„Diese Geschichten zementieren die Lager eher“
Die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot über die Auswirkungen des FPÖ-Skandals auf die Europawahl
RAVENSBURG - Die Affäre um den zurückgetretenen österreichischen Vizekanzler und FPÖ-Chef HeinzChristian Strache wirft viele Fragen auf. Was bedeutet der Fall für das neue europäische Rechtsbündnis, dem auch die FPÖ angehört? Wie sollten pro-europäische Parteien reagieren? Sebastian Heinrich hat darüber mit Ulrike Guérot gesprochen. Sie ist Politikwissenschaftlerin an der DonauUniversität Krems und Autorin des kürzlich erschienenen Essays „Wie hältst Du’s mit Europa?“
Frau Guérot, Europas Rechtspopulisten inszenieren sich, von Italien über Frankreich bis Deutschland, als integre Fürsprecher des „kleinen Mannes“gegen das „korrupte System“. Wie sehr ist dieses Image nach der Strache-Affäre angeknackst?
Ich glaube, es ist nachhaltig angeknackst. Das war ja monströs, was auf diesen Aufnahmen zu hören war. Es ging um die Verscherbelung der größten Zeitung Österreichs, um den Rechtsstaat – harte, juristische Tatbestände. Das Bild des Saubermanns ist natürlich weg. Problematisch ist, was Strache nach der Veröffentlichung gemacht hat: Er hat von einer Verschwörung gesprochen – und diese Opfer-Täter-Umkehr gelingt der FPÖ ganz gut.
Glauben Sie, dass das für Europas Rechte Verluste bei der Europawahl bedeuten wird?
Ich bin mir noch nicht mal so sicher. Ich glaube nicht, dass es eine Abwanderung der Hardcore-Wähler dieser Parteien gibt. Hoffentlich wirkt es bei Unentschlossenen – die vielleicht zwischen Union und AfD schwanken. Dass also diese Menschen merken, dass es hier nicht um die Integren geht, die den Staat verteidigen – sondern um eine korrupte Bande, die den Staat nach Moskau verscherbelt. Auch die Machtgeilheit, die sich in dem Video zeigte: Straches Augen glänzten ja förmlich bei der Vorstellung, bei der Nationalratswahl statt 27 Prozent 34 Prozent zu bekommen. Ich hoffe, dass Wähler, die vielleicht Vorbehalte gegen Flüchtlinge haben, aber nicht so weit in den Abgrund blicken möchten, für die rechte Mitte mobilisiert werden können.
AfD-Chef Jörg Meuthen beteuert seit Bekanntwerden des Falls Strache, weder die AfD-Schwesterpartei FPÖ insgesamt noch die AfD selbst hätten mit diesem „singulären Fall“etwas zu tun. Wie glaubwürdig ist diese Abgrenzung?
Das weiß ich nicht. Aber Verbindungen zu Russland gibt es ja auch in anderen dieser Parteien, bei Marine Le Pens Rassemblement National in Frankreich etwa. Woher das Geld für die Deckfirmen von AfD-Fraktionschefin Alice Weidel in der Schweiz kommt, weiß man auch nicht. Es gibt aber auch ein Strukturproblem: Wir leben in Zeiten des kolossalen Vertrauensverlustes, man traut der politischen Gegenseite nicht mehr zu, dass sie grundsätzlich das Gute für das Staatswesen will, das ist der neue Bruch. Und in solchen Zeiten glaube ich, dass diese Geschichten eher die Lager zementieren. Die AfD versucht ja jetzt schon, eher über das Zustandekommen des Videos selbst zu sprechen als über den Inhalt, es als übergriffig zu bezeichnen. Und sie versucht, das Ganze als absoluten Einzelfall darzustellen. Aber das dürfte nicht funktionieren.
Welche Lehren sollten aus Ihrer Sicht die pro-europäischen Kräfte aus diesem Fall ziehen?
Eine deutlich klarere Abgrenzung gibt es schon: bei EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber, bei CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer, bei Kanzlerin Merkel. Das haben die Konservativen bei Viktor Orbán lange nicht so klar hinbekommen – das hängt ihnen auch nach. Die Monströsität dieses Vorfalls hat schlagartig klargemacht: Wer sich mit denen ins Bett legt, wird selber beschmutzt.