Rückkehr in die Kindheit
Frido Mann über „Das Weiße Haus des Exils“seines Großvaters Thomas Mann
Er ist 78 Jahre alt, aber manchmal auch 70 Jahre jünger. Denn wenn Frido Mann durch „das Weiße Haus des Exils“geht, ist er wieder acht Jahre alt. Es ist der berühmte Wohnsitz seines Großvaters in den Jahren des Exils. Neugierig, mit leuchtenden Augen, inspiziert Frido Mann das von der Bundesregierung gekaufte und sanierte Haus seines berühmten Großvaters an der kalifornischen Küste. Hier verbrachte Frido Mann einen Teil seiner Kindheit.
Inseinem Buch „Das Weiße Haus des Exils“erinnert er sich an diese frühen Jahre, aber er schaut auch nach vorne. In welchen Austausch können die künftigen Stipendiaten treten, die hier jeweils für ein paar Monate einziehen? Frido Mann ist im März dieses Jahres vorausgereist und hat sich ganz alleine das alte Domizil angesehen, bevor er es im Juni zusammen mit dem Bundespräsidenten eröffnete. „Es sieht aus wie früher“, sagte er glücklich lächelnd über die große weiße Villa im BauhausStil.
Ausgerechnet die „Schneekönigin“, das Märchen von Hans Christian Andersen, hat sein Großvater ihm einst im Arbeitszimmer in dem Haus unter Palmen in Pacific Palisades vorgelesen. „Ging abends hinauf u. sah nach den Kindern, da Frido geweint hatte. Er schlief. Knöpfte dem Kleinen den Pyjama zu“, notierte Thomas Mann am 17. Oktober 1946 in sein Tagebuch. Und Frido Mann hört heute noch die raue Stimme von Großmutter Katja, die ihm immer wieder die Adresse beibrachte: „Fifteen Fifty, San Remo Drive.“
Thomas Manns Haus war ein bedeutender Ort des Exils. Von NaziDeutschland vertrieben, lebte Mann einige Jahre in Kalifornien, hier schrieb er den „Doktor Faustus“, hier empfing er auch andere berühmte Künstler wie Lion Feuchtwanger, dessen Haus nur einige Kilometer entfernt lag. Im Weißen Haus des Exils verfasste Thomas Mann auch seine berühmten Ansprachen an die deutschen Hörer. Der Schriftsteller ist deshalb heute noch für Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Inspiration und Antrieb, über Wege zu einem Neubeginn der Demokratie nachzudenken. Auch für seinen Enkel geht es deshalb nicht nur um eine Reise in die Vergangenheit. Der in Kalifornien geborene Frido Mann ist besorgt über das Ausmaß der deutsch-amerikanischen Entfremdung. Über eine US-Bevölkerung, „die in Wahlen, deren Manipulationsgrad wir heute nur ahnen können, einen Popanz zum Präsidenten wählte, dessen gemeingefährliche Verachtung von Anstand, Wahrheit, Kultur und Menschenwürde in der amerikanischen Geschichte ohnegleichen ist“, so Frido. Er weiß, dass in dieser Situation die Ansprüche, die die Bundesregierung an die Begegnungsstätte stellt, nur schwer zu erfüllen sind. Der transatlantische Dialog ist ins Stocken geraten. Doch wie kann man wieder ins Gespräch kommen?
Ohne Achtsamkeit kein Dialog
Achtsamkeit, oder altmodischer ausgedrückt, Selbstvergessenheit, sind wie Musik und Religion für Frido Mann ein Schlüssel zum Dialog mit der Welt und sich selbst. „Einerseits bedrängt mich der quälende Gedanke, wie viele verheerende Fehler und Versäumnisse in der Menschheitsgeschichte durch den Verzicht auf Selbstvergessenheit verursacht wurden. … Andererseits bin ich überrascht, ... wie beglückend sich Selbstvergessenheit anfühlt.“In seinem tagebuchartigen Essay begibt er sich auf die Spuren des Erbes seines Großvaters, dem Kampf gegen radikale und antidemokratische politische Tendenzen und für Weltoffenheit. „Ohne Dialog keine Zukunft der Demokratie und ohne grundlegende Ethik und ohne Bewusstseinswandel hin zu Achtsamkeit und Empathie kein Dialog“, lautet die Zusammenfassung eines Schlüsselgesprächs in Thomas Manns Haus.
Der alte Hausherr ist 1952, von der Politik der McCarthy-Ära vertrieben, in die Schweiz übersiedelt. Jetzt sind die ersten Stipendiaten in das Haus eingezogen, die in seinem Geist arbeiten und die transatlantische Partnerschaft beleben sollen. Frido Mann wünscht sich, dass heute alle Kraftreserven aufgebracht werden, dass weder Amerika noch Europa von giftigen und antidemokratischen Strömungen umspült und unterwandert werden. S. Fischer Verlag Frankfurt 2018. 203 Seiten. 20 Euro.