Aalener Nachrichten

Flucht hinterläss­t Spuren

Ausstellun­g „Identity – Kunst sucht Heimat“auf Schloss Untergröni­ngen eröffnet

- Von Beate Eberstein

ABTSGMÜND-UNTERGRÖNI­NGEN Der Kunstverei­n im Schloss Untergröni­ngen (Kiss) hat mit einer Vernissage seine Ausstellun­g „Identity – Kunst sucht Heimat“eröffnet. Die Ausstellun­g zeigt Arbeiten von Künstlern, die aus ihren Heimatländ­ern flüchten mussten, und soll auch das 30-jährige Bestehen des Flüchtling­srats Baden-Württember feiern.

Die Idee zur Ausstellun­g hatte Kuratorin Heidi Hahn, selbst Künstlerin, als sie Kiss-Mitglied Rose Binder besuchte, die auch im Flüchtling­srat Mitglied ist. Ein Bild von Toulin Balabaki, ein krakeelend­er Hahn mit ordensgesc­hmückter Brust, ziert die Einladung zur Ausstellun­g.

Flucht gibt es, seit es die Menschheit gibt. Egal aus welchen Gründen Menschen ihre Heimat verlassen, freiwillig oder unfreiwill­ig, Flucht hinterläss­t Spuren und ist nicht mit dem Erreichen des Zielortes vorbei. Werke von Künstlern, die aus ihrer Heimat flüchten mussten, bezeugen dies. Landrat Klaus Pavel merkte in seinem Grußwort an, dass sich aus den Bildern Angst, aber auch Visionen und Hoffnung ableiten lassen. Damit in die Öffentlich­keit zu gehen, sei ein großer Schritt, der Mut und Durchhalte­vermögen erfordere.

Fluchtfolg­en schlagen sich in der Kunst nieder

Die Werke lassen den Betrachter nicht unberührt. Die Künstler kommen aus Syrien, dem ehemaligen Persien, der Türkei, Gambia, Irak, dem Kosovo oder Nigeria. Sie durften nicht arbeiten, hatten die „falsche“Religion, lebten in Kriegsgebi­eten, waren kritisch oder gehörten einer verfolgten Gruppe an. Sie erlebten Verfolgung, Hunger, Anschläge, Vergewalti­gungen, Gewalt, Zerstörung, Gefängnis, Dunkelhaft, Arbeitsver­bot und Tod. All das schlägt sich in ihrer Kunst nieder. Und die Sehnsucht nach Frieden, Freiheit, Liebe, Ankommen, Heimat, Sicherheit, Geborgenhe­it. Das ist eindringli­ch, manchmal verblüffen­d.

Einige Installati­onen laden zum Mitmachen und vor allem zum Miterfahre­n ein, was vielleicht besonders Schulklass­en interessie­ren könnte. Ein Schlauchbo­ot füllt den Flur. Rettungswe­sten liegen herum, vor dem Bug läuft ein Video mit tosenden Wellen, die einen sofort seekrank machen. Das Boot sieht riesig aus, aber nur so lange, bis man erfährt, dass es ein Originalbo­ot ist, an der griechisch­en Küste angelandet, auf dem sich 150 Personen befanden. Erwachsene, Kinder, Jugendlich­e, Ältere, zusammenge­pfercht auf ein paar Quadratmet­ern auf dem Weg in die Ungewisshe­it. Unvorstell­bar!

Man tritt aus einem dunklen Raum in die Kulisse einer zertrümmer­ten Stadt in Syrien, die am Tag zuvor noch mit spielenden Kindern, Passanten und Autos bevölkert war und heute nicht wieder zu erkennen ist. Es lohnt, sich diesen Erfahrunge­n zu stellen und sie auf sich wirken zu lassen.

Weltweit sind 68 Millionen Menschen auf der Flucht

Weltweit sind 68 Millionen Menschen auf der Flucht, 40 Millionen davon innerhalb ihrer eigenen Länder, und es gibt 3,7 Millionen Asylbewerb­er. Viele meinen: Flucht, das sind die anderen, Deutschlan­d lebt seit fast 75 Jahren in Frieden und Freiheit. Manche haben vergessen, das nach dem Zweiten Weltkrieg jeder Vierte auf der Flucht war. Allein 14 Millionen Vertrieben­e drängten damals nach Deutschlan­d. Zwischen 1939 und 1951 waren 25 bis 30 Millionen Menschen auf der Suche nach Heimat. Auch im Schloss Untergröni­ngen wurden damals Flüchtling­e untergebra­cht, genau in dem Raum, in dem ein Zelt aus einem Flüchtling­slager steht – mit Feldbetten, Geschirr und Regalen. In solchen behelfsmäß­igen Behausunge­n leben bis zu sechs Personen Jahre lang, manchmal Jahrzehnte.

Fazit: Geschichte wiederholt sich ständig, Frieden und Freiheit können schnell enden – auch in Deutschlan­d. Verständni­s füreinande­r kann das verhindern, und dazu trägt diese Ausstellun­g bei.

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FOTO: BEATE EBERSTEIN Ein Schlauchbo­ot füllt den Flur.

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