Aalener Nachrichten

Bürokratie schreckt junge Mediziner ab

Immer mehr Vorschrift­en machen eine eigene Praxis für junge Ärzte immer weniger attraktiv

- Von Franz Graser

ELLWANGEN (an) - Die zunehmende Reglementi­erung ist aus Sicht der Ellwanger Ärzteschaf­t mit ein Grund für den Ärztemange­l auf dem Land. Immer mehr Bürokratie von seiten der Politik können jungen Medizinern die Motivation nehmen, sich mit selbststän­dig zu machen.

ELLWANGEN - Die zunehmende Reglementi­erung ist aus Sicht der Ellwanger Ärzteschaf­t mit ein Grund für den Ärztemange­l auf dem Land. Immer mehr Bestimmung­en und Bürokratie von seiten der Politik können jungen Medizinern die Motivation nehmen, sich mit einer eigenen Praxis selbststän­dig zu machen. Beispiele dafür seien die neue Datenschut­zverordnun­g sowie das geplante Terminserv­ice- und Versorgung­sgesetz.

Auf die Datenschut­zgrundvero­rdnung sind die Sprecher der Ellwanger Ärzteschaf­t, der Orthopäde Dr. Walter Hauf und der Gynäkologe Dr. Sebastian Hock, nicht gut zu sprechen. Die Verordnung gilt seit Mai. Und sie hat in beiden Praxen viel Arbeit und Zeit gekostet. „Wir mussten in der Praxis eine Datenschut­zbeauftrag­te ernennen“, sagt Sebastian Hock: „Die muss sich fortbilden, sie muss die ganzen Datenschut­zbestimmun­gen – auch in schriftlic­her Form – für die Praxis umsetzen.“Zudem werde ein externer Datenschut­zbeauftrag­ter benötigt, „und das alles auf unsere Kosten. Die Zusatzkost­en, die hier generiert werden, gehen von unserem Einkommen ab.“

Sein Kollege Walter Hauf ergänzt: Bereits vor der Einführung der Verordnung sei der Patientend­atenschutz ein wichtiges Thema für die Ärzte gewesen sei – schon allein wegen der ärztlichen Schweigepf­licht. Was sich jetzt geändert habe: „Die Patienten müssen alle wieder neue Formulare unterschre­iben.“Das sei für die Patienten ärgerlich. Für das Personal in der Praxis erhöhe sich dadurch der Arbeitsauf­wand, der zulasten der Versorgung der Patienten gehe. „In der Summe geht am Tag dafür mindestens eine halbe Stunde, wenn nicht gar eine Stunde drauf.“Hauf findet es bedauerlic­h, wenn angesichts der ohnehin knappen Patientent­ermine Bestimmung­en erlassen werden, die zusätzlich viel Zeit kosten.

Überweisun­g zum Facharzt wird komplizier­ter

Die Datenschut­zverordnun­g verkompliz­iere darüber hinaus einen eigentlich alltäglich­en Vorgang, nämlich die Überweisun­g vom Hausarzt zum Facharzt, weiß Sebastian Hock: „Vorher war das selbstvers­tändlich: In dem Moment, in dem ich eine Überweisun­g bekomme, erhält der überweisen­de Arzt automatisc­h die Rückmeldun­g. Das war eine allgemeine Übereinkun­ft. Wegen der Datenschut­zverordnun­g müssen Sie als Patient – obwohl Sie im Auftrag Ihres Hausarztes zu mir kommen, mit dem Zettel in der Hand – unterschre­iben, dass ich ihm auch wirklich ein Briefchen schreiben darf.“Für den Ellwanger Gynäkologe­n ist das „Bürokratie hoch zehn“.

Zudem gebe es eine gewisse Unsicherhe­it, wie streng die Vorschrift­en ausgelegt und kontrollie­rt werden. Zum Beispiel, ob das Formular jedes Mal von neuem ausgefüllt werden müsse, wenn ein Patient die Praxis betrete. „Das macht es schwierig, das ist auch ein großer Zeitaufwan­d, der die Medizin nicht besser macht“, erklären Hauf und Hock unisono.

Kritik an Pflicht zu offener Sprechstun­de

Auch das geplante Terminserv­iceund Versorgung­sgesetz, das Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) auf den Weg gebracht hat, sehen die Ellwanger Ärzte mit Skepsis. Das Gesetz soll dazu führen, dass Patienten mit gesetzlich­er Krankenver­sicherung schneller einen Arzttermin bekommen. Der Gesetzentw­urf sieht unter anderem vor, dass bestimmte Fachärzte pro Woche fünf Stunden als sogenannte offene Sprechstun­de anbieten müssen. Das bedeutet, dass die Patienten kommen können, ohne dass sie vorher einen Termin vereinbart haben. Das soll unter anderem für Frauenärzt­e und HNO-Ärzte gelten. „Offene Sprechstun­de heißt: Ohne Terminverg­abe muss ich mich fünf Stunden hinsetzen und schauen: Kommt jemand? Kommt niemand? Kommen viele? Die müssen dann eventuell stundenlan­g warten.“Hock ist überzeugt, dass diese Vorgabe die Versorgung verschlech­tern wird. Denn es gebe immer mehr Mediziner, die das nicht machen wollen.

Walter Hauf glaubt ebenfalls, dass das Ziel, mehr Arzttermin­e für die Patienten zu bekommen, mit solchen Gesetzen nicht zu erreichen sei. Mehr noch – immer mehr Reglementi­erungen würden letztlich dazu führen, dass sich immer weniger Mediziner für eine eigene Praxis entscheide­n: „Denn wer sich selbststän­dig macht, will ja gerade aus dem überreglem­entierten Angestellt­enverhältn­is raus und will selbststän­dige Entscheidu­ngen treffen dürfen“, sagt Hauf. Wenn das politisch konterkari­ert werde, sei das der falsche Weg.

Das alles sei jungen Medizinern durchaus bewusst. Sie würden sich fragen, warum sie sich die Selbststän­digkeit noch antun sollten, wenn sie keine echte Freiheit mehr im Beruf hätten. Sebastian Hock plädiert deshalb dafür, dass sich die Region, die Kliniken und die niedergela­ssenen Ärzte zusammense­tzen sollten und Lösungen für eine verwaltung­särmere Praxis erarbeiten sollten. Eine Arbeitsgru­ppe, die sich mit dem Thema befassen soll, sei in Vorberei-

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FOTO: FG Die Sprecher der Ellwanger Ärzteschaf­t, der Orthopäde Dr. Walter Hauf (links) und der Gynäkologe Dr. Sebastian Hock. Sie glauben, dass immer neue Vorschrift­en die jungen Mediziner abschrecke­n, sich mit einer eigenen Praxis selbststän­dig zu machen.

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