„Mit einer Haftstrafe ist zu rechnen“
Mesale Tolu aus Neu-Ulm wird mit ihren Anwälten abwägen, ob sie zu ihrem Prozess in die Türkei reist
FRIEDRICHSHAFEN - Sieben Monate lang saß die Journalistin und Übersetzerin Mesale Tolu aus Neu-Ulm wegen angeblicher Terrorpropaganda in der Türkei in Untersuchungshaft. Inzwischen ist sie mit ihrem kleinen Sohn nach Deutschland zurückgekehrt. Doch ihr Mann ist nach wie vor inhaftiert. Ulrich Mendelin interviewte sie auf dem Bodensee Business Forum.
Frau Tolu, Ihr nächster Prozesstag in der Türkei ist am 16 Oktober. Sie wollen dann in die Türkei fliegen. Erwarten Sie neue Repressionen?
Ganz sicher ist es noch nicht, ob ich zurück fliege. Für mich persönlich erwarte ich keine Repressalien. Natürlich kann man nicht von einem Rechtsstaat in der Türkei ausgehen, es herrscht eine Willkürjustiz – dort kann alles passieren. Seit meiner Freilassung sind wieder viele Menschen in Haft gekommen, unter ihnen Max Zirngast, ein österreichischer Journalist.
Was macht sie zuversichtlich, dass Sie Ihren Prozess besuchen – und dann auch wieder nach Hause zurückkehren können?
Sicher ist gar nichts, wie gesagt. Es ist einfach ein bisschen Mut – und Vertrauen in meine Anwälte. Es ist aber auch wichtig, weil mein Mann immer noch in der Türkei festgehalten wird. Er hat eine Ausreisesperre, und wir werden im selben Prozess vor demselben Richter stehen. Deswegen wäre es für die Glaubwürdigkeit wichtig, dass ich vor Gericht erscheine. Die Entscheidung ist aber eine Frage der Abwägung, die ich mit meinen Anwälten entscheide.
Was für ein Ergebnis erwarten Sie bei Ihrem Prozess?
Die Erfahrung zeigt, dass sehr viele Menschen lange Haftstrafen bekommen werden. Meine Anwälte denken auch, dass viele neue Prozesse mit Haftstrafen enden werden – auch meiner. Wie hoch die Haftstrafe sein wird, das können wir nicht abmessen. Das Höchstmaß liegt derzeit bei 20 Jahren. Wenn ein Teil der Vorwürfe wegfällt, dann sind immer noch acht bis neun Jahre möglich. Die Türkei zeigt sehr ungern, dass sie sich schuldig gemacht hat, indem sie jemanden zu Unrecht inhaftiert. Deswegen werden die meisten Menschen verurteilt.
Teils erleben auch die Anwälte von Kritikern Repressionen. Ist das in Ihrem Fall auch so?
Nicht die Anwälte, die mich vertreten. Aber aus meiner Anwaltskanzlei sind drei Anwälte inhaftiert, zwei Frauen und ein Mann, weil sie ihre Mandanten begleitet haben auf verschiedenen Veranstaltungen, oder weil sie sich für diese Mandanten eingesetzt haben.
Kommende Woche besucht Erdogan Deutschland. Es gibt einen Empfang mit militärischen Ehren und ein Staatsbankett. Ist das angemessen?
Es hätte eine Nummer kleiner gehen müssen. Vor allen angesichts dessen, dass in der Türkei die Repressionen weitergehen. Jetzt denkt die Opposition, die Bundesrepublik akzeptiert das neue Präsidialsystem. Das ist schade für die Menschen, die in der Türkei für mehr Demokratie kämpfen.
Wie würden Sie sich die deutschtürkischen Beziehungen unter den aktuellen Bedingungen vorstellen? Ein Abbruch kann ja auch keine Lösung sein.
Ich wünsche mir natürlich keinen Abbruch. Es muss einen Dialog geben. Aber ich wünsche mir, dass die Bundesregierung auch die oppositionellen Kräfte besucht oder zu Besuchen einlädt und sich anhört, welche Menschenrechtsverletzungen und welche Ungerechtigkeiten in diesem Land herrschen. Die Oppositionsführer, die nach Deutschland kommen, sollten mit denselben Ehren empfangen werden wie Präsident Erdogan.
Die türkische Gesellschaft ist sehr gespalten. Und das gilt auch für die türkische Community in Deutschland. Spüren Sie das in Ihrem Umfeld auch?
Direkt in meinem Umfeld nicht. Aber ich spüre es. Seit ich wieder in Deutschland bin, bekomme ich über Social Media Nachrichten, vor allem von Türken, die in Deutschland leben, die mich beleidigen oder auch bedrohen. Daran sieht man, dass diese Community sehr fest verankert ist. Recep Tayyip Erdogan hat schon immer ein Feindbild aufgebaut, mal war es Deutschland, mal waren es die Vereinigten Staaten. Die Menschen fühlen sich dann angegriffen und haben das Gefühl, sie müssen zusammenhalten. Dann differenzieren sie nicht mehr, und dann werden alle, die die Türkei kritisieren, als Spione, Agenten oder Verräter beleidigt.
Wie kann man denn damit umgehen?
Ich denke, in Deutschland ist es möglich, damit umzugehen. Ich kann zum Beispiel AKP-Wählern erklären, dass ich es nicht schlimm finde, dass sie AKP gewählt haben, weil die Partei ihre Interessen angesprochen hat. Aber wenn sie mir zuhören, kann ich die Schattenseite des türkischen Staates zeigen. Vielleicht kann ich sie auch überreden.
Bekommen Sie eigentlich in irgendeiner Form Schutz vom deutschen Staat?
Ich brauche keinen Schutz. Ich bin eine ganz normale Journalistin, die wieder zurück in Deutschland ist, in ihrer Heimat.
Bekommen Sie diese Hassbotschaften nur von türkischen Nationalisten?
Zumeist kommen sie von türkischen Faschisten. Vereinzelt aber auch von Deutschen, die mich nicht als Deutsche anerkennen wollen.