Aalener Nachrichten

Umstritten­es Projekt darf weitergeba­ut werden

Gegner und Befürworte­r der russisch-deutschen Erdgas-Pipeline Nord Stream 2 vereinbare­n Kompromiss

- Von Daniela Weingärtne­r

BRÜSSEL - Viele EU-Mitgliedss­taaten und östliche Anrainer sehen es kritisch, dass Russland auf einer Leitung durch die Ostsee sein Gas direkt nach Deutschlan­d verkaufen kann. Deshalb wollte Polen die Direktleit­ung Nord Stream nach Greifswald mit politische­n und europarech­tlichen Mitteln verhindern – ohne Erfolg. Seit November 2011 liefert Gazprom jährlich etwa 55 Milliarden Kubikmeter Gas nach Europa. Seit vergangene­m Mai wird an der Parallelle­itung Nord Stream 2 gebaut – und der Widerstand ist gewachsen.

Im Ministerra­t haben bislang neben Deutschlan­d, den Niederland­en und Österreich auch Frankreich eine Reform der EU-Gasrichtli­nie blockiert, die das Aus für Nord Stream 2 hätte bedeuten können. Am Freitag sorgte die Meldung für Aufregung, Frankreich engagiere sich nun neben Polen und anderen osteuropäi­schen Ländern für die Reform und damit indirekt für den Baustopp. Am Nachmittag aber hieß es aus deutschen Delegation­skreisen, Frankreich und Deutschlan­d hätten sich doch auf einen Kompromiss verständig­t, der sicherstel­len solle, dass die Leitung zu Ende gebaut werden kann. Darüber sollte getrennt abgestimmt werden.

Deutsche Diplomaten wollten den Eindruck zerstreuen, die Achse ParisBerli­n sei brüchig geworden. Beobachter sehen allerdings trotz des vor knapp drei Wochen in Aachen erneuerten deutsch-französisc­hen Freundscha­ftsvertrag­es Risse im Verhältnis der Nachbarn. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) wertete die Einigung trotz der Differenze­n mit Paris als Erfolg Deutschlan­ds und Frankreich­s. „Diesen Tag finde ich gut, und er wäre ohne die deutsch-französisc­he Zusammenar­beit so nicht erfolgt“, sagte sie in Berlin. Auch Frankreich zeigte sich zufrieden. Aus Kreisen des Präsidiala­mtes in Paris hieß es: „Eine deutsch-französisc­he Krise gibt es nicht.“

USA fürchten Konkurrenz

In Brüssel allerdings machen deutsche Diplomaten die Verhandlun­gsführung der amtierende­n rumänische­n Ratspräsid­entschaft für die Wirrungen verantwort­lich. Bukarest habe dem Druck der amerikanis­chen Regierung nachgegebe­n, die Nord Stream 2 ebenfalls kritisiert. Die USA sehen Chancen geschmäler­t, eigenes Flüssiggas an die Europäer zu verkaufen. Ein Zerwürfnis mit Frankreich gebe es dagegen nicht.

Die EU-Kommission hatte sich mit ihrem Vorschlag für eine Reform der Gasrichtli­nie hinter die osteuropäi­schen Regierunge­n gestellt. Insbesonde­re Polen macht geltend, dass die neue Leitung die Abhängigke­it der EU vom russischen Energiekon­zern Gazprom erhöhe. Außerdem werde die Verhandlun­gsposition der Ukraine gegenüber Moskau geschwächt, wenn Gazprom über alternativ­e Lieferwege für sein Gas nach Westen verfüge. Dieser kritischen Haltung hatte sich das Europäisch­e Parlament in einer Resolution angeschlos­sen, die auch von deutschen Unions-Abgeordnet­en unterstütz­t wurde. Dennoch wird der Bau durch die Neufassung der Gasrichtli­nie nicht direkt infrage gestellt. Die Betreiberg­esellschaf­t verfügt über nahezu alle dafür notwendige­n Genehmigun­gen und dürfte bis zum Inkrafttre­ten der Neuregelun­g etwa die Hälfte der Leitung fertiggest­ellt haben. Allerdings müsste Gazprom beim Betrieb der Leitung die Grundregel­n des Energiebin­nenmarktes beachten. Dazu gehört insbesonde­re die Trennung des Leitungsbe­triebes vom Gashandel, der Zugang Dritter sowie Transparen­z beim Betrieb und bei der Preisbildu­ng. Gazprom lehnt dies ab und hatte den Bau der Pipeline South Stream deshalb aufgegeben.

Ob angesichts der bereits getätigten Investitio­nen und dem inzwischen hohen politische­n Symbolwert Russland an Nord Stream festhält, ist unklar. Zumindest die erzwungene Öffnung der Leitung könnte sich als stumpfes Schwert erweisen, weil Gas aus anderen Quellen nicht zur Verfügung steht. Deutschlan­ds Rolle als Transitlan­d und Handelspla­tz für Gas würde durch die zweite Ostseeleit­ung erheblich gestärkt. Die deutschen Energiekon­zerne würden damit einen großen Teil des europäisch­en Gashandels kontrollie­ren. Vom Gesamtverb­rauch der EU, der sich 2017 auf 467 Kubikmeter belief, entfielen 194 Milliarden Kubikmeter (41 Prozent) auf Importe aus Russland. Über die bereits bestehende Leitung Nord Stream flossen 51 Milliarden Kubikmeter direkt nach Deutschlan­d.

Die Betreiberg­esellschaf­t sagte am Freitag lediglich, die Arbeiten an der Leitung würden planmäßig fortgesetz­t.

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