Stiftung Liebenau bleibt im Tarifstreit hart
Liebenau-Vorstand wehrt sich gegen Vorwürfe – Mitarbeiter fühlen sich hingehalten
STUTTGART/MECKENBEUREN Die Stiftung Liebenau mit Sitz in Meckenbeuren (Bodenseekreis) wehrt sich gegen Vorwürfe von Mitarbeitern und Sozialminister Manfred Lucha (Grüne). Es geht um die Frage, warum sie rund 800 Mitarbeiter nicht dem kirchlichen Arbeits- und Tarifrecht unterstellt. Die Angestellten fühlen sich von der Stiftung schlecht behandelt.
Lucha hatte sich in einem Brief an den Vorstand der Liebenau gewandt. Sie hat europaweit rund 7600 Angestellte und betreibt 324 Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen, für Alte und Kranke. In dem Schreiben bittet Lucha, dass für alle Liebenau-Mitarbeiter die Arbeitsvertraglichen Richtlinien der Caritas (AVR) gelten. Sie regeln unter anderem die Bezahlung der Mitarbeiter katholischer Organisationen. Dabei orientiert man sich an jenen Tarifen, die im öffentlichen Dienst gelten.
„Wettbewerb politisch gewollt“
Die Stiftung Liebenau hatte Anfang der 2000er-Jahre Bedenken angemeldet, weil sie die AVR in Teilen für überholt hält. Nach jahrelangen Verhandlungen mit der Diözese Rottenburg-Stuttgart habe man sich entschlossen, mit drei Tochtergesellschaften zum Beginn des Jahres 2019 auf Dauer aus dem AVR auszuscheren. Das betrifft rund 800 der etwa 3500 Liebenau-Mitarbeiter.
Mittlerweile hat der Stiftungsvorstand dem Minister geantwortet. Das Schreiben liegt der „Schwäbischen Zeitung“vor. Fazit: Die Liebenau hält an ihrer Linie fest und lädt Lucha zum Gespräch. „Wir haben uns sehr lange bemüht, die AVR zu reformieren und an die Voraussetzungen anzupassen. Diese hat der Gesetzgeber mit seinen Rahmenbedingungen geschaffen. Die Politik hat die Weichen dafür gestellt, dass Pflege zu einem Markt mit vielen Wettbewerbern geworden ist. Nun müssen wir als Anbieter sehen, wie wir unter den vorgegebenen Bedingungen zurechtkommen. Deswegen stehen wir nicht nur in der Verpflichtung, kirchlich zu sein, sondern auch wettbewerbsfähig“, begründet Vorstand Markus Brock.
Eigenanteil im Schnitt 2100 Euro
Es gehe nicht darum, alle schlechter zu zahlen. Allerdings braucht man mehr Flexibilität, um etwa Hilfskräfte oder Hauswirtschafterinnen zu entlohnen. Die AVR sähen hier ein Lohnniveau vor, das weit über den Marktpreisen liege. Damit könne man Heime nicht wirtschaftlich betreiben, ohne den Bewohnern zu hohe Kosten aufzubürden. Brock: „Wir wollen unsere Mitarbeiter gerecht bezahlen, aber wir wollen auch darauf achten, dass Bewohner nicht immer mehr zahlen müssen.“
Der Eigenanteil, den Pflegebedürftige zahlen müssen, steigt. Er beträgt im Schnitt etwa 2100 Euro pro Heimplatz. Versicherungen erstatten zwar einen Sockelbetrag. Dieser deckt aber nicht alle Kosten. Wenn die Ausgaben etwa für Personal steigen, muss ein Heim dies auf die Bewohner umlegen, um keine roten Zahlen zu schreiben.
„Wir fühlen uns verkauft“
Die Argumente der Stiftung überzeugen die Mitarbeiter nicht. Manuela Engelhardt, stellvertretende Betriebsratsvorsitzende der betroffenen Liebenau-Tochter „Leben im Alter“, sagt: „Wir fühlen uns vom Vorstand der Stiftung und der Geschäftsführung unserer Gesellschaft hingehalten, vom Bischof Gebhard Fürst fühlen wir uns verkauft.“Jahrelang habe man die Angestellten hingehalten, am Ende ohne Vorwarnung „in die Zentrale bestellt und vor vollendete Tatsachen gestellt“.
Auch Engelhardt bestätigt: Die Liebenau zahlt Fachpersonal wie im AVR vorgesehen und besser als viele private Anbieter. Gelernte Pflegekräfte bekommen 2843 Euro brutto als Einstiegsgehalt. Hinzu kommen Zulagen. Damit liegt man über dem, was etwa die Gewerkschaft Verdi derzeit fordert. „Doch in den unteren Lohngruppen sind die Unterschiede groß, sie betragen bis zu 400 Euro“, erklärt Engelhardt. Außerdem dauere es bei der „Liebenau Leben im Alter“„für Fachkräfte länger als im AVR oder im öffentlichen Dienst, bis sie im Gehaltsgefüge aufsteigen. Engelhardt: „Ich bin elf Jahre hier und verdiene weniger, als eine Hilfskraft im AVR zum Einstieg bekommt. Deswegen ist die Fluktuation auch groß, die Mitarbeiter vergleichen und sehen genau, wo sie besser verdienen“.
Die Liebenau-Vorstände führen einen weiteren Punkt an. So fordern Politiker und auch Sozialminister Lucha seit Jahren: Träger müssen sich nach den Wünschen der Menschen richten, die ihre Einrichtungen nutzen. Also weniger Plätze, wohnliche Atmosphäre. „Wir sind konzeptionell einer der wenigen Anbieter, die überhaupt wohnortnahe kleine Einheiten anbieten – in Straßberg oder Vogt“, sagt Vorstand Berthold Broll.
Dabei seien solche kleinen Häuser teurer: Wenn etwa die Verwaltung nur für 40 statt für 100 Pflegeplätze arbeitet, kostet das pro Platz mehr. Broll: „Die Politik und auch die Menschen selbst wünschen sich kleine Wohneinheiten, keine großen Heime. Doch diese sind unter den aktuellen Bedingungen teurer als große Einrichtungen. Deswegen würden wir uns schon wünschen, dass das Land hier mehr tut. Vorarlberg zum Beispiel fördert gezielt kleine Häuser.“
Minister lädt zum Gespräch
Der Vorstand will nun baldmöglichst mit der Gewerkschaft Verdi Verhandlungen aufnehmen, um einen Tarifvertrag zu vereinbaren. „Das ist nur eine weitere Hinhaltetaktik. Ich glaube nicht, dass wir in absehbarer Zeit einen Vertrag bekommen, mit dem wir leben können“, sagt Betriebsrätin Engelhardt. Bis zu einem neuen Vertrag gilt der alte.
Lucha sagte am Freitag, er werde die Vorstände und Vertreter der Diözese zu Gesprächen nach Stuttgart einladen. Ein Termin steht noch nicht fest.