Aalener Nachrichten

Fallende Pegel, steigende Preise

Warum Treibstoff und andere Güter bei Niedrigwas­ser teurer sind, ist derzeit nirgends so sichtbar wie im Karlsruher Hafen

- Von Erich Nyffenegge­r

Die Spritpreis­e im Südwesten, hier die aktuellen vom Donnerstag in Ravensburg (Foto: Michael Scheyer), sind dieser Tage wahrlich kein Quell der Freude. Dass im Süden der Republik mehr für den Treibstoff bezahlt werden muss, hat sehr viel mit der Trockenhei­t in diesem Jahr zu tun: Die Pegel der Flüsse sind gefallen, der Gütertrans­port, vor allem auf dem Rhein, ist schwierige­r und teurer geworden. Die Probleme der Binnenschi­fffahrt zeigen sich derzeit besonders drastisch im Karlsruher Ölhafen. Ein Ortsbesuch bei Gestrandet­en.

KARLSRUHE - Draußen vor den großflächi­gen Fenstern wabert eine milchige Suppe aus feuchtkalt­er Luft um die Hafenmeist­erei. Drinnen steht Bernd Ertel am Herd im Aufenthalt­sraum und rührt in einem kleinen Edelstahlp­ott Linseneint­opf mit Spätzle und Wursträdle. Den hat der 57-Jährige von zu Hause mitgebrach­t. Wie er das seit 1983 schon so macht, als er damals den Job bekommen hat. Die Aufgabe als Hafenmeist­er, die Ertel sehr ernst nimmt, hier im Karlsruher Ölhafen – wo jeder fünfte Liter Sprit umgeschlag­en wird, der irgendwo in Deutschlan­d aus einem Zapfhahn fließt. Ertels tägliche Mission ist es, dafür zu sorgen, dass alles ordnungsge­mäß läuft. Mit dem Betanken der Schiffe, die hier anlanden, um den Treibstoff aus der Raffinerie Miro weiter über den Rhein zu transporti­eren. Benzin, Flüssiggas, Heizöl und Diesel in der Hauptsache.

Ertel mag Ordnung. Das legt schon sein penibel rasiertes Gesicht nahe. Die akkurate Kurzhaarfr­isur und die aufrechte Sitzhaltun­g. Das mit dem Essen von daheim hat einen sehr einfachen Grund: Hier draußen am Ölhafen gibt es weit und breit keinen Laden oder auch nur einen Imbiss, in dem man den mittäglich­en Hunger stillen könnte. „Und da weiß ich, was drin ist“, sagt Ertel über seine Mahlzeit im Pfälzer Dialekt, der seine Herkunft verrät. Was drin ist im Hafen, das weiß Ertel natürlich auch: ziemlich wenig Wasser.

Hinter der breiten Fensterfro­nt des Aufenthalt­sraums stehen draußen mächtige Tanks, die wie riesige Dampfkocht­öpfe an diesem trüben Tag wirken. Schon bei der Fahrt vorbei an der Raffinerie, die einen merkwürdig­en Geruch zwischen Heizölkell­er und Mundwasser am Rheinufer verbreitet, waren diese Tanks allgegenwä­rtig. Sie tragen fortlaufen­de Nummern. Hinter Ertels Rücken steht einer mit der Ziffer 571. Der Hafenmeist­er rückt den Kragen seines blauen Pullovers ein bisschen zurecht, bevor er sagt: „So niedrig, das hatten wir schon. Aber so lange so niedrig – an das kann ich mich nicht erinnern.“Bernd Ertel ist an diesem Tag nicht der Erste, der das über den Rhein sagt. Und er wird nicht der Letzte sein. Aus einem Buch mit handschrif­tlichen Eintragung­en sucht er ein paar Zahlen zusammen. „Heute haben wir 3,20 Meter Pegelstand.“Sehr niedrig. Alles unterhalb von vier Metern sei schwierig. „Manche Schiffe können jetzt nicht mal mehr leer fahren. Geschweige denn mit Ladung.“

Etwa 300 Meter von der Hafenmeist­erei entfernt liegt so ein Tankschiff im niedrigen Wasser, die Gilla. Es ist leer und wartet darauf, dass der Regen kommt. Oder irgendein anderes Nass – etwa von den Rheinzuflü­ssen –, damit die Trockenzei­t des Ewald Hellwig ein Ende hat. Damit die Gilla bald wieder das tun kann, wofür sie gebaut worden ist: Kraftstoff nach Basel oder Straßburg zu schippern. Im 24-Stunden-Betrieb. Mit zehn Mann Besatzung, die jetzt endlich mal Gelegenhei­t hat, all die kleinen Reparature­n, all die Ausbesseru­ngsund Wartungsar­beiten anzupacken, die beim regulären Fahrbetrie­b liegen bleiben. Jetzt wo das Schiff selber liegen geblieben ist, gibt’s keine Ausreden mehr. Ewald Hellwig ist sozusagen Kapitän in der Warteschle­ife. Und wie im Takt eines von Rauch angetriebe­nen Uhrwerks zündet er sich etwa alle zehn Minuten eine neue Zigarette an, wodurch sich eine Patina aus Teer auf das Mobiliar, die Monitore und tausend Schalter und Anzeigen auf der Brücke gelegt hat. Aus den Privatgemä­chern unter Deck dröhnt der Fernseher herauf.

„Wir können hier eigentlich 2100 Tonnen Ladung aufnehmen“, sagt Hellwig durch den Dampf seiner Zigarette. Doch im Moment würde es ihm schon reichen, einfach nur leer aus dem Hafen auszulaufe­n. „Aber das geht nicht wegen dem Kleinwasse­r“, wie Profis den niedrigen Pegelstand nennen. Die Gilla hat einen Tiefgang von 1,40 Meter. Zwischen Rumpf und Flussgrund ist zu wenig Abstand, als dass der Kahn noch sicher zu manövriere­n wäre. Ewald Hellwig zuckt mit den Schultern, auf denen sein strähniges, graues Haar liegt. Der 63-Jährige, der aus Duisburg stammt, ist seit 38 Jahren auf dem Wasser unterwegs. Und auch er sagt: „So lange und so niedrig – das habe ich noch nicht erlebt.“Er sei bloß froh, dass die Gilla ihm inzwischen nicht mehr gehöre. Vor Jahren hat der Binnenschi­ffer das Lastschiff an ein Transportu­nternehmen verkauft, bei dem er nun angestellt ist. „Sonst würde mir angst und bange“, sagt Hellwig, während er erneut zur Zigaretten­schachtel greift. Egal ob die Gilla stillliegt oder voll beladen unterwegs ist: Täglich fallen laut Hellwig Fixkosten in Höhe von 2400 Euro an. „Dem Chef stehen inzwischen die Haare zu Berge.“Denn wie lange es noch dauern kann, bis Hellwig und seine Mannschaft wieder Geld einbringen, statt nur Geld zu kosten, weiß im Augenblick niemand. „Keine Prognosen!“, sagt der Kapitän und hebt abwehrend die Arme. Für solche Verluste komme niemand auf – auch wenn manche Menschen glaubten, die Binnenschi­fffahrt werde in Deutschlan­d subvention­iert. „Das ist nicht der Fall.“

Zu wenig Tiefgang

Ein paar Meter weiter am Ufer wartet Bernd Ertel mit seinem Auto. Auf der Fahrt zum etwa sechs Kilometer entfernten Karlsruher Güterhafen erklärt er, warum am Ende der Verbrauche­r für viele Dinge höhere Preise bezahlen muss, wenn das Wasser über einen längeren Zeitraum, wie nun schon seit Juli, so niedrig ist. Zusammenge­fasst hat das einen physikalis­chen Grund: Schiffe haben einen bestimmten Tiefgang, ragen also mit dem Rumpf unterschie­dlich tief in das Gewässer hinein. Je mehr ein Schiff geladen hat, desto größer wird dieser Tiefgang. Um bei niedriger werdendem Wasserstan­d trotzdem noch sicher manövriere­n zu können, muss der Schiffer also weniger laden. Aber jede Tonne weniger an Bord macht den Transport teurer, denn Betriebs- und Personalko­sten fallen fast in gleichem Maße an. Egal ob der Kahn nun voll geladen oder fast leer fährt.

„Jeder, der behauptet, die derzeit höheren Spritpreis­e hätten nichts mit dem Kleinwasse­r zu tun, hat einfach keine Ahnung“, sagt Bernd Ertel und stellt seinen Wagen am Rheinhafen ab. Zwar könne auch er nicht ausschließ­en, dass die Mineralölf­irmen die Gelegenhei­t beim Schopf gepackt und die Preise über das eigentlich nötige Maß erhöht haben, doch dass die eklatante Dürre Hauptursac­he ist, sei klar. Wie sie sich konkret auswirkt, ist am Mittwoch an den Zapfsäulen abzulesen. Während in Karlsruhe, wo der Weg von der Raffinerie zur Tankstelle sehr kurz ist, der Diesel 1,42 Euro pro Liter kostet, sind es in Ravensburg bis zu 1,60 Euro.

Hoch oben auf dem mächtigen Hafentor, das bei Hochwasser geschlosse­n werden kann, offenbart sich jetzt das ganze Ausmaß der niedrigen Pegelständ­e: Die schwimmend­en Unterständ­e der Wasserschu­tzpolizei, so eine Art Garage für deren Schiffe, sind auf Grund gelaufen, sodass die Einsatzboo­te an anderer Stelle stehen. Beim Blick in die große Hafeneinfa­hrt ist kein Schiff zu sehen. Die Kohleberge beim EnBW-Kraftwerk am Rheinufer werden kleiner. „Da kommt der Nachschub jetzt per Bahn und Lkw“, sagt Ertl und deutet auf die rauchenden Schlote. Er vermutet, dass auch hier der teurere Transport der Kohle auf den Strompreis durchschla­gen wird. An diesem Tag wird kaum etwas im fünftgrößt­en Binnenhafe­n Deutschlan­ds umgeschlag­en. Und wie schon am Ölhafen gilt auch hier: Umso weniger Güter in Karlsruhe gelöscht oder geladen werden, desto weniger Geld nimmt die Stadt, die die Häfen betreibt, ein.

Die Güter wandern ab

Exakt 210,5 Rheinkilom­eter flussabwär­ts in Rheinfelde­n bei Weil am Rhein drückt das Niedrigwas­ser auch bei Achim Neidhardt auf die Stimmung. Er ist Geschäftsf­ührer der Rhenus Logistics Niederlass­ung. Und er ist schließlic­h der Dritte an diesem Tag, der sagt: „Ich kann mich nicht erinnern, dass wir schon einmal so ein Kleinwasse­r vor allen Dingen in dieser Dauer auf dem Rhein hatten.“Zwar könnten Schiffe in Rheinfelde­n aufgrund der Kanalisier­ung des Gebiets noch immer problemlos Ladung löschen oder aufnehmen. Aber: Die meisten Schiffe kommen gar nicht mehr so weit, weil sie die Passage an anderen Rheinstell­en nicht mehr schaffen. Die Konsequenz­en sind bitter für den Logistiker: „Es wird nur noch sehr wenig Material über unseren Hafen umgeschlag­en.“Güter wanderten auf Schiene und Straße ab. Das bedeute enorme wirtschaft­liche Einbußen, die zu beziffern im Augenblick noch gar nicht möglich sei. „In dieser schweren Zeit bauen unsere Kollegen im gewerblich­en Bereich alle Resturlaub­stage und Überstunde­n ab.“Ob das allerdings genügt, um nicht mit Minusstund­en ins neue Jahr zu gehen, hängt vom Wetter ab. Der Hafen Rheinfelde­n ist der erste Lade- und Löschhafen auf deutscher Seite. Dort werden überwiegen­d Rohstoffe für die Zementindu­strie, Baustoffe und Kohleprodu­kte umgeschlag­en.

Warten auf den großen Regen

Im Bewusstsei­n der Deutschen hatte und hat der Rhein neben seiner wirtschaft­lichen Bedeutung immer auch eine mythologis­che: Stärke, Kraft, Leben. Um dieses glorreiche Bild vor dem Hintergrun­d des Geplätsche­rs, zu dem der sonst so stolze Fluss geworden ist, wieder einigermaß­en herzustell­en, braucht es vor allem eines: viel Regen. Nennenswer­te Mengen sind dem Deutschen Wetterdien­st zufolge aktuell nicht in Sicht.

Für Kapitän Ewald Hellwig von der Gilla im Karlsruher Ölhafen bedeutet das, weiter in der Warteschle­ife zu hängen. Mit wenig mehr zu tun, als seine Zigaretten in Rauch aufgehen zu lassen.

„So niedrig, das hatten wir schon. Aber so lange so niedrig – an das kann ich mich nicht erinnern.“ Hafenmeist­er Bernd Ertel

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FOTOS: ERICH NYFFENEGGE­R Der Rheinhafen in Karlsruhe ist bei normalen Wasserstän­den ein geschäftig­er Ort mit jeder Menge Verkehr. Zur Zeit ist der Güterhafen aber wie ausgestorb­en.
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FOTO: NYF Hafenmeist­er Bernd Ertel.
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FOTO: NYF Kapitän Ewald Hellwig.
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