Reingefallen auf Viagogo: So läuft das miese Ticket-Geschäft
Redakteurin Alexandra Rimkus hat auf dem Online-Schwarzmarkt Tickets für ein Zweitligaspiel in Heidenheim gekauft – und wurde enttäuscht
AALEN - Der Ruf der Online-Ticketbörse Viagogo ist nicht der beste. Überteuerte Karten, falsche Karten oder Karten für Veranstaltungen, die es gar nicht gibt. In Verbraucherforen berichten zahllose Viagogo-Opfer, wie sie abgezockt wurden. Trotzdem fallen immer wieder Menschen auf diesen Ticket-Schwarzmarkt herein. Auch die Verfasserin dieses Artikels, die für das Spiel des 1. FC Heidenheim gegen den Hamburger SV drei Tickets für 152,94 Euro bei Viagogo orderte und sich das Spiel am kommenden Samstag nun zu Hause vor dem Fernseher anschauen darf.
Das Prinzip Viagogo funktioniert denkbar einfach. Es ist eine OnlineTicketbörse, die selbst für restlos ausverkaufte Konzert- und Sportveranstaltungen auf wunderliche Weise stets noch Karten anbieten kann. So auch für die Zweitligapartie am 16. Februar in Heidenheim. Erwartet wird der Hamburger SV. Gästeblock und Haupttribüne sind seit Wochen restlos ausverkauft. Karten für dieses Spiel sind auf regulärem Wege nicht mehr zu bekommen. Auch auf seriösen Onlineplattformen wie Ebay gibt es keine Tickets mehr. Wer nach Eintrittskarten googelt, landet zwangsläufig bei Viagogo und hat in dem Moment verloren, in dem man beginnt, sich hier durch das undurchsichtige Angebot zu klicken.
Sechs Minuten für die Bestellung: Der Countdown läuft
Denn es wird sofort Druck auf den geneigten Fan aufgebaut. Man erfährt, dass dieses Spiel derzeit „die meistverkaufte Veranstaltung“in Heidenheim ist und sich die wenigen Tickets, die noch da sind, „sehr schnell“verkaufen. In roten Lettern prangt über allem, dass sich außer einem selbst „gerade 226 andere Personen“die letzten Tickets anschauen.
Der Blutdruck steigt, der Kaufdruck wächst. Man will ja schließlich zum Spiel. Und Viagogo hat offenbar tatsächlich noch attraktive Karten im Angebot. Also wird flugs ausgewählt. Haupttribüne, drei Sitzplätze, natürlich nebeneinander. Die nächste Seite im Bestellvorgang baut sich langsam auf.
Der Druck steigt weiter. Denn der potentielle Käufer erfährt nun als Erstes: „Jemand anders hat Ihre Sitzplätze erworben“– und das für sage und schreibe 175 Euro pro Karte. Es leuchtet in rot: „Fast ausverkauft. Nur noch vier Tickets übrig“. Ganz klar: Es muss jetzt schnell gehen. Viagogo räumt für den Bestellvorgang maximal sechs Minuten ein. Der Countdown tickt runter. Gnadenlos. Es bleiben nur noch viereinhalb Minuten. Zum Glück werden noch drei Karten für günstig anmutende 38 Euro im „Main Stand“angepriesen. Das wird ja wohl die Haupttribüne sein. Grün unterlegt steht geschrieben: „Die Sitzplätze liegen nebeneinander“. Eine Stuhlreihe mit drei Sitzplätzen wird angezeigt. Alles ist gut. Scheinbar. Leider schweift der Blick in diesem Moment nicht auf die linke Hälfte des Bildschirms: Dort würde man jetzt nämlich in einem Kästchen – sehr klein geschrieben – den Hinweis entdecken: „Nur Stehplätze – Info“. Das geht im Streß leider unter.
Der Gebührenhammer schlägt erst am Ende zu
Und so wird der Bestellvorgang gerade noch so fristgerecht abgeschlossen, die Zahlung läuft über die Kreditkarte. Danach zunächst: Freude. „Wir sind beim Spiel dabei.“Zwar teuer erkauft, aber immerhin im Stadion. 152,94 Euro will Viagogo haben, was man aber erst nach Abschluss der Buchung erfährt. Davon entfallen 114,06 auf die Tickets. 28,52 Euro sind Buchungsgebühren, 4,95 Euro werden für die Bearbeitung verlangt und dann gibt es noch die Mehrwertsteuer mit 5,41 Euro.
Viagogo schickt danach per Mail sogar tatsächlich drei E-Tickets im PDF-Format. Doch mit dieser Mail kommt auch die Ernüchterung. Und sie fällt groß aus. Denn erst jetzt wird klar, dass man für diesen Preis keine Sitz-, sondern Stehplatzkarten erworben hat. Und das nicht auf der Haupttribüne, sondern im UltraFanblock des 1. FC Heidenheim. Nominalwert: 12 Euro pro Karte. Für drei HSV-Fans sind diese Tickets praktisch wertlos, denn mit HSVSchals und Shirts darf man in diesem Bereich überhaupt nicht stehen.
Aber es soll noch schlimmer kommen. Am Tickettelefon des 1. FC Heidenheim erfährt man, dass offenbar sehr viele HSV-Fans bei Viagogo „zugeschlagen“haben. Preise bis zu 600 Euro wurden für das Spiel von HSVern gezahlt, berichtet die Dame an der FCH-Tickethotline. Und diese Fans würden nun alle ein Schicksal teilen: Sie werden mit ihren teuer erworbenen Viagogo-Karten womöglich gar nicht ins Stadion gelassen. Wieso? Das erklärt der Pressesprecher des 1. FC Heidenheim, Markus Gamm, auf Nachfrage. Demnach habe man beim 1. FC Heidenheim die Erfahrung gemacht, dass diese personalisierten E-Tickets, die bei Viagogo von anonymen Verkäufern angeboten werden, oftmals mehrfach auf dem Online-Schwarzmarkt verschachert werden. Jener Käufer, der das Ticket am Stadion dann zuerst vorzeigt, erhält Einlass. Alle, die danach mit dem gleichen Ticket aufschlagen, müssen draussen bleiben. „Das passiert regelmäßig und ist auch für uns als Verein ein Riesenärgernis“, sagt Gamm. Der 1. FC Heidenheim warne deshalb auf seiner Homepage auch eindringlich davor, auf Online-Börsen wie Viagogo Karten zu erwerben. Zu oft komme es hier zum Betrug.
Die Polizei macht wenig Hoffnung
Und ist das Kind erst einmal in den Brunnen gefallen, ist das Geld in aller Regel futsch. Im beschriebenen Fall scheiterte der Versuch, die Abbuchung des Kaufbetrags über die Kreditkarte noch zu verhindern. „Eine Kreditkarte ist wie Bargeld. Da lässt sich jetzt nichts mehr machen. Außerdem haben Sie ja Eintrittskarten bekommen“, erklärt ein Call-CenterAgent bei Mastercard. Das es die falschen sind, spiele für das Kreditkartenunternehmen keine Rolle. Der Mastercard-Mitarbeiter lässt für einen kurzen Moment noch ein bisschen Hoffnung keimen. Man könne den Vorgang eventuell doch noch reklamieren. Dazu müsste man am Spieltag aber nach Heidenheim fahren und dort am Stadioneingang tatsächlich abgewiesen werden. Wie man diese Situation für Mastercard glaubhaft dokumentieren soll – eventuell mit einem dramatischen Selfie vor dem Stadiontor? – weiß der CallCenter-Agent allerdings auch nicht so genau. Eine anschließende Presseanfrage, warum Mastercard mit Unternehmen wie Viagogo überhaupt noch zusammenarbeitet, obwohl sich die Beschwerden der Kunden in den vergangenen Jahren massiv gehäuft haben, bleibt unbeantwortet.
Bei der Polizei in Ellwangen nimmt man die Strafanzeige gegen Viagogo immerhin auf. Allerdings wird gleich betont, dass „da vermutlich nicht viel bei rum kommen wird“. Das Unternehmen habe seinen Sitz schließich in der Schweiz. „Das wird schwierig“, orakelt der Beamte.
Verbraucherzentralen mahnen ab
Der Verbraucherschutz Deutschland, der die Online-Ticketbörse bereits mehrfach wegen ihrer dubiosen Geschäftsgebaren abgemahnt hat, rät Betroffenen dennoch dazu, immer Strafanzeige zu stellen. „Man darf sich da von Polizeibeamten nicht entmutigen lassen“, sagt Oliver Buttler von der Verbraucherzentrale BadenWürttemberg. Die Schweiz sei schließlich kein Dritte-Welt-Land, auch hier lasse sich Recht einklagen und durchsetzen. „Man braucht dafür aber einen langen Atem.“
Bekannte und Freunde reagieren auf den teuren Bestellflop derweil achselzuckend. „Selber schuld“. Bei Viagogo „bestellt man doch nichts, das weiß doch jeder“.
Offenbar nicht. Denn nach wie vor fallen jeden Tag Leute auf dieses Portal herein, werden dreist abgezockt, mitunter auch betrogen. Wer sich davon ein Bild machen will, kann im Internet auf verschiedenen Verbraucherinformationsportalen Erfahrungsberichte von zahllosen Viagogo-Opfern nachlesen.
Und bei Viagogo selbst? Hier beantwortet man alle wütenden Reklamationen im stets höflichen Ton mit den stets gleichen Floskeln aus der Standardschreibenschublade. Mitarbeiter, die mal Reka, mal Fatoumata heißen, stellen sogar eine Wiedergutmachung in Aussicht – mal sind es 35 Euro, mal 85 Euro, dann plötzlich wieder 75 Euro. Das Geld gebe es aber nur dann, wenn die Tickets zurückgegeben und auf Viagogo weiterverkauft werden. An den nächsten Fan, der unbedingt beim Spiel Heidenheim gegen den HSV dabei sein will .... koste es, was es wolle.