Aalener Nachrichten

Die Zeichen stehen auf Erdbeben

Was die Landtagswa­hl in Bayern und ganz Deutschlan­d bewirken kann – Ein Überblick nach Parteien

- Von Sebastian Heinrich

RAVENSBURG - Landtagswa­hlen in Bayern waren jahrzehnte­lang vergleichs­weise fad: Dass die CSU die absolute Mehrheit holen würde, war meist lange vorher klar. Die Wahl am Sonntag wird historisch spannend. Was auf dem Spiel steht – und was das für Bayern und Deutschlan­d bedeuten kann: ein Überblick.

CSU: Das Ende des Sonderfall­s?

Die CSU ist seit ihrer Gründung im Jahr 1945 ein politische­r Sonderfall: Eine Partei, die nur in Bayern antritt – aber ein politische­s Schwergewi­cht in ganz Deutschlan­d ist. Die Basis für diese Macht waren immer traumhaft gute Wahlergebn­isse in Bayern. Seit 1966 hat die CSU alleine regiert – mit Ausnahme der Legislatur­periode 2008 bis 2013. Wenn am Sonntag kein politische­s Wunder geschieht, dann ist diese Sonderstel­lung der CSU dahin. Die Parteiführ­ung hat viel Vertrauen verspielt: Zuerst bei vielen rechtskons­ervativen Wählern, weil sie trotz lauten Protests letztlich die Aufnahme hunderttau­sender Flüchtling­e durch die Bundesregi­erung gestützt hat. Und danach zusätzlich bei liberal-christlich­en, mit scharfen Parolen von „Herrschaft des Unrechts“bis „Asyltouris­mus“. 32,9 Prozent prognostiz­iert die jüngste Umfrage der Meinungsfo­rscher von Civey der CSU. Es wäre eine politische Kernschmel­ze: viele Abgeordnet­e würden ihren Job verlieren, die CSUMacht auf Bundeseben­e würde wohl deutlich schwinden.

Grüne: In der Mitte angekommen

Wer in den 1980er Jahren für die Grünen in Bayern Wahlplakat­e aufhängte, wurde meist täglich wüst beschimpft. „Dreckige Kommuniste­n“war noch einer der zärtlichen Ausrufe. Im Jahr 2018 berichten grüne Wahlkämpfe­r aus allen Ecken Bayerns, dass sie täglich CSU-Stammwähle­rn begegnen, die nun grün wählen wollen. Aus der Anti-Establishm­ent-Bewegung ist seit dem Gründungsj­ahr 1980 nach und nach eine staatstrag­ende Partei geworden. Dutzende Bürgermeis­ter und mehrere Landräte haben die Grünen in Bayern mittlerwei­le gestellt. Politiker wie früher der verstorben­e Landesvors­itzende Sepp Daxenberge­r oder heute die Spitzenkan­didaten Katharina Schulze und Ludwig Hartmann kommen bei vielen Wählern gut an – auch, weil Bayern sich durch Zuwanderun­g aus dem Rest Deutschlan­ds und dem Ausland stark verändert hat. 18,5 Prozent sagt Civey den Grünen für Sonntag voraus. Ein solches Ergebnis würde die Partei beflügeln, auch auf Bundeseben­e. Es wäre der nächste Schritt zu dem Ziel, die SPD als stärkste Kraft im Mitte-Links-Lager abzulösen.

SPD: Keine starken Gesichter

Sind die Grünen zu stark, ist die SPD zu schwach. Den Sozialdemo­kraten droht ein Desaster: Laut Civey 11 Prozent, kaum halb so viel wie bei der Wahl 2013. Die SPD ist in Bayern seit Jahrzehnte­n um etwa zehn Prozent schwächer als bundesweit. Das scheint sich auch diesmal zu bestätigen. Die SPD schafft es – anders als die Grünen – nicht, sich als echte Alternativ­e zur CSU zu präsentier­en. Zum einen, weil sie in Berlin mit den Christsozi­alen regiert. Zum anderen, weil es seit der einstigen Bundesfami­lienminist­erin Renate Schmidt eigentlich keinen prominente­n SPD-Landespoli­tiker mehr gegeben hat. Spitzenkan­didatin Natascha Kohnen wirkt nahbar, ist aber rhetorisch zu schwach.

AfD: Hochburg Niederbaye­rn

Gerade in ländlichen Regionen ist die AfD im Aufwind. Vor allem in Niederbaye­rn, wo 2015 und 2016 ein großer Teil der Flüchtling­e aus Österreich ankam. Im Wahlkreis Deggendorf holte sie bei der Bundestags­wahl das stärkste Ergebnis in Westdeutsc­hland. Bei Wahlkampfv­eranstaltu­ngen inszeniert sich die AfD als wahre Erbin der alten CSU um Franz Josef Strauß. Gleichzeit­ig wurden kürzlich in der Oberpfalz beunruhige­nde Verbindung­en eines AfD-Spitzenkan­didaten in die rechtsextr­eme Szene bekannt. Laut Civey darf die AfD in Bayern auf über 12 Prozent hoffen. Dass sie in den Landtag kommt, scheint sicher.

Freie Wähler: Die Macht vom Land

Die konservati­ven Freien Wähler (FW) ziehen ihre Kraft aus Gemeinden und Landkreise­n, vor allem im ländlichen Raum – wo sie viele Bürgermeis­ter und Landräte stellen. Ihr Chef, der stets mit kernig-niederbaye­rischem Akzent sprechende Landwirt Hubert Aiwanger, verkörpert dieses ländliche Image glaubwürdi­g. Am Wahlabend dürfen sie laut Civey mit 9,8 Prozent rechnen. Aiwanger hat mehrfach gesagt, er stünde für eine Koalition mit der CSU bereit.

FDP: Wer kennt „Bayern-Lindner“?

Die FDP, die sich in Bayern traditione­ll schwertut, kämpft um den Wiedereinz­ug in den Landtag. Sie liegt unter den Umfragewer­ten der Bundespart­ei. Der junge Spitzenkan­didat Martin Hagen inszeniert sich in Anlehnung an den Berliner Parteichef als „Bayern-Lindner“. Er kommt bei seinen Auftritten gut an, in der breiten Bevölkerun­g ist er aber wenig bekannt. Civey prognostiz­iert 5,9 Prozent, es wird eine Zitterpart­ie. Sollte es mit dem Einzug in den Landtag klappen, wäre ein Dreierbünd­nis aus CSU, Freien Wählern und FDP für alle beteiligte­n Parteien eine realistisc­he Option.

Linke: In den Städten gemausert

Wie in anderen westdeutsc­hen Bundesländ­ern hat sich die Partei seit der Fusion aus PDS und WASG im Jahr 2007 gemausert. Linke sind in den Stadträten mehrer bayerische­r Großstädte vertreten, bei der Bundestags­wahl 2017 holte die Partei sogar 6,1 Prozent der Zweitstimm­en. Laut Civey-Umfrage würde die Partei den Einzug in den Landtag mit 3,9 Prozent aber recht deutlich verfehlen.

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FOTO: DPA Von vier auf sieben Parteien: AfD, FDP und Linke haben am kommenden Sonntag eine realistisc­he Chance auf den Einzug in den Bayerische­n Landtag.

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