grausige Geschichte. Ein weiteres Kind will sie zudem gelähmt haben.
Für ihre Taten und ihr „teuflisches Dasein“büßt die 16-Jährige. Am 21. August 1613 wird sie vom Scharfrichter enthauptet. Ein Gnadenurteil des Landesherrn, dem Fürstpropst persönlich. Denn das Stadtgericht hatte Ostertag, wie alle Hexen und Hexer, zum Tod durch Verbrennen am lebendigen Leib verurteilt. Der Landesherr begnadigte alle – zum Tod am Galgen oder durch das Richtschwert.
Als sie zu ihrer Hinrichtungsstätte ging, muss Maria Ostertag erleichtert gewesen sein. Das geht aus einem Brief eines Jesuiten hervor, welcher zu einer Niederlassung in Ellwangen gehörte. Tapfer und mutig soll die 16-Jährige ihrem Tod entgegen gegangen sein. „Sie sei glücklich, dass sie zeitig gerichtet wird. So habe sie in der Ewigkeit keine allzu lange Strafe zu erwarten“, gibt Steuer den Jesuitenbrief wieder. Denn ansonsten hätte sie als Hexe noch mehr Schandtaten vollbracht und länger dafür in der Hölle büßen müssen. „Der Glaube war sehr stark in den verankert“, so Steuer. Das sei durch eine solche Aussage sehr deutlich.
Wichtig ist es, den Zeitgeist der Vergangenheit zu betrachten
Dieser vorherrschende Zeitgeist sei eines der wichtigsten Kriterien im Rückblick auf derartige Geschichten und Ereignisse, erläutert der Museumsleiter. „Man darf die Vergangenheit nie aus der heutigen Sicht bewerten. Nur unter Berücksichtigung der damaligen Sichtweise lässt sich das Geschehene einordnen.“