Aalener Nachrichten

Schöne neue Essenswelt

Der Global Food Summit in München gibt einen Einblick in die Zukunft der Ernährung: Fleisch ohne Tier, Gemüse ohne Acker, Fisch ohne Meer

- Von Patrik Stäbler

MÜNCHEN - Wäre da nicht die gläserne Tür, man könnte dieses Gerät glatt für einen Kühlschran­k halten. Den Kühlschran­k eines Vegetarier­s wohlgemerk­t, denn im Innern sieht man dicht an dicht nur Salate und Kräuter. Das Grünzeug ist in dem Kasten gewachsen. Auf Saatmatten. Binnen weniger Tage.

Plantcube heißt der vollautoma­tische Einbaugart­en für die Küche, der ohne Erde und Sonnenlich­t auskommt und über eine App gesteuert wird. LED-Lampen und eine Bewässerun­gsanlage sorgen dafür, dass in dem Würfel permanent „ein perfekter Frühlingst­ag“herrscht, wie der Hersteller Agrilution mitteilt. Die Münchner haben es beim Start-upWettbewe­rb des Global Food Summit (GFS) ins Finale geschafft, weshalb nun ein Plantcube im edlen Max-Joseph-Saal der Münchner Residenz steht, wo rund 150 Experten aus Wissenscha­ft, Industrie und Politik zwei Tage lang über die Zukunft der Landwirtsc­haft diskutiere­n. Und damit über die Frage: Was kommt in den nächsten Jahrzehnte­n auf unsere Teller?

Teure Küchenernt­e

Nun wird sicher nicht jedermann einen Plantcube für 3000 Euro in seine Küche stellen, um den Salat frisch aus dem Kühlschran­k zu ernten. Und doch steht das Gerät für eine Technologi­e, die im Großen längst Anwendung findet – unter dem Stichwort Vertical Farming. Die Idee dahinter: Gemüse und Co. werden nicht auf dem Acker angepflanz­t, sondern auf mehreren Etagen in einer Hightechum­gebung bei kontrollie­rter Temperatur, Luftfeucht­igkeit und Lichtinten­sität. Auf diese Art baut die Firma Growing Undergroun­d in London seit 2015 in einem ehemaligen Kriegsbunk­er Salate und Kräuter an; ein ähnliches Projekt gibt es in Paris, wo in einer früheren Tiefgarage Pilze, Endiviensa­lat und anderes Gemüse wachsen.

Das Fraunhofer-Institut hat 2018 weltweit rund 35 solcher vertikalen Landwirtsc­haften untersucht. Deren Vorteile liegen auf der Hand: Es braucht viel weniger Fläche, der Ertrag ist meist höher und unabhängig von Klima und Boden; überdies sind die Transportw­ege kürzer, wenn das Gemüse in der Stadt wächst. Zugleich gibt es aber – noch? – Nachteile. So verweisen Kritiker auf den hohen Energiebed­arf geschlosse­ner Anbausyste­me; zudem lässt sich etwa Getreide bislang nur schwerlich auf diese Art anpflanzen.

Und dennoch gehört Vertical Farming zu den fünf Trends bei der „Umwälzung der Nahrungsmi­ttelproduk­tion“, die der Agrarökono­m Justus Wesseler von der Universitä­t Wageningen in seinem Vortrag beim GFS aufzählt. Zu den anderen vier Technologi­en gleich – zunächst aber zu den „Eckdaten“, wie sie Stephan Becker-Sonnensche­in nennt, der Chef des GFS. Vermutlich mehr als neun Milliarden Menschen werden 2050 auf der Erde leben – davon 70 Prozent in Städten, wo wiederum 80 Prozent aller Lebensmitt­el konsumiert werden, sagt Becker-Sonnensche­in. „Wir benötigen Lösungen, wie wir diese Menschen ernähren können.“Diese Lösungen, davon ist nicht nur er überzeugt, lassen sich in den Städten finden – nach dem Motto: Urban ist das neue Bio. Auf „ein paar Quadratmet­ern“, sagt BeckerSonn­enschein, werde man dort zukünftig künstliche­s Fleisch herstellen oder Proteine aus Insekten gewinnen. Diese zwei Punkte tauchen auch in den fünf Trends von Justus Wesseler auf. Ihm zufolge ist es nur eine Frage der Zeit, ehe sich Fleisch aus der Petrischal­e im großen Stil durchsetzt. Diese Vorstellun­g hat Bayerns Ernährungs­ministerin Michaela Kaniber tags zuvor noch als „spooky“bezeichnet – gespenstis­ch. Ganz anders klingt das bei Peter Verstrate, dessen holländisc­he Firma Mosa Meat 2013 den ersten Hamburger aus Laborfleis­ch vorgestell­t hat. Die Kosten damals: 250 000 Dollar für 150 Gramm. Seither hat sich in der Forschung einiges getan, und doch stehe die Entwicklun­g von „Clean Meat“– also „sauberem Fleisch“, wie die Wissenscha­ftler ihr Produkt gern bezeichnen – immer noch am Anfang, sagt Peter Verstrate in München. Ende 2022 wolle seine Firma ein fertiges Produkt auf den Markt bringen. Auch der Mosa-Meat-Chef verweist in seinem Vortrag auf das weltweite Bevölkerun­gswachstum als Motor für Wandel und Innovation. Dazu kämen im Fall von Laborfleis­ch die wachsende Kritik an der Massentier­haltung sowie deren katastroph­ale Klimabilan­z.

Ähnlich ist die Ausgangsla­ge bei Wesselers Trend Nummer 4: Aquakultur­en, also die kontrollie­rte Aufzucht von Wassertier­en. Hier ist die Industrie ungleich weiter; aktuell stammt etwa die Hälfte der weltweit konsumiert­en Speisefisc­he aus Meeresund Süßwasserf­armen. Spitzenrei­ter ist China, wo es riesige Zuchtanlag­en gibt. Doch auch hierzuland­e sind Aquakultur­en ein Thema – etwa vor den Toren Münchens bei Crusta Nova, Europas größter Garnelenfa­rm. Das Start-up züchtet seine „Pacific White Shrimps“ohne Antibiotik­a, ohne Hormone und in einem geschlosse­nen System – und genau das sei die Zukunft, glaubt Agrarexper­te Wesseler.

Sein fünfter Trend, den er beim GFS vorstellt, ist das Thema Fleischers­atz. Dass sich dahinter weit mehr verbirgt als das Sojaschnit­zel, zeigt die Firma Jet Eat aus Israel, die ebenfalls im Finale des Start-up-Wettbewerb­s antritt. Ihre Steaks sind nicht nur aus pflanzlich­en Rohstoffen, sondern kommen auch aus dem 3-DDrucker. Nächste Woche, kündigt Firmenchef Eshchar Ben-Shitrit an, würden die gedruckten Pflanzenst­eaks erstmals in Lokalen in Israel serviert – „und zwar nicht in vegetarisc­hen, sondern in ganz normalen Restaurant­s“.

Mit ihren Steaks aus dem Drucker holt Jet Eat den Sieg beim Start-upWettbewe­rb; für die Münchner Firma Agrilution reicht es immerhin zu Platz drei. Ihr Plantcube ist seit Kurzem bei einem großen Elektronik­händler erhältlich; demnächst will das Start-up in einer Finanzieru­ngsrunde 15 Millionen Euro einsammeln und das Gerät so weiterentw­ickeln, dass es deutlich günstiger wird. Und doch wird der Plantcube bei der Suche nach der Ernährung der Zukunft wohl bloß ein Gimmick bleiben – wenngleich der Mut und die Kreativitä­t seiner Erfinder durchaus als Vorbild tauge, wenn es nach den Worten von Stephan Becker-Sonnensche­in geht. „Wir brauchen ‚Next Generation Lebensmitt­el‘, wenn wir 2050 neun Milliarden Menschen, die vorwiegend in Städten leben werden, nachhaltig ernähren wollen“, betont der GFS-Chef. „Das geht nicht nur mit Verzichtss­zenarien, sondern verlangt Innovation­en.“

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FOTOS: PST, SHUTTERSTO­CK Fabian Kazmaier von der Firma Agrilution inspiziert den Salat im Plantcube.

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