Prozessstart gegen Mitglied aus rockerähnlicher Gruppe
29-jähriger Heidenheimer muss sich wegen Drogenhandels und Geldfälschung vor Landgericht verantworten
ELLWANGEN - Zwei Männer sitzen am ersten Prozesstag vor der Ersten Großen Strafkammer im Ellwanger Landgericht. Der eine auf der Anklagebank, der andere im Zeugenstand. Sie beide könnten Licht ins sprichwörtliche Dunkel bringen. Doch der 29-jährige Deutsche mit Migrationshintergrund aus Heidenheim, der sich wegen Drogenhandels und Geldfälschung verantworten muss, schweigt. Der Zeuge hingegen hat erhebliche Probleme mit dem Gedächtnis.
Eines haben sie gemeinsam: Sie sitzen im Gefängnis. Der Angeklagte seit April in Untersuchungshaft – zuerst in Ravensburg, jetzt in Schwäbisch Hall. Der Zeuge wurde bereits verurteilt, wird ebenfalls in Handschellen und Fußfesseln hereingeführt. Doch wo er einsitzt, wird nicht bekannt gegeben. „Aus Sicherheitsgründen“, wie der Vorsitzende Richter Gerhard Ilg erwähnt.
Denn der 28-jährige Deutsche tritt als Kronzeuge auf. Mit dem Angeklagten verbindet ihn eine mittlerweile verblasste Bruderschaft und mehrere Geschäfte. Dabei ging es um Anabolika, Kokain, Marihuana und Falschgeld. „Es hat gepasst. Bis ich gemerkt habe, dass er ein falsches Spiel spielt“, so der Zeuge. Und ergänzt: „Doch das habe ich zu spät gemerkt.“
Besteht eine Verbindung zum Miri-Clan in Bremen?
Die Drogen seien von „den Bremern“gekommen. So nennt der Kronzeuge die Lieferanten. Während des Prozesses fällt immer wieder der Begriff „Miri“. Der Miri-Clan ist eine libanesische Großfamilie aus Bremen, verstrickt in die organisierte Kriminalität.
„Es gab Vermutungen, dass er (der Angeklagte, Anm. d. Red.) Beziehungen zu ihnen hat. Aber ich kann es mir nicht vorstellen. Denn er ist ein Dampfplauderer“, sagt der 28-Jährige aus. „Sind Sie im Zeugenschutz?“, will der Verteidiger vom Zeugen wissen. Er verneint. „Aber Sie wollen von der Kronzeugenregelung Gebrauch machen?“Der 28-Jährige nickt, blickt ihn an: „Ja.“Der Verteidiger, der der Wortführer an diesem Prozesstag ist, legt nach. „Ich habe das Gefühl, Sie wollten Ihrer Aussage bei der Polizei mehr Gewicht verleihen, in dem Sie so oft wie möglich den Namen Miri haben fallen lassen.“
Der Verteidiger, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, nimmt den Kronzeugen über Stunden in die Zange. Staatsanwalt Jürgen Herrmann und der Vorsitzende Richter haben nur wenig Nachfragen – die Verteidigung allerdings läuft auf Hochtouren. Zum Teil auch zur Erheiterung des Publikums, das leise auflacht, wenn sich der Zeuge aufgrund der Masse an Fragen in seinen Antworten verstrickt.
Verteidigung stichelt gegen Richterbank
Vieles wisse er nicht mehr. „Es ist auch schon lange her“, hören die Prozessteilnehmer häufig von ihm. „Keine Ahnung“oder „weiß ich nicht mehr“.
Mitunter greift Richter Ilg ein, übernimmt die Befragung oder weist die Verteidigung darauf hin, dass mehrfach bereits geantwortet wurde. „Wenn Sie nach Hause möchten, Herr Vorsitzender, dann müssen Sie eben die Verhandlung unterbrechen“, lautet die Spitze in Richtung Richterbank. „Unterlassen Sie das“, die knappe unbeeindruckte Reaktion.
Mehrere solche Bemerkungen muss der Richter vom Rechtsanwalt hinnehmen. Die Auseinandersetzungen bleiben vom Publikum natürlich ebenfalls nicht unbemerkt – Unruhe entsteht.
Der Zuschauerraum im Saal ist zweigeteilt. Hinten rechts sitzen mehrere Polizeibeamte. Links Angehörige und Freunde des Angeklagten. Zum Teil ist die Seite voll besetzt. In den Verhandlungspausen schirmen Justizbeamte und Polizisten den Zeugen ab – und den Angeklagten. „Kurz Hallo sagen oder umarmen?“, wollen welche aus dem Publikum. Keine Chance.
Beide Männer sind oder waren Mitglied einer rockerähnlichen Gruppierung – den United Tribuns. Der als Zeuge vorgeladene Häftling hatte seinen Platz im Club in der oberen Führungsriege eines bayerischen Chapters. Chapter – so werden die Ortsgruppen von Rockerclubs genannt. Der Prozess wird am Mittwoch, 17. Oktober, und am Donnerstag, 18. Oktober, fortgesetzt.