Mehrheit zweifelt am Aufklärungswillen
Anti-Missbrauchsgipfel tagt ab Donnerstag – Papst unter massivem Druck
KÖLN (dpa) - Beim Missbrauchsskandal nimmt eine Mehrheit der Deutschen der katholischen Kirche ihren Aufklärungswillen nicht ab. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov gaben 59 Prozent an, sie glaubten nicht, dass die Kirche aktiv darum bemüht sei, den Skandal aufzuarbeiten. Am Donnerstag kommen im Vatikan die Vorsitzenden der Bischofskonferenzen aus aller Welt zu einem bisher beispiellosen Spitzentreffen zum Thema Missbrauch zusammen.
ULM - Wenn ab Donnerstag die Vorsitzenden der nationalen katholischen Bischofskonferenzen aus aller Welt, Ordensobere und Chefs der Kurienbehörden zum Anti-Missbrauchsgipfel in den Vatikan kommen, dann blickt Klaus Nadler aus dem oberschwäbischen Weingarten mit besonderem Interesse nach Rom. Der heute 69-Jährige war als Jugendlicher jahrelang im Priesterseminar Collegium Borromäum der Erzdiözese Freiburg oder in Zeltlagern sexuell missbraucht worden und musste um Anerkennung und Entschädigung jahrelang hart kämpfen.
Nadler erwartet wenig vom Krisentreffen, glaubt nicht an den großen, weltweiten Durchbruch, Einsicht oder Reformen bei kirchlichen Strukturen. Konkrete Taten, Entschädigungen oder Hilfe müsse jedes Opfer selbst erkämpfen. Sein Rezept: „Dranbleiben, drängen und Druck machen.“Nadler selbst führte Anfang Februar ein Gespräch mit dem Freiburger Oberhirten Stephan Burger, der mit jedem Missbrauchsopfer auf Wunsch persönlich spricht: „Und es war ein gutes Gespräch“, resümiert Nadler, „über die Inhalte haben wir Stillschweigen vereinbart.“
So niedrig Betroffene wie Nadler die Erwartungen an den Anti-Missbrauchsgipfel hängen, so groß sind sie weltweit, sagt der deutsche Pater Hans Zollner, der zum Vorbereitungskomitee des Gipfels gehört. „Das ist verständlich mit Blick auf die Schwere des Skandals, der so viele Menschen schockiert und verletzt hat, Gläubige oder nicht, in so vielen Ländern.“Zollner spricht vom „Treffen zum Kinderschutz in der Kirche“, lehnt die Bezeichnung „Anti-Missbrauchsgipfel“ab.
Unterschiedlicher Umgang
Papstsprecher Greg Burke nennt das Treffen „beispiellos“. Kirchenführer auf der ganzen Welt müssten verstehen, welch „verheerenden“Effekt Missbrauch auf die Opfer hätte. Daher hatte der Papst jeden Teilnehmer gebeten, sich zur Vorbereitung mit Missbrauchsopfern zu treffen. Für viele Kirchenfürsten eine neue Erfahrung: Denn in vielen Regionen der Weltkirche, etwa in Afrika, Asien oder im Nahen Osten, wird nicht offen diskutiert. Pater Zollner ergänzt: „In den unterschiedlichen Kulturen gibt es verschiedenste Verständnisse von Nähe und Distanz, Sexualität, Gewalt, Kindheit oder von Autorität und Macht. Das hat großen Einfluss darauf, ob und wie Maßnahmen gegen Missbrauch wirksam werden können.“
Die Missbrauchsopfer sehnen sich nach konkreten Taten. „Wenn dieses Treffen mit nichts anderem als enthusiastischen Worten endet und Versprechen für die Zukunft, wird das das Ende des Weges für viele sein, die seit Jahren darauf warten, dass die Kirche konkrete Maßnahmen ergreift“, sagt Marie Collins, ExMitglied der päpstlichen Kinderschutzkommission. Als zwei wesentliche Ergebnisse der Konferenz fordern die Verbände „Null Toleranz“sowie „Null Vertuschung“bei Fällen von Missbrauch. Konkret: Jeder Kleriker weltweit, jeder Ordensangehörige, der des Missbrauchs an Minderjährigen oder schutzbefohlenen Erwachsenen überführt werde, müsse aus dem Klerikerstand oder der Ordensgemeinschaft entlassen und den staatlichen Behörden gemeldet werden. Ebenso sollten jene Kirchenoberen bestraft werden, die Missbrauch vertuschen.
Die drei Arbeitstage stehen unter den Themen Verantwortung, Rechenschaft und Transparenz. Zu Beginn des Treffens wie bei den täglichen Abendgebeten werden auch Opfer von Missbrauch sprechen. Am Sonntag wird Papst Franziskus eine Rede halten.
Franziskus steht unter Druck, die Erwartungen an Konsequenz und Härte sind hoch. Er hat angesichts der Skandale eine „Null-Toleranz“Haltung gegenüber Missbrauch versprochen. Dass er seine Linie durchzieht, verdeutlichte Franziskus vor wenigen Tagen, als er den früheren Washingtoner Erzbischof Theodore McCarrick (88) aus dem Klerikerstand entließ. McCarrick wurde des sexuellen Fehlverhaltens mit Minderjährigen und Erwachsenen in Verbindung mit Machtmissbrauch für schuldig befunden, außerdem des Missbrauchs des Beichtsakraments.
Das Problem des Missbrauchs werde sich durch den Krisengipfel nicht aus der Welt schaffen lassen, dämpft der Papst die Erwartungen. Es gehe darum, Regelwerke zu verabschieden, da Bischöfe oft nicht wüssten „was sie tun sollen“, wenn sie mit Missbrauchsfällen konfrontiert seien.
Franziskus’ Vorgehen birgt hohe Risiken: Wenn nach dem Gipfel neue Skandale ans Licht kommen, würden sie nicht die Ortskirche treffen, sondern „direkt die Glaubwürdigkeit des Papstes“, analysiert der VatikanAutor Marco Politi. „Das, was nachher kommt, wird ein Bumerang sein für Franziskus.“