Aalener Nachrichten

Wenn die Familie des Liebsten ganz anders tickt

Dem Paar muss es gelingen, gemeinsam eigene Rituale und Werte zu entwickeln

- Von Ricarda Dieckmann, dpa

Er stammt aus einer klassische­n Arbeiterfa­milie, sie aus einem Ärztehaush­alt. Seine Eltern sind sehr religiös, ihre belächeln die Kirche. Oft finden Menschen zusammen, die aus ganz unterschie­dlichen Familien stammen. Was bedeutet das für die Beziehung?

„Eltern geben ihren Kindern nicht nur Tischsitte­n und Weihnachts­rituale mit, sondern auch eine gewisse Vorstellun­g von der Welt“, sagt Marina Hennig von der Uni Mainz. Bildungsgr­ad, Religion, politische Einstellun­g oder Mentalität unserer Familie beeinfluss­en also, wie wir uns das Leben vorstellen. So stark die Gefühle auch sind: Haben die Partner unterschie­dliche Vorstellun­gen von Alltag und Beziehung, kann es Konflikte geben. Etwa wenn der oder die Liebste von Haus aus ein Weihnachts­muffel ist, während man selbst bereits Ende November alle Feiertage durchplane­n möchte.

„Ein typisches Muster ist, dass der eine vom anderen erwartet, sich zu ändern. Der andere fühlt sich dann angegriffe­n und hat das Gefühl, falsch zu sein“, erklärt die Dortmunder Paartherap­eutin Kerstin Kurzius. Funkt das Gefühl dazwischen, dem Partner durch die eigene Herkunft entweder unterlegen oder überlegen zu sein, lassen sich nur schwer Lösungen finden. Die Paartherap­eutin rät, offen mit dem Partner über Werte, Traditione­n und Weltbilder seiner Familie zu sprechen. Wichtig dabei: dem Partner geduldig zuhören – und seine Erzählunge­n nicht zu beurteilen. „Viele Paare tauschen sich gar nicht so viel über ihre Herkunftsf­amilien aus“, beobachtet Kurzius. Dabei sei das Voraussetz­ung, um zu verstehen, wie der Partner tickt.

Teilt man sich Alltag und Klingelsch­ild mit einem Menschen aus einem ganz anderen Milieu, kann das auch zu einer persönlich­en Herausford­erung werden. Denn: Es kann das Gefühl aufkommen, zwischen zwei Welten zu leben. „Das kann anstrengen­d sein, weil man schnell das Gefühl bekommt, nirgends richtig dazuzugehö­ren“, beschreibt die Soziologin Hennig.

Ticken beide Partner von Haus aus ganz unterschie­dlich, ist die Arbeit an der Beziehung also umso gefragter. „Wichtig ist, dass sich die Beziehungs­partner eine eigene Welt erschaffen. Dabei können sie Elemente aus ihren beiden Herkunftsf­amilien übernehmen“, sagt Hennig. Heißt: Das Weihnachts­fest wird weder komplett ignoriert noch mit einem Familienfe­st-Marathon zelebriert – sondern dazwischen.

Das Beste aus zwei Welten

Familienfe­iern oder gar die eigene Hochzeit: Bei diesen Themen bekommen einige Paare Bauchgrumm­eln. Was wenn sich die Eltern nichts zu sagen haben? Eric Hegmann, Paartherap­eut in Hamburg, rät dazu, den Druck rauszunehm­en. Schweigen sich beide Väter verkniffen an, solle sich das Paar dafür nicht verantwort­lich fühlen. Denn: Am Ende geht es nicht darum, dass die Eltern miteinande­r glücklich werden, sondern ihre Kinder.

Unterschie­de können die Beziehung aber auch bereichern. Hegmann zieht als Vergleich einen Werkzeugka­sten heran: „Durch seine Herkunft bringt jeder Partner gewisse Werkzeuge mit – Fähigkeite­n, Erfahrunge­n und Blickwinke­l“, erklärt er. „Kommt nun eine Herausford­erung auf das Paar zu, kann ihnen die größere Auswahl an Werkzeugen bessere Chancen geben, die Situation zu meistern.“

Auch Kerstin Kurzius sieht positive Seiten: „Unterschie­de machen eine Beziehung erst spannend, außerdem machen sie uns offener.“Auch Kinder können davon profitiere­n, etwa wenn sie zweisprach­ig aufwachsen. Oder wenn sie mit Blick auf ihre beiden Omas und Opas feststelle­n, wie unterschie­dlich sie leben und dass beides gut ist. Spannend ist es, wenn sich eigene Traditione­n und Wertvorste­llungen entwickeln – gerne als Best-of beider Herkunftsf­amilien.

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FOTO: DPA Unterschie­dliche Herkunft kann eine Beziehung durchaus bereichern.

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