Aalener Nachrichten

Friedensno­belpreis für Jesidin Nadia Murad

IS-Opfer lebt seit der Flucht in Baden-Württember­g – Arzt aus dem Kongo zweiter Preisträge­r

- Von Ludger Möllers und unseren Agenturen

OSLO/STUTTGART/ULM - Für ihren Kampf gegen sexuelle Gewalt als Waffe in Kriegen und Konflikten erhalten der kongolesis­che Arzt Denis Mukwege und die irakische Menschenre­chtsaktivi­stin Nadia Murad den Friedensno­belpreis 2018. Die beiden Menschenre­chtler hätten sich in herausrage­nder Weise gegen solche Kriegsverb­rechen eingesetzt, erklärte das norwegisch­e Nobelkomit­ee am Freitag in Oslo. In Baden-Württember­g wurde die Auszeichnu­ng für Murad mit besonderer Freude und Zustimmung aufgenomme­n. Hier hat die 25-jährige Jesidin nach ihrer Flucht aus den Fängen der IS-Terroriste­n eine neue Heimat gefunden.

„Wir freuen uns von Herzen für sie über diese große Ehrung“, sagte Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n am Freitag in Stuttgart. Kretschman­n hatte seinerzeit maßgeblich­en Anteil daran, dass im Rahmen eines Hilfsproje­ktes für besonders schutzbedü­rftige Frauen und Kinder aus dem Nordirak mehr als 1000 von IS-Terroriste­n bedrohte jesidische Frauen und Kinder im Südwesten aufgenomme­n wurden. Unter ihnen war auch Nadia Murad.

Der Traumaspez­ialist Jan Kizilhan, der Murad nach ihrer Flucht aus der Gewalt von IS-Terroriste­n ärztlich betreute, sagte der „Schwäbisch­en Zeitung“: „Ich habe Nadia Murad 2015 kennengele­rnt, als sie zusammenge­krümmt in einem Zelt lag.“Heute ist sie UN-Sonderbots­chafterin für die Opfer von Menschenha­ndel und nun Friedensno­belpreistr­ägerin. „Der Preis ist eine großartige Anerkennun­g auch an die Landesregi­erung in Baden-Württember­g, die es ermöglicht hat, dass Nadia Murad diese Entwicklun­g machen konnte“, sagt Kizilhan.

Murad hat in einer ersten Reaktion Menschen verschiede­ner Religionen aufgeforde­rt, sich auszusöhne­n und Konflikte beizulegen. „Ich hoffe, dass dieser Preis dazu führen kann, dass sich Menschen akzeptiere­n, obwohl sie verschiede­ne Religionen haben und dass sie in Frieden miteinande­r leben können“, sagte sie in einem von der Nobelpreis­stiftung veröffentl­ichten Interview.

Denis Mukwege sieht seine Auszeichnu­ng mit dem Friedensno­belpreis als Zeichen, dass die Weltgemein­schaft ihre Augen nicht vor sexueller Gewalt verschließ­t. „Dieser Preis gibt Frauen, die vergewalti­gt wurden, Hoffnung, dass sie nicht vergessen wurden“, sagte der 63-Jährige, der von seiner Auszeichnu­ng im OPSaal im Panzi-Hospital im Ostkongo erfuhr. Mukwege behandelt als Gynäkologe Frauen, die Opfer von sexueller Gewalt wurden. Er gilt als weltweit führender Experte für die Behandlung von Verletzung­en durch Gruppenver­gewaltigun­gen.

Der Friedensno­belpreis ist in diesem Jahr mit neun Millionen schwedisch­en Kronen (etwa 874 000 Euro) dotiert. Er wird am 10. Dezember, dem Todestag von Preisstift­er Alfred Nobel (1833-1896), in Oslo verliehen.

VILLINGEN-SCHWENNING­EN (sz) - Der Psychologe und Traumaspez­ialist Jan Ilhan Kizilhan (Foto: Stefanie Järkel) von der Dualen Hochschule VillingenS­chwenninge­n sieht im Friedensno­belpreis für Nadia Murad ein wichtiges Signal für alle Jesiden. Kizilhan begleitet Murad seit 2015 intensiv: therapeuti­sch und persönlich. Im Gespräch mit Ludger Möllers sagt Kizilhan, der auch bei der Weihnachts­aktion „Spenden bringt Freude“der „Schwäbisch­en Zeitung“mitarbeite­t, der Preis ermutige alle Initiative­n, sich im Kampf gegen Terror und für Menschenre­chte verstärkt einzusetze­n.

Herr Professor, wie entstand Ihre Bekanntsch­aft mit der neuen Friedensno­belpreistr­ägerin?

Ich habe Nadia Murad 2015 kennengele­rnt, als sie zusammenge­krümmt in einem Zelt lag. Ich habe sie dann ärztlich betreut, nachdem sie eine dreimonati­ge Gefangensc­haft der Terrormili­z „Islamische­r Staat“überlebt hatte. Die junge Frau wurde als Sexsklavin gehalten, misshandel­t, vergewalti­gt und versklavt.

Können Sie uns über ihre Herkunft berichten?

Sie stammt aus einfachen Verhältnis­sen und kommt aus einem Dorf im Sindscharg­ebirge, das durch den IS zerstört wurde. Sechs Brüder und ihre Mutter wurden von der IS-Miliz getötet. Ihr selbst gelang nach drei Monaten mithilfe einer Nachbarfam­ilie die Flucht.

Und wie kam Nadia Murad nach Deutschlan­d?

Sie ist mit dem Jesiden-Kontingent nach Deutschlan­d gekommen: Rund 1000 Jesidinnen aus dem Nordirak fanden durch ein Hilfsangeb­ot der Landesregi­erung Baden-Württember­gs Schutz. Daher ist der Nobelpreis eine großartige Anerkennun­g auch an die Landesregi­erung in Baden-Württember­g, die es ermöglicht hat, dass Nadia Murad diese Entwicklun­g machen konnte.

Nun hat das Nobelkomit­ee die internatio­nale Arbeit Murads gewürdigt. Wie kam es dazu?

Ich bin als Gutachter für die Vereinten Nationen tätig. Ich habe Nadia Murad 2015 den UN vorgeschla­gen für eine Rede: Diese hat die Verantwort­lichen so beeindruck­t, dass Nadia Murad Sonderbots­chafterin geworden ist. Sie engagiert sich für die Würde der Überlebend­en von Menschenha­ndel. Sie ist eine großartige Frau, die wie keine andere das jesidische Volk repräsenti­ert.

Was bedeutet der Preis für Frau Murad?

Ich hoffe, dass der Preis auch einen stabilisie­renden psychische­n Effekt für Nadia Murad und andere von sexueller Gewalt betroffene Frauen hat. Der Preis zeigt, dass die Welt sie gehört hat. Denn diese Auszeichnu­ng ist sicher auch Anerkennun­g, dass dieser Völkermord an den Jesiden passiert ist, und stellt auch so was wie Gerechtigk­eit dar.

Welche Bedeutung für die Jesiden hat der Nobelpreis?

Der Nobelpreis steht als Zeichen für den Kampf gegen den Terror. Er ist eine Würdigung für alle Frauen, die durch die Hölle gegangen sind. Ich hoffe, dass durch den Nobelpreis nun das Licht der Weltöffent­lichkeit auf die Situation der Frauen im Nordirak fällt. Der Friedensno­belpreis zeigt, dass alle, die sich dort engagieren, auf dem richtigen Weg sind: Daher ist die Weihnachts­spendenakt­ion der „Schwäbisch­en Zeitung“ein toller Beitrag, das Engagement der Friedensno­belpreistr­ägerin in konkrete Hilfe vor Ort umzusetzen.

Und wie werden Sie den Preis verarbeite­n?

Ich werde Nadia Murad helfen, sich in der neuen Situation psychisch zu stabilisie­ren.

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