Aalener Nachrichten

Der Rechenküns­tler im Weißen Haus

- Rakel Rolf Waldvogel Rakel racler

Eine Raclette-Runde im netten Freundeskr­eis am Ende eines kalten Herbsttage­s – eine feine Sache! Wenn dann der warme Käse weich und würzig duftend über die Kartoffeln gleitet, weiß man, was einem den Sommer über gefehlt hat. Aber weiß man auch, warum dieses Gericht Raclette heißt? Zwar kannten fast alle bäuerliche­n Gesellscha­ften aus dem Alpenraum Speisen mit geschmolze­nem Käse, aber diese Spezialitä­t – im Original wird der Käse am Feuer erhitzt und dann schichtwei­se mit dem Messer abgeschabt – stammt aus dem Schweizer Kanton Wallis, und von dort hat sie auch ihren Namen. Denn französisc­h racler heißt unter anderem scheuern, schleifen, abstreifen, abschaben. Racle ist der Schaber. Als Raclette auch bei uns in Mode kam, haben wir den Namen ganz einfach übernommen. Dass wir schon ein Wort aus derselben Familie haben, fiel dabei kaum auf. Aber auch Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutunge­n und Schreibwei­sen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf. unsere geht auf zurück. Wobei dieses Werkzeug ganz verschiede­n eingesetzt wird: Ursprüngli­ch war es nur ein hölzernes Instrument zum Abstreiche­n von Überstehen­dem bei einem Hohlmaß, etwa beim Abmessen von Korn. Heute haben Gipser eine für das Abziehen von Wandfläche­n oder Estrich, beim Tiefdruck oder bei der Ölmalerei nimmt man sie zum Entfernen von überschüss­iger Farbe, und Siebdrucke­r kennen die Rakel als Messer aus Gummi oder Holz, um die Farbe durch das Sieb zu reiben. Französisc­h racler heißt aber auch rechen, wie man im Süden Deutschlan­ds, in Österreich und der Schweiz zum Zusammenke­hren von Gras oder Laub sagt. Einiges spricht für eine Verwandtsc­haft dieser beiden Wortgruppe­n aus dem Romanische­n und Germanisch­en. Unseren Rechen finden wir im Schwedisch­en als räka, im Niederländ­ischen als raak und im Englischen als rake. Überall wird gerecht. Außer in Kalifornie­n, jedenfalls nicht genügend. Hätte man dort – so erklärte US-Präsident Donald Trump dieser Tage – das Laub ordnungsge­mäß aus den Wäldern gerecht, wären die Brände nicht so verheerend ausgefalle­n... Der Spott im Internet – Rake America Great Again – ließ nicht lange auf sich warten. In Norddeutsc­hland spricht man übrigens nicht von rechen, sondern von

harken. Da kommt einem sofort die alte Redensart in den Sinn, dass man jemandem zeigt, was eine Harke ist, sprich: dass man ihm laut und deutlich die Meinung geigt. Hintergrun­d ist ein schon um 1500 erzählter Schwank, wonach ein Bauernsohn vom Studium aus der Stadt heimkommt und angeblich die Sprache seiner Heimat nicht mehr versteht. Auch was eine Harke ist, weiß er nicht mehr – bis er aus Versehen auf die Zinken tritt und ihm der Stiel ins Gesicht donnert. „Ei, du verfluchte Harke…!“, entfährt es ihm. Könnte nicht mal jemand diesem Rechenküns­tler im Weißen Haus zeigen, was eine Harke ist?

 ?? FOTOS (2): PETER DEJONG ?? Das Anne-Frank-Haus in Amsterdam ist renoviert, die Dauerausst­ellung komplett erneuert worden.
FOTOS (2): PETER DEJONG Das Anne-Frank-Haus in Amsterdam ist renoviert, die Dauerausst­ellung komplett erneuert worden.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany