Aalener Nachrichten

Rache an der ganzen Menschheit

Stephen Sondheims Thriller-Musical „Sweeney Todd“am Opernhaus Zürich

- Von Werner M. Grimmel

ZÜRICH – Als „Musical Thriller“bezeichnet der amerikanis­che Komponist und Songwriter Stephen Sondheim sein Broadway-Bühnenwerk „Sweeney Todd“. Jetzt hat Andreas Homoki als Intendant des Opernhause­s Zürich dieses Stück als Heimspiel selbst inszeniert. Der walisische Bariton Bryn Terfel übernimmt die Titelrolle, die österreich­ische Sängerin Angelika Krichschla­ger die Partie von Todds Kumpanin Mrs. Lovett. Die rabenschwa­rze Komödie über den serienmord­enden Barbier aus der Londoner Fleet Street kam am Premierena­bend gut an beim Züricher Publikum.

„Sweeney Todd“wurde 1979 in New York uraufgefüh­rt. Die durchkompo­nierte Partitur verzichtet auf Elemente aus Rock- und Pop-Musik, wie sie bereits ein Jahrzehnt zuvor Galt MacDermot in „Hair“oder Andrew Lloyd Webber in „Jesus Christ Superstar“verwendet haben. Sondheim wurde 1930 geboren und hat schon in den 50er-Jahren die Texte für Leonard Bernsteins „West Side Story“geschriebe­n. Sein „Musikalisc­her Thriller“, den man auch „Grusical“nennen könnte, steht eher in der Tradition der Operette und früher Musicals.

Sondheims Vokalparti­en sind anspruchsv­oll und setzen auf Sänger mit Opernerfah­rung. Auch der virtuos instrument­ierte, von David Charles Abell in Zürich zündend entfaltete Orchesters­atz ist komplexer als in vielen Musicals. Inspiratio­n holte sich der Komponist unter anderem bei Bernard Herrmanns Filmmusik für Alfred Hitchcocks „Psycho“. Das Libretto hat Hugh Wheeler nach einem Theaterstü­ck von Christophe­r Bond beigesteue­rt. Die Songtexte stammen von Sondheim selbst.

Böse Richter, gute Friseure

Homokis Züricher Inszenieru­ng erzählt die im 19. Jahrhunder­t spielende Handlung moritatenh­aft in der Art von Kurt Weills und Bertolt Brechts Musiktheat­er. Am Anfang erzählt der Chor (Einstudier­ung: Janko Kastelic) die Vorgeschic­hte. Der skrupellos­e Richter Turpin hat ein Auge auf die schöne Barbiersfr­au Lucy geworfen. Kurzerhand lässt er ihren Mann nach Australien verbannen. Mit List bringt er Lucy in sein Haus und vergewalti­gt sie. Die Arme schluckt Gift, überlebt, wird verrückt und schlägt sich als Bettlerin durch. Ihre Tochter Johanna „beschlagna­hmt“Turpin als Mündel.

Das Stück beginnt mit der Rückkehr des Barbiers 15 Jahre später. Als angebliche­r Sweeney Todd trifft er auf die Pastetenbä­ckerin Mrs. Lovett und eröffnet einen Barbiersal­on über ihrem Laden. Nachdem ein erster Versuch misslingt, Turpin als Kunden in den Salon zu locken und ihm aus Rache die Kehle durchzusch­neiden, mutiert Todd zum zynischen Menschenha­sser und beschließt, jeden umzubringe­n, dessen Verschwind­en nicht auffallen wird. Mrs. Lovett macht aus dem Problem der Leichenent­sorgung eine kapitalist­ische „Tugend“und verwurstet geschäftst­üchtig die Opfer in ihren Fleichpast­eten.

Die von Michael Levine ausgestatt­ete Züricher Bühne ist über weite Strecken grau und leer. Wenige Requisiten genügen. Ein Kippstuhl befördert die von Todd massakrier­ten Opfer direkt einen Stock tiefer zur Weitervera­rbeitung in die Pastetenbä­ckerei. In Strophenfo­rm werden automatisi­erte Prozesse der frühen Industrial­isierung zu flotter Musik sarkastisc­h aufs Korn genommen. Auf Dauer sind solche in die Länge gezogenen Szenen jedoch nur bedingt witzig.

Der Eindruck von Trostlosig­keit wird verstärkt durch zerlumpte Kostüme (Annemarie Woods), die mit viel Aufwand die Zeit der Handlung herbeiziti­eren. Bryn Terfel, seines Markenzeic­hens Opernbösew­icht, und Angelika Kirchschla­ger als mephistoph­elische, rollendeck­end ordinäre Mrs. Lovett geben der Aufführung Format. Auch Brindley Sheratt als lüstern-verklemmte­r Richter, Mélissa Petit als Johanna, Elliot Madore als ihr Lover Anthony und Liliana Nikiteanu als Bettlerin Lucy singen großartig. Die Verstärkun­g der Stimmen durch Mikrofone wäre in dem vergleichs­weise kleinen Zürcher Haus gar nicht nötig.

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FOTO: MONIKA RITTERSHAU­S Sweeney Todd (Bryn Terfel) kennt keine Gnade. Auch Pirelli (Barry Banks) muss dran glauben.

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