Umstrittenes Projekt darf weitergebaut werden
Gegner und Befürworter der russisch-deutschen Erdgas-Pipeline Nord Stream 2 vereinbaren Kompromiss
BRÜSSEL - Viele EU-Mitgliedsstaaten und östliche Anrainer sehen es kritisch, dass Russland auf einer Leitung durch die Ostsee sein Gas direkt nach Deutschland verkaufen kann. Deshalb wollte Polen die Direktleitung Nord Stream nach Greifswald mit politischen und europarechtlichen Mitteln verhindern – ohne Erfolg. Seit November 2011 liefert Gazprom jährlich etwa 55 Milliarden Kubikmeter Gas nach Europa. Seit vergangenem Mai wird an der Parallelleitung Nord Stream 2 gebaut – und der Widerstand ist gewachsen.
Im Ministerrat haben bislang neben Deutschland, den Niederlanden und Österreich auch Frankreich eine Reform der EU-Gasrichtlinie blockiert, die das Aus für Nord Stream 2 hätte bedeuten können. Am Freitag sorgte die Meldung für Aufregung, Frankreich engagiere sich nun neben Polen und anderen osteuropäischen Ländern für die Reform und damit indirekt für den Baustopp. Am Nachmittag aber hieß es aus deutschen Delegationskreisen, Frankreich und Deutschland hätten sich doch auf einen Kompromiss verständigt, der sicherstellen solle, dass die Leitung zu Ende gebaut werden kann. Darüber sollte getrennt abgestimmt werden.
Deutsche Diplomaten wollten den Eindruck zerstreuen, die Achse ParisBerlin sei brüchig geworden. Beobachter sehen allerdings trotz des vor knapp drei Wochen in Aachen erneuerten deutsch-französischen Freundschaftsvertrages Risse im Verhältnis der Nachbarn. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wertete die Einigung trotz der Differenzen mit Paris als Erfolg Deutschlands und Frankreichs. „Diesen Tag finde ich gut, und er wäre ohne die deutsch-französische Zusammenarbeit so nicht erfolgt“, sagte sie in Berlin. Auch Frankreich zeigte sich zufrieden. Aus Kreisen des Präsidialamtes in Paris hieß es: „Eine deutsch-französische Krise gibt es nicht.“
USA fürchten Konkurrenz
In Brüssel allerdings machen deutsche Diplomaten die Verhandlungsführung der amtierenden rumänischen Ratspräsidentschaft für die Wirrungen verantwortlich. Bukarest habe dem Druck der amerikanischen Regierung nachgegeben, die Nord Stream 2 ebenfalls kritisiert. Die USA sehen Chancen geschmälert, eigenes Flüssiggas an die Europäer zu verkaufen. Ein Zerwürfnis mit Frankreich gebe es dagegen nicht.
Die EU-Kommission hatte sich mit ihrem Vorschlag für eine Reform der Gasrichtlinie hinter die osteuropäischen Regierungen gestellt. Insbesondere Polen macht geltend, dass die neue Leitung die Abhängigkeit der EU vom russischen Energiekonzern Gazprom erhöhe. Außerdem werde die Verhandlungsposition der Ukraine gegenüber Moskau geschwächt, wenn Gazprom über alternative Lieferwege für sein Gas nach Westen verfüge. Dieser kritischen Haltung hatte sich das Europäische Parlament in einer Resolution angeschlossen, die auch von deutschen Unions-Abgeordneten unterstützt wurde. Dennoch wird der Bau durch die Neufassung der Gasrichtlinie nicht direkt infrage gestellt. Die Betreibergesellschaft verfügt über nahezu alle dafür notwendigen Genehmigungen und dürfte bis zum Inkrafttreten der Neuregelung etwa die Hälfte der Leitung fertiggestellt haben. Allerdings müsste Gazprom beim Betrieb der Leitung die Grundregeln des Energiebinnenmarktes beachten. Dazu gehört insbesondere die Trennung des Leitungsbetriebes vom Gashandel, der Zugang Dritter sowie Transparenz beim Betrieb und bei der Preisbildung. Gazprom lehnt dies ab und hatte den Bau der Pipeline South Stream deshalb aufgegeben.
Ob angesichts der bereits getätigten Investitionen und dem inzwischen hohen politischen Symbolwert Russland an Nord Stream festhält, ist unklar. Zumindest die erzwungene Öffnung der Leitung könnte sich als stumpfes Schwert erweisen, weil Gas aus anderen Quellen nicht zur Verfügung steht. Deutschlands Rolle als Transitland und Handelsplatz für Gas würde durch die zweite Ostseeleitung erheblich gestärkt. Die deutschen Energiekonzerne würden damit einen großen Teil des europäischen Gashandels kontrollieren. Vom Gesamtverbrauch der EU, der sich 2017 auf 467 Kubikmeter belief, entfielen 194 Milliarden Kubikmeter (41 Prozent) auf Importe aus Russland. Über die bereits bestehende Leitung Nord Stream flossen 51 Milliarden Kubikmeter direkt nach Deutschland.
Die Betreibergesellschaft sagte am Freitag lediglich, die Arbeiten an der Leitung würden planmäßig fortgesetzt.