Dabei sein ist alles
München will den Olympiapark auf die Welterbeliste setzen lassen – Terror überschattete 1972 die so heiter gestarteten Sommerspiele
MÜNCHEN - Der Eiffelturm, Stonehenge und der Kölner Dom sind es schon – nun will auch der Münchner Olympiapark in die Welterbeliste der Unesco. Die Stadt bereitet derzeit eine Bewerbung vor. Doch es gibt auch kritische Töne.
Steigt man diesen Hügel hinauf, der ganz unbescheiden das Wörtchen Berg im Namen trägt, dann erreicht man nach kurzer Zeit den höchstgelegenen Biergarten Münchens, der sich tatsächlich „Alm“nennt – so als wolle er den Hügel im Übermut noch toppen. Einige Minuten später erreicht man dann jenen Aussichtspunkt, den Mechthild Keßler für das Treffen vorgeschlagen hat.
Vom Gipfel des Münchner Olympiabergs, 565 Meter über dem Meeresspiegel, bietet sich ein prächtiger Blick auf die Stadtsilhouette, der bei Föhnwetter sogar bis zu den Alpen reicht. Und doch schaut Mechthild Keßler lieber nach Norden, wo sich 56 Meter unter ihr – so hoch ist der Hügel – ein menschengemachtes Wunderwerk erstreckt: der Olympiapark.
„Das Besondere daran ist die Verknüpfung von Architektur und Landschaft“, sagt sie, während ihr Blick vom Stadion über die Zeltdachkonstruktion und weiter zum Fernsehturm wandert. Außerdem sei der Olympiapark „ein echter Volkspark“, das komplette Jahr über mit Leben und Menschen erfüllt – ganz anders als so viele andere olympische Sportstätten, etwa in Athen oder Rio.
Auf Trümmern errichtet
Und dann sei da noch das „immaterielle Erbe“des Olympiaparks, so nennt das Mechthild Keßler – und meint damit das, was sich gerade unter ihren Füßen befindet. Denn der Olympiaberg ist ein Trümmerberg, entstanden nach dem Zweiten Weltkrieg aus den abgebaggerten Ruinen des zerbombten München. Ausgerechnet hier kehrte die einstige „Hauptstadt der Bewegung“, wie Adolf Hitler es formuliert hatte, auf die Weltbühne mit den Olympischen Spielen 1972 zurück.
All dies sind für Mechthild Keßler Gründe, wieso der Olympiapark das Prädikat „Welterbe“verdient hätte. Keßler leitet im Münchner Rathaus die Untere Denkmalschutzbehörde, die derzeit an einer Vorbewerbung für den Olympiapark feilt. Diese soll im Sommer dem Stadtrat vorgelegt werden, der 2018 mit großer Mehrheit eine halbe Million Euro für das Projekt gewährt hat.
Danach freilich könnte sich der Bewerbungsprozess ziehen wie ein Kaugummi. Denn der Antrag aus München müsste über den Freistaat zur Kultusministerkonferenz und weiter zum Auswärtigen Amt, das ihn dann beim Welterbekomitee der Unesco einreicht. Ehe dieses entscheidet, muss ein Bewerber aber mindestens ein Jahr lang auf einer nationalen Vorschlagsliste gestanden haben. Doch diese ist in Deutschland derzeit geschlossen, erst 2023 stünde sie wieder für neue Bewerber offen. Wobei Mechthild Keßler hofft, dass es schneller geht. „Zum Beispiel, wenn ein Bewerber zurückzieht“, sagt sie. Oder wenn der Olympiapark als „Filling the Gap“-Projekt anerkannt würde – also als Kandidat, der eine Lücke in der Welterbeliste schlösse. Das sei durchaus denkbar, da aktuell nur wenige Welterbestätten aus der Nachkriegszeit stammen.
Vier von sechs Kriterien erfüllt
In jedem Fall aber will die Stadt München eine umfassende Bewerbung erstellen. Sie soll das komplette 85 Hektar große Areal umfassen, also nicht nur das Olympiagelände mit den Sportstätten und dem Fernsehturm, sondern auch mit den eingebetteten Grünanlagen samt Olympiaberg und Olympiasee sowie dem einstigen Olympiadorf, heute ein Wohngebiet mit 6100 Bewohnern.
Die Chancen, dass der Olympiapark das begehrte Siegel erhalte, seien „sehr gut“, glaubt Mechthild Keßler. Das hätten diverse Experten bestätigt. So erfülle der Park gleich vier der sechs Kriterien, von denen die Unesco bei Weltkulturerbestätten mindestens eines einfordert – unter anderem, dass es sich um ein „Meisterwerk der menschlichen Schöpferkraft“handelt.
Dass der Olympiapark dem gerecht wird, davon ist auch ein Mann überzeugt, ohne den sich im Rathaus wohl niemand Gedanken machen würde über die Anforderungen der Unesco: Gert Pfafferodt. „Der Olympiapark ist ein Juwel und ein Gesamtkunstwerk, dessen Dynamik zukunftsweisend ist“, sagt der 73-jährige Theaterregisseur. Zu verdanken sei dies einer Gruppe von jungen Gestaltern um den Architekten Günter Behnisch, dessen Büro 1967 den Zuschlag für die Planung des Olympiaparks erhielt. Zu diesen „Visionären“, so Pfafferodt, habe der Landschaftsarchitekt Günther Grzimek gehört, der den Olympiapark als „demokratisches Grün“für jedermann konzipierte. Oder der Grafiker Otl Aicher, der das visuelle Erscheinungsbild der Spiele prägte und mit seinen radikal reduzierten Piktogrammen eine ganz neue Zeichensprache erfand, die weltweit Schule machte. Und natürlich Frei Otto, der Vater des Zeltdachs, das zu einem weltweit bekannten Wahrzeichen von München geworden ist und damals mit seiner Transparenz und Leichtigkeit die Idee der heiteren Spiele wie kein anderes Bauwerk verkörperte.
Wobei diese Heiterkeit, die in der ganzen Stadt zu spüren war, nur zehn Tage lang anhielt – bis zum OlympiaAttentat am 5. September, bei dem elf israelische Athleten ermordet wurden. „Die ganze Freude und Leichtigkeit waren schlagartig zu Ende. Es war, als hätte sich München in einen Eisblock verwandelt“, sagt Pfafferodt. Dennoch gingen die Spiele weiter.
Schirmherr Hans-Jochen Vogel
Der 73-Jährige hat die Spiele und das Attentat damals hautnah miterlebt – als Assistent von August Everding, dem Regisseur der Abschlussfeier. Später freundete sich Pfafferodt mit Frei Otto an. Nach dessen Tod 2015 habe er sich verpflichtet gefühlt, „mich um das Vermächtnis von Frei zu kümmern“. Also scharte Pfafferodt prominente Mitstreiter um sich, gründete 2016 den Verein „Aktion Welterbe Olympiapark“und gewann als Schirmherrn Alt-Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel, der die Spiele einst nach München geholt hatte. Nicht zuletzt wegen des Einsatzes dieses Vereins befürwortet inzwischen eine breite Mehrheit im Stadtrat die Bewerbung. „Und auch vonseiten der Bürgerschaft verspüren wir eine große Unterstützung für unsere Sache“, betont Pfafferodt.
Wobei es auch skeptische Stimmen gibt, die befürchten, dass dem Olympiapark mit einem Welterbesiegel eine museale Käseglocke übergestülpt würde. Diese könnte den Park in seiner Entwicklung hemmen, etwa wenn Veranstaltungen oder Neubauten den Vorstellungen der Unesco widersprechen. Kritiker verweisen dabei gerne auf Dresden, wo der Kulturlandschaft Elbtal der Welterbestatus wieder aberkannt wurde, weil die Stadt dort die Waldschlösschenbrücke gebaut hatte.
Schon jetzt strenge Auflagen
Für den Olympiapark sehe sie jedoch „keine Gefahr“, sagt Mechthild Keßler beim Abstieg vom Olympiaberg. Ohnehin stehe das Areal ja schon seit 1998 unter Ensembleschutz. „Und nichts, was von der Unesco gefordert wäre, ist strenger, als es die bayerischen Denkmalschutzgesetze sowieso sind.“So bleibt eigentlich nur noch eine Frage. Wieso braucht der Olympiapark, der ohnehin schon gut vier Millionen Besucher jährlich anzieht, überhaupt den Titel als Welterbe? „Weil wir als Mitgliedsstaat der Unesco verpflichtet sind, solche Stätten zu melden“, antwortet Mechthild Keßler. Und auf Nachfrage räumt sie ein, dass man sich natürlich auch einen „Imagegewinn“für den Park verspreche.
Gert Pfafferodt wiederum glaubt, dass durch das Unesco-Siegel „die Wertschätzung steigen würde – auch innerhalb von München“. Dies sei umso wichtiger, als die Geschichte des Olympiaparks und die Bedeutung von Olympia 1972 für die Stadt mitunter in Vergessenheit gerieten – nun, da es zunehmend weniger Zeitzeugen gebe. Bis wann der Olympiapark den Welterbestatus erreichen könnte? „Das liegt am Durchsetzungsvermögen der Stadt München und des Landes Bayern“, sagt Gert Pfafferodt, macht eine kurze Pause und fährt lächelnd fort: „Und wir wissen, dass sie sehr durchsetzungsfähig sind, wenn sie etwas wirklich wollen.“