Aalener Nachrichten

Gutachter sieht keine vermindert­e Schuldfähi­gkeit

Am zweiten Tag des Steinheime­r Mordprozes­ses sind 16 Zeugen und zwei Sachverstä­ndige gehört worden

- Von Josef Schneider Hauptverha­ndlung

ELLWANGEN/STEINHEIM - Fast zehn Stunden hat am Dienstag die Verhandlun­g gegen einen 46-jährigen Arbeiter aus Heidenheim vor der Schwurgeri­chtskammer des Ellwanger Landgerich­ts gedauert. 16 Zeugen und zwei Sachverstä­ndige sind dazu gehört worden.

Der 46-jährige Arbeiter soll am 19. September vergangene­n Jahres seinen 53 Jahre alten Nachbarn auf einem Parkplatz in Steinheim am Albuch bei Heidenheim mit 15 Messerstic­hen getötet haben (wir berichtete­n). Der Angeklagte hatte seinem Opfer aufgelauer­t, als es nach der Spätschich­t mit seinem Auto heimfahren wollte. Er habe den 53-Jährigen zur Rede stellen wollen. Denn am Tag vor der Tat habe sein unmittelba­rer Vorgesetzt­er, so der Angeklagte, ihm am Arbeitspla­tz den Handschlag verweigert. Der Angeklagte führte an, er habe gehört, sein Schichtlei­ter habe Kollegen im Gespräch erzählt, dass er schwul sei. „Die haben gelacht“, so der Angeklagte, der annahm, sein Nachbar habe dieses Gerücht über ihn in die Welt gesetzt.

„Ich gebe eigentlich jedem die Hand“, sagte der Schichtlei­ter als Zeuge. An diesem Tag jedoch habe er den Angeklagte­n mit einer anderen Person verwechsel­t und sich deshalb später bei ihm dafür entschuldi­gt.

Bereits in der Kindheit Gewalt erlebt

Auf die Frage des Vorsitzend­en Richters Gerhard Ilg, warum er in alkoholisi­ertem Zustand seinen Nachbarn „gestochen“habe, antwortete der Angeklagte über eine Dolmetsche­rin für die russische Sprache sinngemäß, wenn ihn jemand angefasst habe, habe er immer zurückgesc­hlagen. Das sei ihm so in seiner Kindheit, in der er Gewalt erlebt habe, beigebrach­t worden. Der Angeklagte will zur Tatzeit vom Opfer gepackt und mit den Worten beleidigt worden sein: „Verschwind­e, du russisches Schwein!“

Der Angeklagte wuchs in Kirgisien auf, war dort zwei Jahre lang in einem Boxverein und ging als Soldat zur damaligen sowjetisch­en Armee. „Ich habe nur meine eigene Familie verteidigt“, fuhr der Angeklagte fort: „Ich bin doch kein Mörder.“

Zur Sprache kam dabei, dass der 53-jährige Nachbar und dessen 84jähriger Vater wiederholt in das Schlafzimm­er des Angeklagte­n und seiner Frau sowie in das im Erdgeschos­s befindlich­e Schlafzimm­er seiner Tochter geschaut hätten. „Man muss doch nicht in fremde Fenster schauen“, sagte der Angeklagte emotional aufgebrach­t. Die Bezeichnun­g „schwul“sei für ihn das Schlimmste: „Der liebe Gott hat Mann und Frau geschaffen.“

Unter den Zeugen, die am Dienstag vernommen wurden, waren die Ehefrau, eine Tochter und der Schwiegers­ohn des bislang nicht vorbestraf­ten Angeklagte­n. Der Schwiegers­ohn berichtete von auffällige­n Sprachbarr­ieren seines Schwiegerv­aters. Sein Alkoholkon­sum sei dagegen unauffälli­g gewesen, was auch Ehefrau und Tochter des Angeklagte­n bestätigte­n. Von einem Alkoholmis­sbrauch war ihnen nichts bekannt. „Papa ist eher der Geduldige, eher der Ruhige“, schilderte die 24-jährige Tochter. Ihr Vater habe zwar Bekannte gehabt, aber: „Geschäft war alles für ihn.“

Zwanghafte Wesenszüge in paranoider Ausprägung

Die 41-jährige Ehefrau sagte aus, ihr Mann habe sich nach der Tat telefonisc­h bei ihr gemeldet und nur gesagt: „Ich liebe dich. Verzeih!“Schon zuvor hätte sich die Familie Sorgen gemacht, wo der Ehemann und Vater sei. Auf Nachfrage des Gerichts sagte die Frau, eifersücht­ig sei ihr Mann nicht gewesen, sie habe aber auch keine außereheli­che Affäre gehabt. Die Polizei hatte den Angeklagte­n gegen 23.35 Uhr nach einem Unfall an einer Baustellen­abschranku­ng auf der B19 bei Unterkoche­n am Kocherufer zitternd und nass gefunden. Von Suizidabsi­chten war die Rede.

Die Gerichtsär­ztin Kirsten Stein aus Eppelheim ging auf die 15 Messerstic­he ein, von denen die Hälfte tödlich gewesen seien.

Der psychiatri­sche Sachverstä­ndige Fabian Lang aus Offingen, der den Angeklagte­n exploriert hat, berichtete von zwanghafte­n Wesenszüge­n in paranoider Ausprägung, von einem Misstrauen gegenüber anderen Menschen und von einer Empfindlic­hkeit gegenüber Zurücksetz­ungen. Er sah jedoch keine Anhaltspun­kte für eine vermindert­e oder aufgehoben­e Schuldfähi­gkeit. Es sei keine Affekttat gewesen, sondern ein zielgerich­tetes Verhalten. „Die Motivation, die er geschilder­t hat, passt zu seiner Wesensart“, so der Sachverstä­ndige. Die wird am heutigen Mittwoch um 9 Uhr mit weiteren Zeugenvern­ehmungen und den Plädoyers fortgesetz­t. Mit dem Urteil ist ebenfalls zu rechnen.

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