Wo Kunst mit Füßen getreten wird
Der Frankfurter Künstler Philipp Alexander Schäfer macht Gullydeckel zu Street-Art
FRANKFURT (epd) - Unter dem Vordach der Städtischen Bühnen in Frankfurt am Main liegt eine Roulettescheibe, mitten auf dem Boden. Aufgemalt auf einen runden Kanaldeckel. Viele gehen vorbei, ohne es zu bemerken. Touristen machen Selfies vor den Wolkenkratzern, ein Teenager tritt beinahe drauf. Philipp Alexander Schäfer, Konzeptkünstler und Schöpfer der Roulettescheibe, hat es genauso geplant.
Seit mehr als zwei Jahren macht der 38-Jährige im Rahmen seines Projekts „Kanalarbeiten“aus und auf Gully- und Kanaldeckeln Kunst. Mal bemalt er einen Deckel, so dass er aussieht wie eine Waschmaschine, die ein Gehirn im Schleudergang wäscht. Mal beklebt Schäfer einen Deckel mit futuristischen Rohren. Oder er steckt Brotscheiben in die Schlitze und macht aus einem Gully einen Toaster.
Die Werke müssen immer zu dem Ort passen, an dem sie stehen. „Für mich ist gute Kunst im Raum die, die auch auf den Raum Bezug nimmt“, erklärt Schäfer. „Also Kunst, die nur an diesem Ort funktioniert, und an einem anderen Ort, auf einem ähnlichen Gullydeckel, eben nicht.“
Die Roulettescheibe liegt nicht zufällig in der Nähe der großen Frankfurter Euroskulptur, mit Blick auf die Wolkenkratzer der Banken. „Stichwort Casinokapitalismus“sagt Schäfer dazu. Finanzunternehmen spielten mit Geld und wetteten auf steigende und fallende Aktienkurse. „Das hat gar keine Darstellung im richtigen Leben mehr. Das sind einfach nur noch Zahlen, die irgendwo hin und her geschoben werden“, sagt Schäfer.
Nicht immer steckt eine solche Symbolik dahinter: Manche seiner Gullydeckel sollen die Betrachter aber auch einfach nur zum Lachen bringen.
Oft ist es schwierig, Schäfers Kunst im Original zu sehen: Die Roulettescheibe am Willy-Brandt-Platz gibt es schon seit September. Andere Werke, wie der Gully-Toaster, halten dagegen nicht mehr als ein paar Stunden. Man kann sie nur noch auf Fotos auf Schäfers Webseite und Instagram-Kanal sehen. Die Vergänglichkeit gehört für den Künstler dazu. Wenn die Passanten über eines seiner Werke gehen, führten sie seine Arbeit fort. So wird seine Kunst lebendig und zu einem Teil der Stadt, wie er sagt.
Im Gully sieht Schäfer auch das Tor zur Unterwelt. „Der Gullydeckel verschließt die Unterwelt vor der Oberwelt. Er steht für unser Unbewusstes. Für alles, worauf wir nicht so gerne einen Blick werfen, wo wir lieber einen Deckel drauf machen. Das, was im Verborgenen liegt, in individueller Hinsicht und in gesellschaftlicher.“
Studiert hat Schäfer Politikwissenschaften, unter anderem unterrichtet er als Lehrbeauftragter für Methoden der empirischen Sozialforschung an der Frankfurt University of Applied Sciences. Aber hauptberuflich ist er Künstler, einige seiner Werke sind in Galerien ausgestellt. Wie ein exzentrischer Künstlertyp wirkt er aber nicht, in seiner blauen Jacke mit weißen Farbflecken am Ärmel und Jeans sieht er eher aus wie ein Handwerker.
Angefangen als Graffitikünstler
Mit der Kunst angefangen hat Schäfer als Graffitikünstler. Bekanntgeworden sind zum Beispiel seine City Ghosts, kleine Gespenster, die nicht nur an Frankfurter Hauswänden auftauchen, sondern heute auch in New York, Paris und Bangkok zu sehen sind. Beim Graffitisprühen seien ihm dann die Gullydeckel aufgefallen, sagt Schäfer: „Wie eine Leinwand, die auf dem Boden liegt, und keiner malt sie an.“Inzwischen hat er eine Datenbank mit Fotos von Gullydeckeln, die sich für seine Werke eignen – aber keine Genehmigung für seine Kunst.
„Es dauert total lange, bis man vom Amt eine Antwort erhält“, sagt Schäfer. „In der Zeit habe ich das Kunstwerk schon zehnmal gemalt. Es ist ja auch nichts, was bleibt.“Probleme bekomme er wegen der fehlenden Genehmigung nicht.
Die meisten Passanten fänden seine Kunst gut, vor allem Kinder, sagt er. „Einmal ist zufällig eine Kindergartengruppe vorbeigekommen. Dann standen plötzlich 15 Kinder um mich herum und haben zugesehen, wie ich gemalt habe.“
In Zukunft will er mehr mit den Gullydeckeln arbeiten, die mit ihren Längsstreben aussehen wie Käfige. Dabei wird es wieder humoristische, aber auch nachdenkliche Werke geben: In einem „Deckelkäfig“soll ein knallbunter Papagei sitzen. In einem anderen ein politischer Häftling aus der Türkei. Wo seine neuen Werke zu sehen sein werden, will Schäfer nicht verraten. Interessierte müssen also die Augen offen halten. Und immer auf ihre Füße schauen.
Mehr über den Künstler und seine
Gullydeckel-Kunstwerke gibt es im Internet unter der Adresse www.philippalexanderschaefer.de