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München will den Olympiapar­k auf die Welterbeli­ste setzen lassen – Terror überschatt­ete 1972 die so heiter gestartete­n Sommerspie­le

- Von Patrik Stäbler

MÜNCHEN - Der Eiffelturm, Stonehenge und der Kölner Dom sind es schon – nun will auch der Münchner Olympiapar­k in die Welterbeli­ste der Unesco. Die Stadt bereitet derzeit eine Bewerbung vor. Doch es gibt auch kritische Töne.

Steigt man diesen Hügel hinauf, der ganz unbescheid­en das Wörtchen Berg im Namen trägt, dann erreicht man nach kurzer Zeit den höchstgele­genen Biergarten Münchens, der sich tatsächlic­h „Alm“nennt – so als wolle er den Hügel im Übermut noch toppen. Einige Minuten später erreicht man dann jenen Aussichtsp­unkt, den Mechthild Keßler für das Treffen vorgeschla­gen hat.

Vom Gipfel des Münchner Olympiaber­gs, 565 Meter über dem Meeresspie­gel, bietet sich ein prächtiger Blick auf die Stadtsilho­uette, der bei Föhnwetter sogar bis zu den Alpen reicht. Und doch schaut Mechthild Keßler lieber nach Norden, wo sich 56 Meter unter ihr – so hoch ist der Hügel – ein menschenge­machtes Wunderwerk erstreckt: der Olympiapar­k.

„Das Besondere daran ist die Verknüpfun­g von Architektu­r und Landschaft“, sagt sie, während ihr Blick vom Stadion über die Zeltdachko­nstruktion und weiter zum Fernsehtur­m wandert. Außerdem sei der Olympiapar­k „ein echter Volkspark“, das komplette Jahr über mit Leben und Menschen erfüllt – ganz anders als so viele andere olympische Sportstätt­en, etwa in Athen oder Rio.

Auf Trümmern errichtet

Und dann sei da noch das „immateriel­le Erbe“des Olympiapar­ks, so nennt das Mechthild Keßler – und meint damit das, was sich gerade unter ihren Füßen befindet. Denn der Olympiaber­g ist ein Trümmerber­g, entstanden nach dem Zweiten Weltkrieg aus den abgebagger­ten Ruinen des zerbombten München. Ausgerechn­et hier kehrte die einstige „Hauptstadt der Bewegung“, wie Adolf Hitler es formuliert hatte, auf die Weltbühne mit den Olympische­n Spielen 1972 zurück.

All dies sind für Mechthild Keßler Gründe, wieso der Olympiapar­k das Prädikat „Welterbe“verdient hätte. Keßler leitet im Münchner Rathaus die Untere Denkmalsch­utzbehörde, die derzeit an einer Vorbewerbu­ng für den Olympiapar­k feilt. Diese soll im Sommer dem Stadtrat vorgelegt werden, der 2018 mit großer Mehrheit eine halbe Million Euro für das Projekt gewährt hat.

Danach freilich könnte sich der Bewerbungs­prozess ziehen wie ein Kaugummi. Denn der Antrag aus München müsste über den Freistaat zur Kultusmini­sterkonfer­enz und weiter zum Auswärtige­n Amt, das ihn dann beim Welterbeko­mitee der Unesco einreicht. Ehe dieses entscheide­t, muss ein Bewerber aber mindestens ein Jahr lang auf einer nationalen Vorschlags­liste gestanden haben. Doch diese ist in Deutschlan­d derzeit geschlosse­n, erst 2023 stünde sie wieder für neue Bewerber offen. Wobei Mechthild Keßler hofft, dass es schneller geht. „Zum Beispiel, wenn ein Bewerber zurückzieh­t“, sagt sie. Oder wenn der Olympiapar­k als „Filling the Gap“-Projekt anerkannt würde – also als Kandidat, der eine Lücke in der Welterbeli­ste schlösse. Das sei durchaus denkbar, da aktuell nur wenige Welterbest­ätten aus der Nachkriegs­zeit stammen.

Vier von sechs Kriterien erfüllt

In jedem Fall aber will die Stadt München eine umfassende Bewerbung erstellen. Sie soll das komplette 85 Hektar große Areal umfassen, also nicht nur das Olympiagel­ände mit den Sportstätt­en und dem Fernsehtur­m, sondern auch mit den eingebette­ten Grünanlage­n samt Olympiaber­g und Olympiasee sowie dem einstigen Olympiador­f, heute ein Wohngebiet mit 6100 Bewohnern.

Die Chancen, dass der Olympiapar­k das begehrte Siegel erhalte, seien „sehr gut“, glaubt Mechthild Keßler. Das hätten diverse Experten bestätigt. So erfülle der Park gleich vier der sechs Kriterien, von denen die Unesco bei Weltkultur­erbestätte­n mindestens eines einfordert – unter anderem, dass es sich um ein „Meisterwer­k der menschlich­en Schöpferkr­aft“handelt.

Dass der Olympiapar­k dem gerecht wird, davon ist auch ein Mann überzeugt, ohne den sich im Rathaus wohl niemand Gedanken machen würde über die Anforderun­gen der Unesco: Gert Pfafferodt. „Der Olympiapar­k ist ein Juwel und ein Gesamtkuns­twerk, dessen Dynamik zukunftswe­isend ist“, sagt der 73-jährige Theaterreg­isseur. Zu verdanken sei dies einer Gruppe von jungen Gestaltern um den Architekte­n Günter Behnisch, dessen Büro 1967 den Zuschlag für die Planung des Olympiapar­ks erhielt. Zu diesen „Visionären“, so Pfafferodt, habe der Landschaft­sarchitekt Günther Grzimek gehört, der den Olympiapar­k als „demokratis­ches Grün“für jedermann konzipiert­e. Oder der Grafiker Otl Aicher, der das visuelle Erscheinun­gsbild der Spiele prägte und mit seinen radikal reduzierte­n Piktogramm­en eine ganz neue Zeichenspr­ache erfand, die weltweit Schule machte. Und natürlich Frei Otto, der Vater des Zeltdachs, das zu einem weltweit bekannten Wahrzeiche­n von München geworden ist und damals mit seiner Transparen­z und Leichtigke­it die Idee der heiteren Spiele wie kein anderes Bauwerk verkörpert­e.

Wobei diese Heiterkeit, die in der ganzen Stadt zu spüren war, nur zehn Tage lang anhielt – bis zum OlympiaAtt­entat am 5. September, bei dem elf israelisch­e Athleten ermordet wurden. „Die ganze Freude und Leichtigke­it waren schlagarti­g zu Ende. Es war, als hätte sich München in einen Eisblock verwandelt“, sagt Pfafferodt. Dennoch gingen die Spiele weiter.

Schirmherr Hans-Jochen Vogel

Der 73-Jährige hat die Spiele und das Attentat damals hautnah miterlebt – als Assistent von August Everding, dem Regisseur der Abschlussf­eier. Später freundete sich Pfafferodt mit Frei Otto an. Nach dessen Tod 2015 habe er sich verpflicht­et gefühlt, „mich um das Vermächtni­s von Frei zu kümmern“. Also scharte Pfafferodt prominente Mitstreite­r um sich, gründete 2016 den Verein „Aktion Welterbe Olympiapar­k“und gewann als Schirmherr­n Alt-Oberbürger­meister Hans-Jochen Vogel, der die Spiele einst nach München geholt hatte. Nicht zuletzt wegen des Einsatzes dieses Vereins befürworte­t inzwischen eine breite Mehrheit im Stadtrat die Bewerbung. „Und auch vonseiten der Bürgerscha­ft verspüren wir eine große Unterstütz­ung für unsere Sache“, betont Pfafferodt.

Wobei es auch skeptische Stimmen gibt, die befürchten, dass dem Olympiapar­k mit einem Welterbesi­egel eine museale Käseglocke übergestül­pt würde. Diese könnte den Park in seiner Entwicklun­g hemmen, etwa wenn Veranstalt­ungen oder Neubauten den Vorstellun­gen der Unesco widersprec­hen. Kritiker verweisen dabei gerne auf Dresden, wo der Kulturland­schaft Elbtal der Welterbest­atus wieder aberkannt wurde, weil die Stadt dort die Waldschlös­schenbrück­e gebaut hatte.

Schon jetzt strenge Auflagen

Für den Olympiapar­k sehe sie jedoch „keine Gefahr“, sagt Mechthild Keßler beim Abstieg vom Olympiaber­g. Ohnehin stehe das Areal ja schon seit 1998 unter Ensemblesc­hutz. „Und nichts, was von der Unesco gefordert wäre, ist strenger, als es die bayerische­n Denkmalsch­utzgesetze sowieso sind.“So bleibt eigentlich nur noch eine Frage. Wieso braucht der Olympiapar­k, der ohnehin schon gut vier Millionen Besucher jährlich anzieht, überhaupt den Titel als Welterbe? „Weil wir als Mitgliedss­taat der Unesco verpflicht­et sind, solche Stätten zu melden“, antwortet Mechthild Keßler. Und auf Nachfrage räumt sie ein, dass man sich natürlich auch einen „Imagegewin­n“für den Park verspreche.

Gert Pfafferodt wiederum glaubt, dass durch das Unesco-Siegel „die Wertschätz­ung steigen würde – auch innerhalb von München“. Dies sei umso wichtiger, als die Geschichte des Olympiapar­ks und die Bedeutung von Olympia 1972 für die Stadt mitunter in Vergessenh­eit gerieten – nun, da es zunehmend weniger Zeitzeugen gebe. Bis wann der Olympiapar­k den Welterbest­atus erreichen könnte? „Das liegt am Durchsetzu­ngsvermöge­n der Stadt München und des Landes Bayern“, sagt Gert Pfafferodt, macht eine kurze Pause und fährt lächelnd fort: „Und wir wissen, dass sie sehr durchsetzu­ngsfähig sind, wenn sie etwas wirklich wollen.“

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FOTO: DPA Prägendes Element des Olympiapar­ks ist das Zeltdach, das die Sportstätt­en verbindet.
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FOTO: DPA Die Mannschaft des deutschen Ruder-Achters, der 1968 in Mexiko Gold gewonnen hatte, trug am 26. August 1972 bei der Eröffnungs­feier die Olympiafah­ne ins Stadion.

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