Eigenen Sohn vergewaltigt – Gutachter zweifelt Glaubwürdigkeit an
Noch kein Urteil im Aalener Missbrauchsprozess – Vaterschaft an Halbbruder wird ausgeschlossen
AALEN (gk,dpa) - Mehr als zehnmal soll eine 42-jährige Frau aus Aalen ihren leicht geistig behinderten Sohn im Kindesalter sexuell missbraucht haben. Das gab der Junge bei einer aufgezeichneten Videovernehmung zu Protokoll. Sie wurde am Donnerstag vor dem Amtsgericht Aalen vorgeführt. Zuletzt sei er von der Mutter im Alter von zwölf Jahren zum Geschlechtsverkehr gezwungen worden, berichtete das mutmaßliche Opfer bei der Vernehmung durch einen Ermittlungsrichter im März 2016 im Polizeipräsidium Ellwangen. Die Glaubwürdigkeit und Verwendbarkeit der Aussage beurteilten Gutachter jedoch unterschiedlich.
An diesem zweiten Verhandlungstag vor dem Aalener Schöffengericht unter Vorsitz von Amtsgerichtsdirektor Martin Reuff wegen sexuellen Kindesmissbrauchs hat es noch kein Urteil gegeben. Die Staatsanwaltschaft Ellwangen wirft der Frau vor, am 4. Mai 2011 mit ihrem damals 12-jährigen Sohn Geschlechtsverkehr gehabt zu haben (wir haben berichtet). Im Mittelpunkt der Verhandlung am Donnerstag stand zum einen ein Video von der Vernehmung des Sohnes vom März 2016 durch den damaligen Ermittlungsrichter Norbert Strecker in Ellwangen und zum anderen die Gutachten der Psychologen zur Schuldfähigkeit der Mutter und zur Glaubwürdigkeit des mutmaßlichen Opfers.
Bei der Vernehmung vor rund zweieinhalb Jahren hatte der Sohn seine Mutter schwer beschuldigt. So soll es nicht erst Anfang Mai 2011 zum sexuellen Missbrauch gekommen sein, sondern bereits ab dem Jahr 2002, als er gerade mal drei Jahre alt gewesen sei. Bereits zu Beginn des Jahres 2011 wurde der Junge auf Beschluss des Familiengerichts von der Mutter getrennt und in einer Pflegefamilie im Ries untergebracht. Dort war er immer wieder in psychologischer Behandlung und hat sich Ende 2015 seinem Pflegevater anvertraut, der daraufhin Anzeige bei der Ellwanger Staatsanwaltschaft erstattet hat.
Gutachter widersprechen sich
Im Raum stand auch die Befürchtung des Jungen, dass er der Vater seines Halbbruders sein könne. Dies wurde jedoch von einem Mitarbeiter des Jugendamts ausgeschlossen. Er sagte als Zeuge in der Verhandlung aus, dass die zeitliche Abfolge nicht passe – der Halbbruder wurde erst im Juni 2013 geboren. Thomas Heinrich vom Zentrum für Psychiatrie in Winnenden bescheinigte der beschuldigten Mutter in seinem Gutachten eine verminderte Intelligenz und daraus folgend auch eine verminderte Schuldfähigkeit.
Die beiden psychologischen Gutachter Judith Arnscheid aus Stuttgart und Josef Rohmann von der Universität Tübingen beurteilten die Glaubwürdigkeit des mutmaßlichen Opfers. Beide waren sich darin einig, dass bei dem Jungen eine leichte geistige Behinderung vorliegt. Der mittlerweile volljährige junge Mann ging früher in einen Sonderkindergarten und hat danach eine Schule für geistig Behinderte im Ostalbkreis besucht.
Arnscheid kam in ihrem Gutachten zu dem Schluss, dass man eine Glaubwürdigkeit des Jungen durchaus annehmen könne. Eine Lügenhypothese schloss sie aufgrund der eingeschränkten geistigen Fähigkeiten aus und für eine Auto- oder Fremdsuggestion sah sie keine Anhaltspunkte. Josef Rohmann kam zu einem völlig anderen Ergebnis. Er hielt es für ausgeschlossen, dass sich der Junge aufgrund seiner eingeschränkten kognitiven Fähigkeiten an Ereignisse erinnern könne, die ihm im Alter von drei oder vier Jahren widerfahren sind. Er hielt die Zeugenaussage des Jungens für nicht gerichtsverwertbar.
Der Rechtsanwalt der Mutter, Peter Hubel, bezeichnete das Vernehmungsvideo unter Hinweis auf dessen schlechte technische Qualität als „völligen Müll“. Die Aussage des mutmaßlichen Opfers sei kaum verständlich. Staatsanwalt Ulrich Karst hingegen hält entscheidende Aussagen für ausreichend verständlich, wie er erklärte. Der Gutachter Rohmann bemängelte, dass wichtige Einzelheiten zum angeblichen Sex mit der Mutter in den Zeugen hineingefragt und nicht von allein von ihm geschildert worden seien: „Diese Art und Weise der Befragung ist fragwürdig.“
Angeklagte bestreitet alles
Die Angeklagte bestreitet in dem am 27. September eröffneten Verfahren alle Vorwürfe vehement. Sie wirft dem Pflegevater des Jungen, in dessen Obhut ihn das Jugendamt gegeben hatte, einen unbestimmten Racheakt vor. Sie sei lesbisch, machte die Frau zudem geltend, und habe mithin gar kein Interesse an Sex mit männlichen Personen.
Der Verteidiger betonte die psychische Belastung, die dieser Prozess für die Angeklagte mit sich bringt. „Jeder einzelne Prozesstag ist für sie die Hölle“, sagte Huber. „Ich bin mit den Nerven am Ende“, sagte die Frau. Vor Gericht ist sie mit einer türkisfarbenen Kette mit einem Kreuz erschienen. Mitgebracht hat sie ihre Bibel. Sie sei eine gute Katholikin, hatte sie vorher zu Protokoll gegeben.
Das Urteil, das zunächst für Donnerstag in Aussicht gestellt worden war, soll nun am 18. Oktober unmittelbar nach den Plädoyers verkündet werden.