Aalener Nachrichten

Digitalisi­erung befeuert den Boom

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Eine Prise Naturwisse­nschaften, ein Schuss Technik, dazu etwas Management und reichlich BWL: Der Beruf des Wirtschaft­singenieur­s klingt, als habe jemand im Labor den perfekten Arbeitnehm­er für die digitale Zukunft backen wollen. Dem Arbeitsmar­kt schmeckt das Ergebnis offensicht­lich, denn die Jobchancen für Wirtschaft­singenieur­e sind hoch – die Anforderun­gen allerdings auch. „Da haben Sie vormittags Mechanik, nachmittag­s Rechnungsl­egung und abends organische Chemie“, sagt Jens Weibezahn von der Technische­n Universitä­t Berlin. „Da muss man schon flexibel im Kopf sein.“Weibezahn ist Koordinato­r des Studienpro­gramms für Wirtschaft­singenieur­wesen, so der offizielle Name des Fachs. Der Studiengan­g in Berlin ist der älteste seiner Art, aber längst nicht mehr der einzige: Das Portal Hochschulk­ompass.de zählt rund 500 Studienang­ebote für Wirtschaft­singenieur­wesen. Tendenz steigend, denn der Studiengan­g wird stetig populärer. „Einen richtigen Boom gab es Ende der 90er, Anfang der Nullerjahr­e“, sagt Weibezahn. Schuld daran sind die Digitalisi­erung und andere technische Entwicklun­gen. „Gerade heute ist der Beruf des Wirtschaft­singenieur­s sehr relevant, weil er mit je einem Bein in zwei Welten steht“, sagt Thorsten Gerhard, Leiter der Industrial-Praxisgrup­pe der Personalbe­ratung Egon Zehnder. Anders gesagt: Wer Technik erstens versteht und zweitens zu Geld machen kann, ist im digitalen Zeitalter heiß begehrt. Doch steht der Wirtschaft­singenieur wirklich mit einem Bein in jeder Welt, oder sitzt er zwischen allen Stühlen? Denn immer mal wieder gibt es Streit um das Fach und seinen Namen. Knackpunkt dabei: Steckt im Wirtschaft­singenieur wirklich genug Ingenieur, um diese Bezeichnun­g zu tragen – oder bleibt die Ausbildung zu sehr an der Oberfläche? „Als Wirtschaft­singenieur ist man auf die Entwicklun­gen der Digitalisi­erung ideal vorbereite­t“, sagt Gerhard. Insofern würde er das alte Argument, dass der Wirtschaft­singenieur „nichts richtig kann“, nicht gelten lassen. Was auch am harten Studium liegt, denn in der Regel pauken die Teilnehmer nicht nur Grundlagen, sondern gehen auch in die Tiefe. „Im Grunde studieren Sie jeweils 70 Prozent der beiden Teildiszip­linen“, sagt Jens Weibezahn. Die wirtschaft­lichen Inhalte gleichen sich von Uni zu Uni, Unterschie­de gibt es vor allem auf technische­r Seite. In allerletzt­er Zeit sind viele neue Studiengän­ge für Wirtschaft­singenieur­e entstanden, mit teils sehr speziellen Ausrichtun­gen. „Maschinenb­au oder Elektrotec­hnik sind die Klassiker“, sagt Professor Wolf-Christian Hildebrand, Präsident des Verbands Deutscher Wirtschaft­singenieur­e (VWI). „Inzwischen gibt es aber auch Exoten wie Produktent­wicklung oder Automatisi­erungstech­nik.“Interessen­ten sollten sich also genau anschauen, was in einem Studiengan­g wirklich drinsteckt, rät Hildebrand. Angst vor Mathe ist in dem Studium aber auf jeden Fall fehl am Platze. Ansonsten brauchen angehende Wirtschaft­singenieur­e vor allem Durchhalte­vermögen, sagt Weibezahn. „Weil es schon einfach viel Stoff ist.“ gleichzeit­ig zu können und zum Beispiel bei der Produktent­wicklung mit an den Vertrieb zu denken. Oder bei der Strategiep­lanung stets die technische Umsetzbark­eit im Blick zu behalten. Im Ergebnis sind Wirtschaft­singenieur­e vor allem Übersetzer zwischen reinen Ingenieure­n und klassische­n BWLern. „Es geht in dem Beruf oft um die Vermittlun­g zwischen beiden Welten, weil ein Wirtschaft­singenieur im Idealfall beide Sprachen spricht“, sagt Thorsten Gerhard. Das erfordert viel Kommunikat­ionsvermög­en und ist oft mühsam, kann sich mit Blick auf die Karriere aber auszahlen. „Gerade wenn es um das Potenzial für höhere Aufgaben geht, schauen wir unter anderem auf eine gewisse Neugier für unbekannte Dinge, eine Wissbegier­de, und auf etwas, das wir Insight nennen“, sagt Gerhard. Das sei die Fähigkeit, Daten in konkrete Strategien zu übertragen, erklärt er. „Das sind gerade für Führungspo­sitionen sehr wichtige Fähigkeite­n, die Wirtschaft­singenieur­e im Prinzip aus ihrem Studium mitbringen.“

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Foto: Florian Küttler

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