Telefonüberwachung führt zu Rocker
Verteidigung stellt Antrag wegen Befangenheit gegen Vorsitzenden Richter
ELLWANGEN (mih) - Der zweite Prozesstag vor dem Ellwanger Landgericht gegen ein Mitglied der United Tribuns aus Heidenheim beginnt, wie der erste zu Ende gegangen war. Der Verteidiger des 29-jährigen Angeklagten setzt erneut gegen den Vorsitzenden Richter Gerhard Ilg an. Bereits vor der Verhandlung stellt der Anwalt einen Befangenheitsantrag gegen den Richter.
Der Antrag wird zu Beginn der Sitzung vom zweiten Verteidiger verlesen. Ilg habe die Sitzung des ersten Prozesstages „aus heiterem Himmel“geschlossen. Die Verteidigung hätte keine Möglichkeit gehabt, noch einen entsprechenden Antrag wegen Befangenheit zu stellen. Die Anwälte sahen den Umgang des Richters mit dem Kronzeugen als kritisch an.
Staatsanwalt Jürgen Herrmann zeigte sich aufgrund des Vorwurfs überrascht. „Es war eine ungewöhnlich lange Befragung des Zeugen“, so Herrmann. Von daher sei er nicht undankbar gewesen, dass der Richter nach einem solch langen Sitzungstag dann die Verhandlung unterbrochen hätte.
„Es gab genügend Zeit, Anträge zu stellen“, sagte der Staatsanwalt. Der Antrag wegen Befangenheit solle verworfen werden, so sein Schlusswort. Der 28-jährige Kronzeuge wurde bereits am Dienstagnachmittag über Stunden befragt – ausschlaggebend war hierbei die ausführliche Befragung durch die Verteidigung.
Die Verteidigung wolle an ihrem Antrag festhalten, so die Erwiderung des Anwalts. Über den Antrag muss nun eine vom Prozess unabhängige Person entscheiden. In diesem Fall eine Richterin des Landgerichts. „Sollte dem Antrag zugestimmt werden, wird der Prozess beendet“, gibt der Pressesprecher des Landgerichts, Jochen Fleischer, auf Nachfrage Auskunft. Dann müsse die Verhandlung neu eröffnet werden.
Der 28-jährige Kronzeuge spielte bereits während der Ermittlungen eine entscheidende Rolle. Der Mann war in der oberen Führungsriege eines Chapters der rockerähnlichen Gruppierung United Tribuns in Bayern. Mit dem Angeklagten, der zu den Tatzeiten ebenfalls dem Club in einem Heidenheimer Chapter angehörte, stand er in Geschäftsbeziehungen – dabei ging es um Anabolika, Kokain, Marihuana und Falschgeld.
150 Anzeigen aufgrund Aussagen des Kronzeugen
Auf den 29-jährigen Angeklagten kam die Polizei über Telefonüberwachung und einem sogenannten „Lauscher“im Auto des Zeugen. Durch dessen Geschäfte geriet auch der Heidenheimer in den Fokus der Beamten. Als Hauptbelastungszeuge seien aufgrund der Aussagen des 28-Jährigen bereits 150 Anzeigen in Gang gekommen, erzählt ein ebenfalls als Zeuge geladener Kriminalbeamter. Mehrere Personen, Lieferanten und Clubmitglieder, sitzen bereits in Haft.
Der Kronzeuge sei aufgrund seiner Aussagen wegen Rauschgifthandels zwar verurteilt worden – allerdings wurde eine der Anklagen fallen gelassen, das Urteil fiel insgesamt milder aus. Zu klären bleibt nun für das Gericht: „Welche Rolle spielte der Angeklagte bei den Geschäften?“, will Richter Ilg vom Polizisten wissen. „Laut unserer Ermittlungen durch die Telefonüberwachung und die Aussagen des Zeugen hat er das Kokaingeschäft vereinbart“, sagte der Beamte. Auch das Falschgeld sei von ihm gekommen.
Bei einem weiteren Geschäft, bei dem 1,5 Kilogramm Marihuana an einen Bekannten des Kronzeugen hätte gehen sollen, habe der Angeklagte einen Polizeieinsatz erfunden, bei dem sowohl die bezahlten 9000 Euro sowie das Rauschgift konfisziert worden seien. Ob es einen solchen Einsatz gegeben hätte, fragt Ilg. „Zu diesem Zeitpunkt hat es eine solche Sicherstellung nicht gegeben“, antwortet der Polizist.
Für den Angeklagten sind die Aussagen augenscheinlich kein Grund zur Besorgnis. Unberührt sitzt er da, schweigt. Und ab und an kann er sich ein Grinsen nicht verkneifen.