Kleinkind durchlebte bei Pflegeeltern die Hölle
Amtsgericht Mannheim verhandelt über ein Ehepaar, das einen Dreijährigen schwer misshandelt haben soll
MANNHEIM (lsw) - Ein Paar aus dem Rhein-Neckar-Kreis soll seinen kleinen Pflegesohn brutal misshandelt haben. Seit Dienstag müssen sich die Pflegeeltern vor dem Amtsgericht Mannheim verantworten.
Offene Wunden, Handknochenfrakturen, Brillenhämatome, Schlüsselbeinbruch – die von Staatsanwalt Tobias Lutz vorgetragene Liste von Verletzungen des zur Tatzeit dreijährigen Jungen lässt einem den Atem stocken. Die 44-jährige Angeklagte und ihr gleichaltriger Ehemann lauschen anscheinend ungerührt den Vorwürfen. Die Frau mit raspelkurzem Haar, zahlreichen Ohrpiercings und Tattoos auf dem Nacken ist wegen gefährlicher Körperverletzung und Misshandlung Schutzbefohlener angeklagt. Ihrem stämmigen bärtigen Gatten im weißen Hemd wird Körperverletzung und Misshandlung durch unterlassene Hilfe zur Last gelegt.
Lutz schilderte die Pflege in der Familie, zu der auch zwei leibliche Kinder des Paares gehören, zunächst als liebevoll. Doch nach einem halben Jahr änderte sich das. Von Juli 2017 an sei der Junge körperlich gezüchtigt worden. Der Pflegevater habe dem Kind mindestens einmal auf das Gesäß geschlagen. Seine Frau gab dem Jungen laut Anklage drei bis vier Wochen zu wenig oder kein Essen. Hatte der Junge sich dreckig gemacht, duschte ihn die Pflegemutter eiskalt ab, wie es in der Anklageschrift weiter heißt. Sie habe ihm mit der Faust oder flachen Hand ins Gesicht und auf den Oberkörper geschlagen und ihn gegen das Mobiliar geschubst. Durch mehrfache Schläge mit einem Kochlöffel habe sie ihm die Mittelhandknochen gebrochen. Auf dem Kopf des Kindes wurden kahle Stellen entdeckt: Laut Staatsanwaltschaft hat die Pflegemutter ihrem Opfer büschelweise Haare ausgerissen.
Das Jugendamt alarmiert
Angesichts solcher Auswüchse betont der Deutsche Kinderschutzbund: „Jedes Kind hat ein Recht auf gewaltfreie Erziehung.“Das Kriterium Umgang mit Gewalt spiele auch bei der Gewinnung von Pflegeeltern eine große Rolle, sagt Geschäftsführerin Cordula Lasner-Tietze. Immer mehr Kinder sind in Pflegefamilien untergebracht, im Südwesten lag die Zahl 2017 bei rund 6800. Eltern, die diese Verantwortung übernehmen wollen, werden hingegen seltener.
Der dem Vernehmen nach von einer sehr jungen Mutter geborene Bub hat es seiner früheren Kurzpflegemutter zu verdanken, dass sein Leiden im September 2017 zu Ende ging. Bei einem Kontaktgespräch zwischen der jetzt angeklagten Pflegemutter und ihrer Vorgängerin fiel Letzterer der schlechte Gesundheitszustand des Kindes auf. Sie alarmierte das Jugendamt. Was die Mitarbeiter vorfanden, führte zum sofortigen Ende der Pflege und zu einer Anzeige gegen unbekannt.
Inzwischen habe der Junge das Gröbste überstanden, sagt ein Freund seiner neuen Pflegeeltern. Er laufe ihm wieder fröhlich entgegen, wenn er zu Besuch komme. Doch die Gewalterfahrung lasse sich nicht einfach abstreifen: „Das wird er nie ganz wegkriegen.“