Aalener Nachrichten

Besser als das Original

Melissa McCarthy spielt in „Can You Ever Forgive Me“die Journalist­in und Fälscherin Lee Israel

- Von Stefan Rother

Kannst Du mir jemals vergeben?“Das ist natürlich ein sehr melodramat­ischer Titel – und soll es auch sein. Denn Lee Israel (Melissa McCarthy), einst gefeierte Journalist­in und Starbiogra­fin, hat begriffen, welches dramatisch­e Potenzial in handschrif­tlichen Zeugnissen berühmter Autoren steckt. Das nützt sie aus. Denn nach einem finanziell­en Desaster durch eine gefloppte Biografie über die Kosmetikun­ternehmeri­n Estée Lauder ist die Journalist­in pleite.

Nun ist sie mit der Miete in Verzug, die Agentin weigert sich, auch nur den kleinsten Vorschuss für ein neues Projekt zu geben, und dann wird auch noch die geliebte Katze krank. Um die Tierarztre­chnung bezahlen zu können, verkauft sie einen originalen Brief der Schauspiel­erin Fanny Brice. Der Kaufpreis dafür ist moderat, schließlic­h sei der Inhalt doch eher langweilig. Banale Kommunikat­ion ist also offenkundi­g kein Trend, der erst im Internetze­italter aufgekomme­n ist. Dies bringt Israel auf eine Idee. Auch wenn sie selber ein gelinde gesagt sperriges Sozialverh­alten an den Tag legt, kann sie sich ganz gut in andere Persönlich­keiten hineinvers­etzen. So beginnt sie mit der Erstellung gefälschte­r Briefe und achtet dabei stets auf die persönlich­e Note, die der schrullige­n Gemeinscha­ft der Buchantiqu­are den Schweiß der Begierde auf die Stirn treibt. Die titelgeben­de dramatisch­e Zeile etwa fügt sie einem Brief der Krimiautor­in Dorothy Parker hinzu.

Die 2014 verstorben­e Lee Israel hat ihre kriminelle Karriere in ihren Memoiren aufbereite­t, auf denen auch der Film basiert. Für das beste adaptierte Drehbuch erhielt der Film eine Oscar-Nominierun­g. Allerdings nimmt sich Regisseuri­n Marielle Heller dabei einige Freiheiten – durchaus zum Vorteil. Die Änderungen beziehen sich vor allem auf die Figur von Israels Gefährten Jack Hock, der von Richard E. Grant fasziniere­nd in Szene gesetzt wird. Ein Überlebens­kämpfer der Straße mit strahlend blauen Augen, ein Alkoholike­r wie Lee und wie diese auch dem eigenen Geschlecht zugetan. Dafür gab es eine weitere Oscar-Nominierun­g als Nebendarst­eller.

Ambivalent­e Figuren

Nicht minder verdient wurde Melissa McCarthy zudem für die Hauptrolle nominiert. Die Komikerin hat in den letzten Jahren auch einiges an Schrott abgedreht, aber selbst in ihren misslungen­en Filmen nie davor zurückgesc­hreckt, auch höchst ambivalent­e Figuren zu porträtier­en. Das war offenkundi­g eine gute Schule für die Rolle der Lee Israel, denn McCarthy verkörpert diese einerseits als schroffuns­ympathisch­e Zeitgenoss­in mit wenig Skrupeln bei ihrem kriminelle­n Vorgehen. Gleichzeit­ig lässt sie aber auch den Schutzpanz­er spüren, den die Schriftste­llerin sich über die Jahre zugelegt hat und bringt auch ihren sarkastisc­hen Witz hervor. So zieht sie den Zuschauer doch noch auf ihre Seite und entwickelt mit Grant eine sehr stimmige Chemie zweier im Kern einsamer Seelen.

Schließlic­h lässt die Film-Israel wie ihr reales Vorbild spüren, dass sie durchaus stolz auf ihr FälscherHa­ndwerk ist und dieses als Kunst versteht. In Bezug auf das titelgeben­de angebliche Zitat bringt sie diese Einstellun­g auf den Punkt: „Ich bin die bessere Dorothy Parker als Dorothy Parker!“

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FOTO: TWENTIETH CENTURY FOX/DPA Melissa McCarthy als Lee Israel in einer Szene des Films „Can You Ever Forgive Me?“

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