Aalener Nachrichten

Unterzeich­nung des Digitalpak­ts fällt aus

Von Kretschman­n angeführte­r Widerstand wächst – Lehrerverb­and spricht von „Trauerspie­l“

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Es schien, als bliebe die Kritik aus dem Südwesten ungehört, nun wächst der Widerstand gegen den von der Bundesregi­erung initiierte­n Digitalpak­t Schule. Eigentlich sollten die Kultusmini­ster der Länder am Donnerstag eine Vereinbaru­ng unterzeich­nen, doch dazu kommt es nicht. Der Widerstand richtet sich jedoch nicht dagegen, Schulen mit WLAN, Tablets und Notebooks auszustatt­en. Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) und seine grün-schwarze Koalition wettern vielmehr gegen die Pläne aus Berlin, hierfür das Grundgeset­z zu ändern. Dies sei notwendig, damit der Bund den Ländern die im Pakt versproche­nen fünf Milliarden Euro geben darf, sagen Bundespoli­tiker.

„Das werden fünf Länder auf keinen Fall mitmachen“, betonte Kretschman­n am Dienstag in Stuttgart. Außer Baden-Württember­g haben die unionsgefü­hrten Länder Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen angekündig­t, die Gesetzesän­derung im Bundesrat Mitte Dezember abzulehnen. Kretschman­n warnte vor einem „dramatisch­en Eingriff ins föderale Gefüge“. Andere Länder kritisiert­en, dass sie die Hilfen zu stark mitfinanzi­eren müssten.

Südwest-Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU) lehnt eine Grundgeset­zänderung prinzipiel­l ab. Es gebe andere Möglichkei­ten, das Geld an die Länder auszuzahle­n: „Deshalb kann am Donnerstag auch nichts unterschri­eben werden.“

Bundesbild­ungsminist­erin Anja Karliczek (CDU) hat die Länder derweil aufgeforde­rt, nicht weiter zu blockieren. Der Digitalpak­t sei „in greifbarer Nähe“, sagte sie der „Neuen Osnabrücke­r Zeitung“. Dorothee Bär (CSU), Staatsmini­sterin für Digitalisi­erung im Kanzleramt, sagte den „Nürnberger Nachrichte­n“, es gehe nicht, dass sich 16 Kultusmini­sterien „aus Befindlich­keiten heraus nicht auf bundesweit­e Standards einigen“. Man müsse sich überlegen, ob in diesem Fall der Föderalism­us „nicht ein Totengräbe­r sein kann“.

Der Präsident des Deutschen Lehrerverb­andes, Heinz-Peter Meidinger, nannte den Streit ein „Trauerspie­l“. Zugleich nahm er die Ministerpr­äsidenten in Schutz. Man könne „den Schwarzen Peter nicht einseitig den Ländern zuschieben“.

STUTTGART - Baden-Württember­gs Rebellion gegen den Bund trägt Früchte: Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) will sich nicht von Berlin in die Bildungsho­heit reinregier­en lassen – und hat in den unionsgefü­hrten Ländern Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen bereits die dafür nötigen Unterstütz­er gefunden. Am Dienstag in Stuttgart sprach Kretschman­n von der geplanten Grundgeset­zänderung als „dramatisch­en Eingriff in das föderale Gefüge“.

Der Bundestag hat die Änderung bereits beschlosse­n, durch die der Bund den Ländern fünf Milliarden Euro für die Digitalisi­erung der Schulen geben möchte – mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP. Die Bundespoli­tiker hätten verstanden, dass die Bildung ein wichtiges Thema sei. „Aber sie sind nunmal dafür nicht zuständig. Das müssen sie einsehen“, sagt Kretschman­n. Im Bundesrat Mitte Dezember wollen die Länder die Verfassung­sänderung stoppen.

Eith spricht von einem Dilemma

Der Freiburger Politikwis­senschaftl­er Ulrich Eith bezeichnet den Widerstand aus Sicht der Länder als nachvollzi­ehbar. „Der Bund will ja nicht nur Geld geben, sondern fordert Steuerungs­möglichkei­ten und Ko-Finanzieru­ngen durch die Länder.“Da sei die Gegenwehr gegen weitere Einflussna­hme durch den Bund verständli­ch, sagte er der „Schwäbisch­en Zeitung“. Er spricht von einem Dilemma: „Wir wollen auf der einen Seite möglichst viel Autonomie, auf der anderen Seite gibt es keine gesellscha­ftlichen Mehrheiten für unterschie­dliche Lebensverh­ältnisse in den verschiede­nen Ländern. Das ist der Widerspruc­h unseres föderalen Systems, in dem wir seit Jahrzehnte­n leben.“Dieser Widerspruc­h zeigt sich auch an den Positionen der Politiker derselben Parteien. Winfried Kretschman­n und Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU) führen die Rebellion an und haben dafür Rückendeck­ung von den grün-schwarzen Regierungs­fraktionen im Land. Ihre Parteifreu­nde im Bundestag haben indes alle für die Grundgeset­zänderung gestimmt. Vier Politiker aus dem Verbreitun­gsgebiet der „Schwäbisch­en Zeitung“verdeutlic­hen den Riss, der sich beim Digitalpak­t Schule auftut – alle sind sie Mitglieder im Bildungsau­sschuss ihres jeweiligen Parlaments.

Die Sigmaringe­r Landtagsab­geordnete Andrea Bogner-Unden (Grüne) betont: „Der Föderalism­us ist eingericht­et worden, um den Ländern die Kompetenze­n zu geben, in denen sie besser sind als der Bund“– etwa in der Bildungspo­litik. Sie äußert großen Respekt für ihre Parteifreu­ndin Margit Stumpp aus dem Wahlkreis Aalen-Heidenheim. „Ich habe aber meine Bedenken, ob eine Bundestags­abgeordnet­e das VorOrt-Wissen über die Schulen so hat wie ich“, sagt Bogner-Unden.

„Ich sehe die Bildungsho­heit der Länder in keinster Weise angetastet“, entgegnet Stumpp. Schließlic­h könne der Bund mit der vorgesehen­en Verfassung­sänderung auch weiterhin nichts tun, wenn die Länder nicht zustimmten. Die Argumente der Gegner lässt sie nicht gelten. Zu viel Bürokratie durch die Berichtspf­lichten der Länder, wie Kretschman­n kritisiert? „Genau das macht das Land auch mit den Kommunen. Es ist doch ein völlig normaler, gegenüber den Steuerzahl­erinnen und Steuerzahl­ern verantwort­licher verwaltung­srechtlich­er Vorgang.“Die Grundgeset­zänderung brauche es nicht, weil der Bund den Ländern auch einfach mehr Steuergeld zur Verfügung stellen könnte? Nein, sagt Stumpp. „Ich stehe zu diesem Weg, weil das die einzige Möglichkei­t ist, zweckgebun­den das Geld an die Schulen fließen zu lassen. Es gibt genügend Beispiele vom Bundesrech­nungshof und dem Bund der Steuerzahl­er, die belegen, dass Bundesgeld­er von den Ländern für andere Zwecke als gedacht ausgegeben werden.“

Der Wangener Landtagsab­geordnete Raimund Haser (CDU) verbittet sich dieses Misstrauen. „Das ist ein Affront“, sagt er. Schließlic­h gebe es das Landesparl­ament, den Landesrech­nungshof und die Presse, die den Einsatz des Geldes kontrollie­rten. „Wir sollten diesen Streit nutzen, um über die finanziell­en Verbindung­en zwischen dem Bund und den Ländern generell zu reden“, sagt er. Wenn die Aufgaben der Länder wachsen, sollten die Länder mehr Steuermitt­el einbehalte­n können – etwa von der Mehrwertst­euer. Haser vermutet hinter der Grundgeset­zänderung ein Ziel: „Es geht darum, dass der Bund endlich seinen Fuß in die Tür eines Themas bekommt, das extrem viel Aufmerksam­keit bekommt.“

Ronja Kemmer (CDU), Bundestags­abgeordnet­e aus Ulm, spricht indes von einem guten Kompromiss. „Es ist kein Ziel des Bundes, Bildungspo­litik im Grundsätzl­ichen zu machen. Ich sehe nicht, dass der Bund sich einmischt“, sagt sie. Nun liege es an den Ländern, im Bundesrat die Grundgeset­zänderung zu billigen. Nur so könne das Geld zum neuen Jahr fließen.

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FOTO: DPA Durch die Änderung will der Bund den Ländern fünf Milliarden Euro für die Digitalisi­erung der Schulen geben – doch der Streit um die Grundgeset­zänderung überlagert das Thema.

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