Gegenwind aus der „Pampa“
Bürgermeister kritisieren Kretschmann und Palmer für Aussagen zu kriminellen Flüchtlingen
STUTTGART - Der Ellwanger Bürgermeister Volker Grab (Grüne) hat Äußerungen seiner Parteifreunde Winfried Kretschmann und Boris Palmer zum Umgang mit kriminellen Flüchtlingen scharf kritisiert. „Das ist eine unsägliche Debatte, die wir mit großer Sorge beobachten. Es wird als Lösung suggeriert, straffällige Ausländer aufs Land zu schicken – und das von Menschen, die sich selbst vor allem in Großstädten bewegen. Dabei ist allein die Polizeipräsenz in ländlichen Regionen viel geringer als in Stuttgart oder Tübingen“, sagte Grab der „Schwäbischen Zeitung“. Die Debatte wirke sich schädlich auf die Diskussion um die Verlängerung des LEA-Standortes Ellwangen aus. Am 6. Dezember entscheidet der Gemeinderat, ob er den LEA-Vertrag mit dem Land verlängert.
Ministerpräsident Kretschmann hatte davon gesprochen, man müsse „Männerhorden“trennen und es sei nicht falsch, sie „in die Pampa“zu schicken. Später bezeichnete er die Formulierungen als missverständlich, blieb aber bei der Grundaussage. Tübingens Oberbürgermeister Palmer fordert, kriminelle Ausländer in Einrichtungen auf dem Land unterzubringen und diese mit SecurityPersonal zu sichern.
Volker Grab findet es zwar richtig, straffällige Flüchtlinge konsequent mit allen rechtlichen Mitteln zu verfolgen. Er ist überzeugt: „Es hilft, auffällige Gruppen zu trennen. Es hilft aber nicht, so zu tun, als könne man diese Menschen einfach aufs Land bringen und wegsperren – es gibt ja gar keine rechtlichen Mittel, sie dort vor Ort zu halten“, sagte der Ellwanger Bürgermeister weiter. Sein Sigmaringer Amtskollege Marcus Ehm (CDU) sagte zur „Pampa“Debatte: „Solche Äußerungen sind wohl eher politischen Überlegungen geschuldet als in der Sache durchdacht – zumal der Ministerpräsident selbst ja in Sigmaringen lebt.“Was wirklich helfe, sei ein konsequentes Vorgehen gegen Straftäter bei kleinen Delikten wie Diebstahl.
Regierungssprecher Rudi Hoogvliet sagte zu der Kritik aus den Kommunen: „Pampa war in diesem Zusammenhang umgangssprachlich gemeint, und keineswegs abwertend. Der Ministerpräsident ist selbst ein überzeugter ,Provinzler.’“Es gehe ihm darum, problematische Gruppen aufzulösen und auf verschiedene Kommunen zu verteilen. „Wir reden hier also nicht von bestimmten Orten oder Ortsgrößen.“
STUTTGART - Auffällige Flüchtlinge wegsperren – das scheint vielen eine logische Folge aus Fällen wie der Gruppenvergewaltigung einer jungen Frau in Freiburg. Die Landesregierung prüft derzeit, wie Mehrfachtätern beizukommen ist. Dabei geht es auch darum, was rechtlich möglich ist und was nicht. Es dürfte nach geltendem Recht schwierig werden, den Bewegungsradius von Asylbewerbern effizient einzuschränken.
Wann wird jemand verhaftet?
Wenn ein Richter einen Angeklagten zu einer Haftstrafe verurteilt. Jemand kann auch verhaftet werden, wenn er zunächst zur Bewährung verurteilt wurde, aber gegen die damit verbundenen Auflagen verstößt. Auch ohne Urteil ist eine Verhaftung möglich, und zwar, wenn die Polizei gegen einen Verdächtigen ermittelt und Haftgründe vorliegen. Dazu braucht es einen dringenden Tatverdacht und zum Beispiel Fluchtgefahr, Wiederholungsgefahr oder die Sorge, dass der Verdächtige Beweise beseitigt. Davon zu unterscheiden ist der Gewahrsam. Die Polizei darf jemanden für einige Zeit festhalten, wenn er eine Gefahr für die öffentliche Ordnung ist. Das geht bislang nur befristet und nur, wenn der begründete Verdacht etwa auf Terroranschläge besteht.
Darf sich ein Asylbewerber überall frei bewegen?
Das kommt darauf an. Zunächst einmal ist die Freizügigkeit ein hohes Gut und durch das Grundgesetz geschützt. Aber je nach Aufenthaltsstatus eines Asylsuchenden gibt es durchaus Auflagen. Wer einen Asylantrag stellt, muss in einer Landeserstaufnahmeeinrichtung wohnen. Wer in einer LEA lebt, darf sich nur im Landkreis bewegen, in dem diese liegt. Er darf ihn nur auf Antrag verlassen. Nach spätestens sechs Monaten muss das Land eine andere Unterbringung ermöglichen. Dazu werden sie auf die Gemeinden aufgeteilt. Dann müssen Asylbewerber im Landkreis wohnen, in dem die für sie zuständige Ausländerbehörde ist. Die Bewegungsfreiheit aber ist dann nicht mehr auf den Landkreis begrenzt. Ausnahmen sind nur in Ausnahmen möglich, etwa wenn er bereits einmal verurteilt wurde, aber nicht ins Gefängnis muss – etwa wegen kleiner Delikte wie Diebstahl. Ein Ausnahme gilt auch, wenn Ausländer eine Bedrohung für die Sicherheit darstellen – hier geht es aber um erhebliche Bedrohungen von Leib und Leben, die rechtlichen Hürden sind hoch.
Und abgelehnte Bewerber?
Sie müssen im jeweiligen Bundesland bleiben. Ist eine Abschiebung bereits einmal gescheitert, sogar im jeweiligen Landkreis. Weitere räumliche Beschränkungen sind möglich nach einer Verurteilung, wenn die Abschiebung bevorsteht oder es den begründeten Verdacht gibt, dass der Betreffende in Drogengeschäfte verwickelt ist.
Wer kontrolliert die Auflagen?
Da liegt das Problem. Rechtlich ungeklärt ist derzeit, was die Formulierungen „räumliche Beschränkung“genau bedeutet und wie man sie durchsetzt. Allerdings kann es keine Haft sein, das steht fest. Weder Polizei noch Security können die Menschen hindern, etwa die LEAs zu verlassen. Das wäre dann wie eine Haftstrafe – und die ist eben nur unter besonderen Bedingungen rechtmäßig. Allerdings registrieren Sicherheitssysteme am LEA-Eingang, wer die Einrichtungen verlässt und betritt. Ist ein Bewohner drei Tage hintereinander weg, gilt er als untergetaucht. Sein Asylantrag ist damit rechtlich zurückgenommen und er steht in dem Fahndungssystem. Wenn ein Bewohner in der Anschlussunterbringung in einer Kommune gegen seine Auflagen verstößt und zum Beispiel den ihm zugewiesenen Landkreis verlässt, fällt das nur auf, wenn er anderswo von der Polizei kontrolliert wird, oder seine Geldund Sachleistungen nicht vor Ort abholt. Juristen halten es daher nach geltendem Recht für aufwändig und nur in wenigen Ausnahmen möglich.
Was schlagen die Oberbürgermeister von Tübingen und Schwäbisch Gmünd vor?
Boris Palmer (Grüne) aus Tübingen und Richard Arnold (CDU) aus Schwäbisch Gmünd haben der Landesregierung ein Konzept vorgelegt. Es sieht vor, kriminelle Ausländer in Einrichtungen unterzubringen und diese mit privater Security zu bewachen. Flüchtlinge sollten nur noch Sachleistungen und kein Geld mehr bekommen, dass garantiere den Verbleib. Der FAZ sagte Palmer, die Polizei müsse rund um die Einrichtungen einen Sicherheitsring errichten und kontrollieren, wenn jemand den Bereich verlässt und damit Aufenthaltsauflagen bricht.
Was kann man stattdessen tun?
Das Land hat bereits Konzepte zum Umgang mit Intensivtätern, die immer wieder Straftaten begehen, deren Delikte aber zunächst nicht für Haft ausreichen. Bislang stuft das Land 630 Menschen so ein, darunter rund 40 Prozent Ausländer. Sachbearbeiter kümmern sich gezielt um diese Personen. Sie sollen dafür sorgen, dass möglichst rasch Strafverfahren beginnen. In Mannheim gab es 2017 Probleme mit einer Gruppe junger Flüchtlinge. Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD) forderte damals Unterstützung vom Land und eine geschlossene Unterbringung. Die gab es nicht. Doch durch eine verstärkte Zusammenarbeit von Jugendämter, Polizei und Justiz ist dort das Problem nahezu gelöst. Unter anderem hat man Jugendliche aus Mannheim wieder dahin gebracht, wo die für sie zuständige Ausländerbehörde ihren Sitz hat, wenn nötig mit Polizeibegleitung. Sie dürfen Mannheim nicht mehr betreten. Durch gezielte Kontrollen werden sie erwischt, wenn sie zurückkehren. Die Trennung von Gruppen, bevor sich kriminelle Strukturen entwickeln, und ein konsequentes, rasches Vorgehen auch bei kleineren Delikten werden von Praktikern etwa in den LEA-Städten Ellwangen und Sigmaringen als erfolgversprechend eingestuft. „Die Aufenthaltsbeschränkungen, die das Aufenthalts- und das Asylrecht vorsehen, werden oft zu wenig durchgesetzt und kontrolliert“, so der Konstanzer Jurist Professor Kay Heilbronner.