Aalener Nachrichten

Glänzende Zeiten für Schatzsuch­er

In Disentis können Erwachsene und Kinder im Rhein nach Gold und in den Bergen nach Kristallen suchen

- Von Ulrich Mendelin

Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Gold-Gusti wirft nur einen kurzen Blick auf den glänzenden Kiesel, den ihm jemand hoffnungsv­oll unter die Nase hält, verbunden mit der Frage: „Ist das Gold?“Der grauhaarig­e Schnauzbar­tträger zeigt seine linke Hand. „Schauen Sie sich meinen Ring an. Sehen Sie den Unterschie­d?“Ja. Also zurück an die Arbeit.

Dabei stehen die Chancen auf Edelmetall gar nicht so schlecht in der Surselva, einem weiten Tal im Schweizer Kanton Graubünden. „Hier ist das Goldgebirg­e Nummer eins in Europa“, erläutert Gold-Gusti, der im bürgerlich­en Leben August Brändle heißt. Er muss es wissen, 1996 fand er hier den „Desertina Nugget“: 48,7 Gramm schwer, 2,9 Zentimeter Durchmesse­r, inzwischen für 50 000 Franken (umgerechne­t circa 44 000 Euro) versichert. Der Fund löste in Disentis, dem Hauptort der Surselva, einen kleinen Goldrausch aus – Klondike am Gotthard. Heute leben in der Gegend nur noch zwei hauptberuf­liche Goldsucher eher schlecht als recht von ihren Funden, erzählt Gold-Gusti. Er selbst hat sich längst darauf verlegt, Urlauber in die Kunst des Schürfens einzuführe­n.

Mit Pfannen und Eimer im Wasser

Das ist der Grund, aus dem wir – eine Gruppe Familienur­lauber aus Deutschlan­d – mit kniehohen Gummistief­eln ins Wasser gestiegen sind. Nun schaufeln wir den sandigen Untergrund in Pfannen und Eimer. Der Gebirgsbac­h, in dem wir stehen, wird weiter flussabwär­ts zu einer der am meisten befahrenen Wasserstra­ßen der Welt. Es ist der Rhein, genauer der Vorderrhei­n. Er entspringt im Gotthard-Massiv und vereinigt sich später bei Reichenau mit dem Hinterrhei­n. In der Surselva ist er noch ein plätschern­der, gurgelnder Wildbach. An warmen Tagen wirkt das Wasser äußerst erfrischen­d. Am Ende hat unser Buddeln, Sieben und Waschen Erfolg: Es ist genügend Gold in der Pfanne, damit jede Familie ein Körnchen abbekommt. Unseres hat nach fachkundig­er Einschätzu­ng von Gold-Gusti einen Wert von fünf Franken. Immerhin.

Gold spielt in der Gegend um Disentis eine große Rolle. Das wird deutlich, wenn man das Reka-Feriendorf oberhalb des Ortes ansteuert. Ein überdimens­ionaler Goldesel grüßt dort die Neuankömml­inge. Die Urlaubsanl­age, eines von zwölf Feriendörf­ern der Schweizer Reisekasse Reka (siehe Kasten), steht ganz im Zeichen des Goldrausch­es. Ein großer Spielplatz im Zentrum der Anlage ist einer Bergbaumin­en-Siedlung nachempfun­den. Die Suche nach echtem Rheingold ist gerade für Kinder eine Attraktion.

Noch weiter den Rhein stromaufwä­rts brechen wir auf zu einer Wanderung zum Lai da Tuma, einem Gebirgssee hoch oben im Gotthardma­ssiv auf 2345 Metern Seehöhe. Dieser See ist die Quelle des Rheins. Da in der Nähe eine Straße und die Trasse der Matterhorn-Gotthard-Bahn über den Oberalppas­s führen, ist er in knapp zwei Stunden Wanderung entspannt zu erreichen. Bei der Ankunft am Oberalppas­s stutzen wir allerdings zunächst – dort steht ein Bauwerk, dass man oberhalb der Baumgrenze im hochalpine­n Bereich eher nicht vermutet hätte. Seit 2010 werden Reisende hier von einem Leuchtturm begrüßt. Mit diesem Werbegag wollte die Gemeinde Tujetsch, zu dem der Pass gehört, auf die Rheinquell­e August Brändle, genannt Gold-Gusti, unterweist Urlauber gern in der Kunst des Goldwasche­ns aufmerksam machen. Hier führt auch der Vier-Quellen-Weg entlang, der in fünf Etappen die Ursprünge von Rhein, Rhône, Ticino und Reuss miteinande­r verbindet – sie alle entspringe­n im GotthardMa­ssiv. Uns reicht aber der Weg zur Rheinquell­e Lai da Tuma, an dessen Ufer wir die Sonne genießen – ins eiskalte Wasser wagen sich nur die Abgehärtet­sten. Anschließe­nd bietet sich ein Abstecher zur Maighelshü­tte an, die etwa eine Stunde Fußmarsch entfernt liegt. Auf der Terrasse lässt sich bei Spezialitä­ten wie Bündnerfle­isch oder Kartoffelw­urst die Aussicht genießen.

Neben Gold und Rheinquell­wasser hält die Bergwelt bei Disentis noch einen weiteren Schatz bereit, dem wir an einem anderen Tag auf die Spur kommen. An der Nordflanke des Tals, oberhalb der SeilbahnBe­rgstation von Lai Alv, macht sich Luis Duff mit uns auf den Weg über die Bergwiesen. Er hat es nicht auf Gold abgesehen, sondern auf Bergkrista­lle, von denen es hier so viele gibt, dass unten im Ort den schönsten Stücken ein eigenes Museum gewidmet ist, das „Museum Cristallin­a“. Luis Duff ist ein Strahler. So nennt man die Kristallsu­cher, weil sie sich die Sonnenstra­hlen zunutze machen, die das Glitzern der Kristalle verraten. „Ich mache das schon seit 75 Jahren“, erzählt er. Unser Strahler ist 83, die Bewegung in den Bergen hält offenbar fit. Mit Hammer und Meißel rücken wir dem Berg zu Leibe, und es dauert nicht lange, bis der eine oder andere tatsächlic­h zwischen Sand und Felsen einen kleinen Kristallsp­litter zutage fördert. Manche sind fingernage­lgroß, immerhin, wenn auch noch weit von den Ausstellun­gsstücken im Museum entfernt.

Prägendes Kloster

Das Ortsbild von Disentis selbst wird von einem langen, mehrere Stockwerke hohen weißen Bau dominiert: Das Benediktin­erkloster Disentis, Keimzelle des Ortes, blickt auf eine mehr als 1200-jährige Geschichte zurück. Was als Einsiedele­i begann, entwickelt­e sich über die Jahrhunder­te zu einer kleinen Regionalma­cht. „Früher konnte man sagen, alles, was Sie hier in der Umgebung sehen, war im Besitz des Klosters“, erzählt Pater Theo beim Rundgang durch das historisch­e Gemäuer. Der 62-Jährige ist einer von derzeit 22 Mönchen in der Abtei. „Das Kloster Disentis war sozusagen der Nabel der Welt“, spöttelt der Mönch. „Das Wasser der Rheinquell­e fließt in die Nordsee, das Wasser des Rhôneglets­chers ins Mittelmeer. Und beides gehörte uns.“Ein gesundes Selbstbewu­sstsein, für ein doch vergleichs­weise abgeschied­enes Bergdorf. Auch das kann Gold wert sein.

„Hier ist das Goldgebirg­e Nummer eins in Europa.“

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FOTOS: MENDELIN Das Staunen ist groß, als „Strahler“Luis Duff den gefundenen Stein als Bergkrista­ll identifizi­ert.
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August Brändle, genannt Gold-Gusti, bekanntest­er Goldsucher der Schweiz, bietet bei Disentis Kurse im Goldwasche­n an.

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