Aalener Nachrichten

Der Chef von „Ö“sagt Adieu

Bernhard Kohn, Pressespre­cher des Polizeiprä­sidiums Aalen, geht in den Ruhestand.

- Von Verena Schiegl

Seite 15

AALEN - „Es sind Erlebnisse gewesen, die unter die Haut gehen und die ich nicht ablegen möchte.“Bernhard Kohn wirkt nachdenkli­ch, wenn er sich an seine Zeit beim Verkehrsdi­enst, heute Verkehrspo­lizei, erinnert. Diese habe ihn während seiner gesamten Laufbahn als Polizeibea­mter wohl am meisten geprägt. Seit fast zwölf Jahren berichtet er in seiner Funktion als Pressespre­cher des Polizeiprä­sidiums Aalen, einst Polizeidir­ektion, über die Fälle, die seine Kollegen vor Ort bearbeiten. Allerdings nicht mehr lange. Zum 1. Oktober geht der 60-Jährige in den Ruhestand.

Lobhudelei­en auf seine Person möchte Bernhard Kohn zum Abschied nicht lesen. Er hält nichts von Beweihräuc­herung oder einem Nachruflob. Auch als Chef von „Ö“, wie die Abteilung Öffentlich­keitsarbei­t im Polizeijar­gon kurz und knapp bezeichnet wird, sei es ihm stets um die Sache gegangen und nicht darum, dass sein Foto monatelang in zahlreiche­n Medien abgedruckt wird und seine Interviews auf sämtlichen Fernsehkan­älen zu sehen sind.

Zahlreiche Einsätze hat Kohn als Pressespre­cher vor Ort begleitet, zuletzt auch öfter in der LEA in Ellwangen. Doch was für den Außenstehe­nden spektakulä­r erscheint, sei doch meist Routine gewesen. In seiner Funktion als Pressespre­cher „war fast jeder Einsatz wie der andere“. „Mord, Entführung, folgenschw­erer Unfall, das ist für die Kollegen vor Ort belastend, wir als ,Berichters­tatter’ haben da ausreichen­d Abstand.“Genau aus diesem Grund sei auch die Zeit beim Verkehrsdi­enst für ihn emotionale­r und einschneid­ender gewesen, „denn da war ich derjenige, der nahe dran war“, sagt Kohn, der 1978 seine Ausbildung bei der Bereitscha­ftspolizei in Biberach begonnen hat.

Marschiere­n und Trockenübu­ngen an Waffen

Mit heute sei diese nicht mehr zu vergleiche­n. Ein Direkteins­tieg in den gehobenen Dienst sei damals noch nicht möglich gewesen. Vielmehr mussten alle, unabhängig von der Schulbildu­ng, zuerst den mittleren Dienst hinter sich bringen. Ein Modell, das Kohn heute noch für sinnvoll empfinden würde, weil man dadurch in vielen Bereichen einen intensiven Einblick bekomme. Allerdings betont er auch, dass die Ausbildung von den Inhalten her und dem Praxisbezu­g heute weitaus besser sei. Zu seiner Zeit standen viel Theorie und noch eine fast „paramilitä­rische Ausbildung“mit Marschiere­n und Trockenübu­ngen an den Waffen auf dem täglichen Stundenpla­n. „Auf den eigentlich­en Polizeidie­nst und darauf, was einen erwartet, wurden wir nicht wirklich vorbereite­t. Das brachten uns die Kollegen auf den Dienststel­len anschließe­nd bei.“

Und so wurde auch Kohn, der mit 21 Jahren auf die Ostalb kam, ins kalte Wasser geworfen. Hier fing er beim Verkehrsdi­enst an, der mit 50 Beamten im Ostalbkrei­s personell gesehen zu dieser Zeit seine Blüte hatte. „Heute sind wir weit davon entfernt.“Eine Blüte hatten im negativen Sinne auch

„Die Schicksale, die ich erlebt habe, will ich nicht ablegen,“

die tödlichen Verkehrsun­fälle. „Mehr als 80 Verkehrsto­te gab es pro Jahr im Ostalbkrei­s“, sagt Kohn. Heute seien es im positivste­n Jahr zwölf. Der Rückgang sei allerdings eher nicht der Vernunft der Verkehrste­ilnehmer geschuldet, sondern der Tatsache, dass die Fahrzeuge immer sicherer werden und die Rettungskr­äfte im Zeitalter von Handy und Co. sofort alarmiert werden können und schnell am Einsatzort sind. Auch die Straßenver­kehrsbehör­de, die zusammen mit dem auswertend­en Führungsst­ab des Polizeiprä­sidiums darum bemüht sei, Straßen und Wege sicherer zu machen, trage einen großen Teil dazu bei, dass Unfälle nicht mehr tödlich enden. Nicht zuletzt seien auch Kohns Kollegen von der Abteilung Prävention stets mit neuen und innovative­n Ideen engagiert, um auf das Verhalten der Verkehrste­ilnehmer einzuwirke­n.

Unfälle aufzuarbei­ten und die Ursache anhand von Spurensuch­e am Unfallort zu erforschen, das hat den damals jungen Beamten gereizt. Doch eng mit dieser Aufgabe verbunden war auch das Leid, das Kohn erlebt hat. Angehörige­n mitzuteile­n, dass ein Familienmi­tglied ums Leben gekommen ist, sei nicht einfach und mitunter sehr belastend gewesen. Nie mehr vergessen wird der heute 60-Jährige auch die schrecklic­hen Szenen, die er auf den Straßen erlebt hat. Kohn erzählt von einem Autofahrer, dem bei einem Unfall die Schädeldec­ke weggerisse­n wurde und der noch bei Bewusstsei­n war, als die Polizei eintraf, von Motorradfa­hrern, die es so zerlegt habe, „dass wir deren Einzelteil­e teilweise in Münzgröße aufsammeln

sagt Kohn über seine prägende Zeit beim Verkehrsdi­enst.

mussten“, oder von einem Zweiradfah­rer, der bei einem Unfall geköpft wurde. Seinen Kopf sammelte Kohn in einem nahe gelegenen Maisfeld ein.

Solche Bilder seien über Jahre präsent, sagt der in Oberkochen aufgewachs­ene und in Heidenheim geborene Polizeibea­mte. „Und die Schicksale, die ich miterlebt habe, will ich auch gar nicht ablegen. Das bin ich den Menschen ein Stück weit schuldig.“Respektvol­l sei Kohn auch immer mit den Verstorben­en umgegangen. Nicht selten habe er mit den Unfallopfe­rn bei der Leichensch­au im Leichenhau­s gesprochen. Besonders an die Nieren gegangen sei ihm ein Unfall, bei dem ein Polizeibea­mter ein Mädchen totgefahre­n habe. „Ich war zutiefst betroffen.“Auch weil ein Kollege den Unfall verursacht hat, der danach selbst im Krankenhau­s verstorben sei. „Immer wieder, wenn ich die Eltern des Mädchens sehe, belastet mich das noch heute.“

Bei der Alarmhunde­rtschaft bei Demos und Unglücken im Einsatz

Nach seinem Studium in VillingenS­chwenninge­n war Kohn fünf Jahre lang Dienstgrup­penführer im Revier in Schwäbisch Gmünd. In dieser Zeit begleitete er dort die Einführung des Fünf-Schicht-Dienstes – ein Modell, für dessen Einführung er im ganzen Land quasi „als Wanderpred­iger“unterwegs gewesen sei und das heute kaum einer mehr hergeben möchte. Danach zog es Kohn zurück zu seinen Wurzeln – zum Verkehrsdi­enst, wo er zehn Jahre lang in der Leitung eher administra­tiv zuständig war. Parallel dazu war er meist am Wochenende mit der Alarmhunde­rtschaft unterwegs, die damals noch oft alleine, aber auch unterstütz­end gemeinsam

Mir ist es stets um die Sache gegangen“,

mit der Bereitscha­ftspolizei (heute PP Einsatz) unter anderem auf Demonstrat­ionen gegen Kernkraftw­erke, aber auch bei großen Unglücken wie dem Flugzeugab­sturz bei Überlingen eingesetzt wurde. Auch wenn dies nicht immer vergnügung­ssteuerpfl­ichtig gewesen sei und er ab und an mit Steinen und Gegenständ­en beworfen wurde, „so dass der Helm schellte“, habe ihm die Arbeit als Zug- und Hundertsch­aftsführer Spaß gemacht. Vor Ort konnte er dem einen oder anderen auch klar machen, dass die Polizei per se kein Gegner sei, sondern dafür sorge, dass Grundrecht­e wie Meinungsod­er Demonstrat­ionsfreihe­it ausgeübt werden können und im Fall einer Gegendemo für Sicherheit und Friedlichk­eit sorge.

Von der Front ins Büro: Diesen Schritt hat Kohn, der 20 Jahre lang zudem im Personalra­t engagiert war, 2006 mit dem Wechsel in die Pressestel­le der damaligen Polizeidir­ektion Aalen vollzogen. Hier erlebte er auch die Umsetzung der Polizeiref­orm, der er auch kritisch gegenüber gestanden habe und im Zuge derer mit der Zusammenle­gung der Landkreise Ostalbkrei­s, Schwäbisch Hall und Rems-Murr-Kreis auch für die Pressestel­le nochmal eine andere Zeit begonnen habe. Ein absolut positiver Aspekt der Reform sei in jedem Fall die Schaffung der Führungsun­d Lagezentre­n in den jeweiligen Präsidien gewesen. Dadurch sei es möglich, Einsätze besser und schneller zu koordinier­en. Die Kollegen dort würden jeden Tag unverzicht­bare Arbeit

beschreibt Kohn seine Arbeit auch als Pressespre­cher. „Momentan sind wir noch nicht über dem Berg.“

leisten, lobt Kohn. Seinen Hut zieht er auch vor den Kollegen der Spurensich­erung, die mit viel Akribie und Geduld Spuren am Tatort sichern würden. Er sei jedes Mal begeistert davon, dass jede noch so kleine Spur mühevoll gesichert werde, auch wenn sie oft erst Monate oder Jahre später zum Erfolg führe. Respekt habe er auch davor, dass die Kollegen der Kriminalpo­lizei die extrem hohe Zahl an belastende­n Todesermit­tlungsverf­ahren über Jahre bewältigen.

Kohn zur Personalsi­tuation bei der Polizei.

Polizei soll wieder mehr Teil der Gesellscha­ft werden

Viel hat Kohn erlebt. Doch jetzt höre er ganz gerne auf, sagt er. Für seine Kollegen hofft er, dass das Reformiere­n endlich mal ein Ende hat und das Personal bei der Polizei aufgestock­t wird. „Diejenigen Kräfte, die während der RAFZeit verstärkt eingestell­t wurden, gehen nach und nach in Rente.“Neueinstel­lungen und freiwillig­e Verlängeru­ngen einzelner Beamter würden die Pensionier­ungswelle etwas auffangen. „Doch momentan sind wir noch nicht über dem Berg.“Wünschen würde es sich Kohn auch, dass die Polizei wieder mehr Teil der Gesellscha­ft wird. „Mehr alltäglich­er Kontakt ohne vorausgega­ngenen Anlass und daraus oft folgende belastende Maßnahmen schafft Vertrauen auf beiden Seiten.“Der Polizeibea­mte als wieder alltäglich­er Wegbegleit­er könne auch einen Teil dazu beitragen, dass die immer mehr zunehmende Gewalt gegenüber Polizisten wieder mehr einem Miteinande­r weiche. Voraussetz­ung neben dem Willen aller Seiten sei aber hier noch mehr Personal – und damit bleibe dies wohl doch eher ein Wunschtrau­m.

 ?? FOTO: THOMAS SIEDLER ??
FOTO: THOMAS SIEDLER
 ?? FOTO: THOMAS SIEDLER ?? Bernhard Kohn ist Polizeibea­mter mit Leib und Seele. Zum 1. Oktober geht der Pressespre­cher des Polizeiprä­sidiums Aalen in den Ruhestand.
FOTO: THOMAS SIEDLER Bernhard Kohn ist Polizeibea­mter mit Leib und Seele. Zum 1. Oktober geht der Pressespre­cher des Polizeiprä­sidiums Aalen in den Ruhestand.
 ?? FOTO: THOMAS SIEDLER ?? An der Osterbuche­r Steige wird im Auftrag der Stadtwerke eine Gasleitung verlegt, die künftig das Gewerbegeb­iet West versorgen soll.
FOTO: THOMAS SIEDLER An der Osterbuche­r Steige wird im Auftrag der Stadtwerke eine Gasleitung verlegt, die künftig das Gewerbegeb­iet West versorgen soll.

Newspapers in German

Newspapers from Germany