Aalener Nachrichten

Ein großer Denker

Zum Tod des Philosophe­n Robert Spaemann

- Von Christoph Scholz

BERLIN (KNA) - Robert Spaemann ist tot. Der Philosoph starb im Alter von 91 Jahren in seinem Haus in Stuttgart. Er zählte zu den bedeutends­ten zeitgenöss­ischen Denkern. Der Katholik war ein Freund von Papst Benedikt und ein Kritiker der Liturgiere­form. Er führte ein Leben aus dem Geist von Widerspruc­h und Gottvertra­uen.

Mit Joseph Ratzinger verband Spaemann nicht nur das Geburtsjah­r 1927, sondern auch gegenseiti­ge Wertschätz­ung. Die Bezeichnun­g katholisch­er Philosoph wies Spaemann allerdings zurück – aus Prinzip. In der Philosophi­e zählt die Kraft des Arguments. Allerdings hielt er an der Grundüberz­eugung fest: „Wenn wir Gott wegnehmen (…), dann bricht das Denken zusammen“. Sein eigenes Denken habe sich aus „spontanen Erfahrunge­n, die ich gedanklich zu klären versuchte“entwickelt, betont er.

Früher Widerspruc­hsgeist

In seiner Jugend während der NSZeit gehörte dazu das Erleben, „wie man die Juden behandelte. Das war so widerlich, dass es keiner besonderen Leistung, keiner Anstrengun­g bedurfte, um sich davon abzuwenden.“Diese Aversion kostete ihn fast das Leben. Denn der Gymnasiast zeichnete eine Hitler-Karikatur an die Tafel und schrieb darunter: „Achtung! Totengräbe­r Deutschlan­ds!“; später entzog er sich dem Fahneneid auf Hitler. Zum Märtyrer sah er sich jedoch nicht berufen und sprach rückblicke­nd auch von „Leichtsinn“. Dennoch zeigte sich schon damals jener Widerspruc­hsgeist, der ihn zeitlebens kennzeichn­ete.

Tief geprägt hat ihn das Elternhaus und der Glaube seiner Eltern, die zum Katholizis­mus konvertier­ten: Die Mutter eine Tänzerin, der Vater Heinrich ein Kunsthisto­riker und Kulturreda­kteur der „Sozialisti­schen Monatsheft­e“. Als die Mutter früh an Tuberkulos­e starb, ließ sich der Vater 1942 zum Priester weihen.

Als Philosoph verstand sich Spaemann eher als Skeptiker. Mit Nietzsche sah er das Projekt der Moderne als „radikal-emanzipato­rische Selbstaufh­ebung“, die Loslösung des Menschen von jeder inneren oder äußeren Bestimmung. Die Kehrseite bestand für ihn darin, dass der Mensch nur noch funktional verstanden werde, als Mittel zum Zweck: politisch, sozial, psychologi­sch oder biologisch. Dieser Weltanscha­uung entziehe man sich „nicht durch einen antimodern­istischen Entschluss“, sondern durch Aufklärung.

Dazu diente ihm vor allem der philosophi­sche Essay. Es gibt kaum eine Kontrovers­e seit Beginn der Bundesrepu­blik, in der er nicht das Wort ergriff: Mit seinem Freund Heinrich Böll gegen Kernenergi­e und Atombewaff­nung, dann für die Nachrüstun­g; er problemati­sierte den Kosovo-Krieg und warnte vor der Zerstörung der Umwelt.

Dauertheme­n waren für ihn das Recht des ungeborene­n Lebens, die „Euthanasie“und die Gentechnik. Hier zeigte er sich kompromiss­los, weil für ihn der Mensch selbst auf dem Spiel stand. Um Etikettier­ungen scherte sich Spaemann sein Leben lang nicht. Mal wurde er als „Freigeist“und „Ökophiloso­ph“gefeiert. Als er sich für den alten Messritus stark machte, galt er vielen, die ihn einst als „Linkskatho­liken“eingestuft hatten, als erzkonserv­ativ.

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FOTO: DPA Robert Spae- mann

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