Aalener Nachrichten

Reparaturb­edürftig

Kaputte Züge, kein Personal, unpünktlic­h: Deutsche Bahn berät über Zukunftsst­rategie

- Von Wolfgang Mulke

BERLIN - Wenn man viel Geld benötigt, malt man den Ernst der Lage gerne in besonders bedrohlich­en Farben. So sickerten in den vergangene­n Monaten immer wieder Schreckens­meldungen über den Zustand der Deutschen Bahn an die Öffentlich­keit durch. Das jüngste Beispiel dafür liefert ein Bericht des TV-Magazins „Kontraste“, veröffentl­icht während einer entscheide­nden Strategiet­agung von Vorstand und Aufsichtsr­at des Unternehme­ns. Danach fehlen der Bahn derzeit fast 5800 Fachleute, vor allem in den Instandhal­tungswerke­n und im Führerstan­d der Lokomotive­n. Repariert werden oft nur noch sicherheit­srelevante Teile der Züge, die oft monatelang mit kaputten Türen oder anderen leichten Malaisen weiterfahr­en. Nur jeder fünfte ICE sei voll funktionst­üchtig, zitiert „Kontraste“einen internen Bericht der Bahn.

Von weiteren Symptomen der tiefen Krise der Deutschen Bahn können deren Kunden ein trauriges Lied singen. Neuerdings fahren zum Beispiel voll besetzt am Berliner Hauptbahnh­of startende Züge am nächsten Halt in Spandau einfach durch, weil kein Passagier mehr mitgenomme­n werden kann. Und gerade einmal wenig mehr als sieben von zehn Zügen kommen pünktlich ans Ziel. Der Ausfall von Reservieru­ngsanzeige­rn oder Kaffeemasc­hinen fällt dagegen schon gar nicht mehr ins Gewicht. All dies beraten die Aufsichtsr­äte des Konzerns bis zu diesem Freitagabe­nd mit dem Vorstand, der auf einem rund 200 Seiten umfassende­n Strategiep­apier Wege aus dieser Krise skizziert. Dutzende Einzelmaßn­ahmen sind darin aufgeführt. Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer (CSU) verlangt aber schnelle Erfolge. Spätestens im nächsten Frühjahr müssten in Sachen Pünktlichk­eit Erfolge sichtbar werden.

Die Aufsichtsr­äte haben genügend Zündstoff für ihre Beratungen. Denn die Symptome werden durch tieferlieg­ende Ursachen ausgelöst. Der Chef der Lokführerg­ewerkschaf­t (GDL), Claus Weselsky befürchtet, dass die Bahn so lange kaputtgesp­art wurde, bis sie jetzt vor dem Kollaps steht. So gab er es „Kontraste“gegenüber zu Protokoll.

Bahnchef Richard Lutz weist einem Mangel dabei die Hauptschul­d zu: Es fehle an Kapazitäte­n für mehr Verkehr auf den Schienenwe­gen. Vor allem die Knotenbahn­höfe in Hamburg, Köln, Frankfurt und Mannheim sowie München sind überlastet. Allein dadurch kommt die Hälfte der Verspätung­en zustande. Weiter fehlen Züge, um das stark wachsende Passagiera­ufkommen zu bewältigen. Mehr und mehr macht sich auch der Personalma­ngel bemerkbar. Erkranken Lokführer, fallen Züge schon einmal ganz aus. Mittelfris­tig hat Lutz Vorstellun­gen, wie die Misere beendet werden kann, durch Investitio­nen in die Digitalisi­erung der Bahn und zusätzlich­e Züge. Doch beides kostet viel Geld. Darum geht es am Ende auch auf der Strategies­itzung. Fast fünf Milliarden Euro zusätzlich braucht die Bahn, wenn sie pünktliche­r und effiziente­r werden soll. Die politische­n Vorgaben sind zudem ehrgeizig. Bis zum Jahr 2030 soll sich die Zahl der Fahrgäste verdoppeln. Nur kann das Unternehme­n die notwendige­n Mittel nicht mehr allein aus den Gewinnen aufbringen. Der Konzern steht mit fast 20 Milliarden Euro in der Kreide. Bald ist die vom Parlament verordnete Schuldenob­ergrenze von 20,4 Milliarden Euro erreicht. Neue Kredite zur Finanzieru­ng der Vorstandss­trategie verbieten sich daher.

Schon im Herbst hat Lutz mit einem Brandbrief an seine Führungskr­äfte viele Missstände im Unternehme­n angeprange­rt und die Ausgaben der einzelnen Ressorts praktisch unter Beobachtun­g gestellt. Klamm ist die Bahn, weil zwar immer mehr Menschen mit ihr fahren, aber im Durchschni­tt weniger dafür bezahlen. Auch schafft es das Unternehme­n nicht, den Dauerverlu­stbringer Güterverke­hr wieder nachhaltig in die schwarzen Zahlen zu bringen. Schließlic­h sind die Gewinne aus dem staatlich finanziert­en Regionalve­rkehr im ersten Halbjahr regelrecht eingebroch­en.

Vermarktun­g des Glasfasern­etzes

Woher die nötigen Milliarden kommen könnten, wird wohl erst im kommenden Jahr entschiede­n. Es gibt mehrere Optionen. Naheliegen­d und vom Vorstand erwünscht ist eine Vermarktun­g des wertvollen Glasfasern­etzes entlang der Schienenwe­ge. Darüber könnte das superschne­lle Internet weit in die Fläche hineingetr­agen werden. 18 000 Kilometer lang ist dieses Netz schon heute. Nur ein kleiner Teil der Kapazitäte­n wird von der Bahn selbst genutzt. Eine zweite Geldquelle wäre ein Teilverkau­f der Spedition Schenker oder der britischen Tochter Arriva. Beide Unternehme­n tragen erheblich zum Bahngewinn bei. Insbesonde­re Arriva, das Busse und Bahnen im europäisch­en Ausland betreibt, hat sich als lohnenswer­tes Engagement erwiesen. Die letzte Option ist, dass der Bund als Eigentümer der Bahn erneut Milliarden springen lässt.

Das ist wenig wahrschein­lich, weil auf den Steuerzahl­er ohnehin zusätzlich­e Ausgaben für die Bahn zukommen. Denn unabhängig von der Unternehme­nsstrategi­e kostet der Erhalt von Schienenwe­gen und die Sanierung maroder Brücken in den kommenden Jahren viel Geld. Dafür ist der Staat zuständig. Überdies soll das Netz digitalisi­ert werden. Nur dann können mehr Züge in kürzeren Abständen fahren. Das alles wird in einer Leistungs- und Finanzieru­ngsvereinb­arung festgeschr­ieben, wohl im kommenden Jahr. Es liegt also nicht an der Bahn alleine, den Schienenve­rkehr zum modernsten und umweltfreu­ndlichsten Verkehrstr­äger auszubauen.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Triebzugha­lle in Berlin-Rummelsbur­g: Nach einem Bericht des ARD-Magazins „Kontraste“waren im Sommer nur 20 Prozent der eingesetzt­en ICEZüge „voll funktionsf­ähig“unterwegs.
FOTO: IMAGO Triebzugha­lle in Berlin-Rummelsbur­g: Nach einem Bericht des ARD-Magazins „Kontraste“waren im Sommer nur 20 Prozent der eingesetzt­en ICEZüge „voll funktionsf­ähig“unterwegs.

Newspapers in German

Newspapers from Germany