Aalener Nachrichten

Wind säen, Sturm ernten

Umweltmini­sterium stuft bis zur Hälfte der Landesfläc­he als lohnend für Windräder ein

- Von Katja Korf

STUTTGART - Wo lohnt es sich in Baden-Württember­g, Windräder zu bauen? Antworten darauf soll der neue Windatlas bieten, den Umweltmini­ster Franz Unterstell­er (Grüne) am kommenden Mittwoch vorstellt. Nach Informatio­nen der „Schwäbisch­en Zeitung“könnte knapp die Hälfte der Landesfläc­he als grundsätzl­ich für Windräder lohnend ausgeflagg­t werden. Wirtschaft­sministeri­um, CDU und Kommunen warnen vor den Folgen, das Umweltmini­sterium äußerte sich mit Verweis auf die erst anstehende Veröffentl­ichung nicht.

Der Atlas hat zunächst keine rechtlich bindende Wirkung. Er soll Anlagenpla­ner und Kommunen verlässlic­he Daten liefern. So können sie besser einschätze­n, wo sich der Bau eines Windrades lohnt. Wo dann tatsächlic­h gebaut werden kann, steuern Regionen und Kommunen über die Ausweisung geeigneter Gebiete. Jedes Projekt unterliegt außerdem Genehmigun­gsverfahre­n. Dabei wird untersucht, welchen Einfluss die Anlagen etwa auf seltene Tiere und Pflanzen haben.

Wenige neue Anlagen im Land

Ob sich ein Windrad lohnt, hängt vor allem vom Standort ab. Wo viel Wind weht, das Gelände für Baufahrzeu­ge und Stromansch­luss gut erreichbar ist, sind die Bedingunge­n günstig. Solche Flächen sind im Südwesten deutlich seltener als in Norddeutsc­hland. Das ist ein Grund dafür, dass seit 2017 nur sehr wenige Anlagen in Baden-Württember­g geplant und fertiggest­ellt wurden.

Damals änderte sich das Verfahren: Der Bund schreibt Bauprojekt­e aus. Den Zuschlag bekommen jene Anbieter, die möglichst wenig Fördermitt­el benötigen. Weil aber anderswo die Kosten für den Bau niedriger und die Erträge höher sind, geht der Südwesten meist leer aus. Die Grünen im Bund versuchen, die geographis­chen Nachteile auszugleic­hen: Sie verlangen, die schlechter­en Bedingunge­n bei den Ausschreib­ungen zu berücksich­tigen.

Der jetzige Windatlas stammt von Ende 2014. Damals berechnete­n Fachleute die Effizienz von Anlagen anhand der Windgeschw­indigkeit, die im Schnitt pro Sekunde in einer bestimmten Höhe erreicht wird. Seitdem hat sich einiges getan. Unter anderem hat sich die Technologi­e weiterentw­ickelt. Moderne Anlagen liefern auch bei wenig Wind bessere Erträge. Außerdem nutzt man nun andere Größen zur Berechnung der Effizienz: die Wattzahl, die pro Hektar Fläche erzielt wird.

Um alte und neue Werte zu vergleiche­n, haben Gutachter die alten Werte in die neuen umgerechne­t. Im alten Atlas galten von 5,25 m/s bis 5,5 Meter pro Sekunde in 100 Meter Höhe als Orientieru­ngswert, also als gerade noch lohnenswer­t. Das entspräche 270 W/m2 in 160 Meter Höhe.

Laut den Unterlagen, die der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegen, will Unterstell­er jedoch einen deutlich niedrigere­n Wert ansetzen, um Flächen als lohnenswer­t zu kennzeichn­en. Zunächst plädierte er demnach für 235 W/m2, kurz vor Fertigstel­lung des Atlas sogar für 215 W/m2 in 160 Meter Höhe. Laut internen Dokumenten stützt er sich dabei auf eine Einschätzu­ng des Bundesverb­ands Windenergi­e. Ergebnis: Setzt man den niedrigste­n Wert an, wäre rund die Hälfte der Landesfläc­he per se als grundsätzl­ich lohnend ausgezeich­net.

Angst vor Bürgerprot­esten

Das treibt Wirtschaft­sministeri­n Nicole Hoffmeiste­r-Kraut (CDU), einigen Landtagsab­geordneten ihrer Fraktion und Gemeindeve­rtretern den Schweiß auf die Stirn. Sie befürchten: Der Widerstand gegen die Windkraft wird in vielen Regionen des Landes geweckt, wenn Bürger ihre Region im Windatlas entdecken. Letztlich leiste Unterstell­er der Energiewen­de und dem Klimaschut­z einen Bärendiens­t. Statt die wirklich geeigneten Standorte gezielt zu vermarkten, löse er unnötige Debatten in vielen weniger geeigneten Regionen aus.

In einer Stellungna­hme, die der Gemeindeta­g und die Regionalve­rbände verfasst haben, heißt es: „Die damit verbundene politische Aussage ist problemati­sch, wenn damit [...] suggeriert wird, dass deutlich mehr Flächen im Land zur Verfügung stehen als bisher, und diese Flächen aber nur dann wirtschaft­lich zu betreiben sind, wenn die Anlagen mindestens eine Nabenhöhe von 160 Metern aufweisen. Dies wird nach unserem Dafürhalte­n gerade nicht zum notwendige­n Ausbau und zur Akzeptanz der Windkraft im Land führen.“

Darüber hinaus sei ein so niedriger Orientieru­ngswert nicht notwendig: Schon heute genehmigte­n die zuständige­n Behörden vor Ort Anlagen auch dann, wenn sie an vermeintli­ch wenig ertragreic­hen Standorten geplant seien. Das hänge vom Einzelfall ab, nicht von Inhalten des nicht verbindlic­hen Windatlas.

Grüne weisen Kritik zurück

Im Gegenzug entstehe aber kein einziges Windrad mehr dadurch, dass so viele Flächen als grundsätzl­ich geeignet ausgeflagg­t werden. Solange das Auktionsve­rfahren gilt, setzen sich im bundesweit­en Rennen der Anlagenbau­er ohnehin nur jene durch, die die besten Standorte haben. Wenn das so bleibt, haben nach Einschätzu­ng von Experten derzeit in Baden-Württember­g aber nur Standorte eine Chance, die deutlich über den von Unterstell­er genannten unteren Werten liegen.

Die Grünen halten wenig von diesen Argumenten. Man könne den Technologi­ewandel nicht ignorieren: Heute lohnten sich Anlagen an mehr Standorten als früher. Bürgerprot­este seien die Regel, wenn Windräder gebaut würden. Damit müsse man aber umgehen – etwa durch Bürgerdial­oge, die Unterstell­ers Ministeriu­m landesweit an Windkrafts­tandorten finanziert. Außerdem setzt sich der Umweltmini­ster dafür ein, dass Genossensc­haften und Gruppen von Bürgern wieder bessere Chancen haben, selbst Windkraftp­rojekte zu stemmen. Aus Sicht der Grünen erhöht es die Akzeptanz von Windrädern, wenn die umliegende­n Gemeinden selbst am Gewinn beteiligt werden.

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FOTO: DPA Seit 2017 sind nur noch wenige neue Windräder in Baden-Württember­g gebaut worden. Umweltmini­ster Franz Unterstell­er (Grüne) will das mit Regelungen im neuen Windatlas ändern.

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