Aalener Nachrichten

Geplante Justizrefo­rm in Rumänien dient vor allem korrupten Politikern

In dem südosteuro­päischen Land wird am Tag der Europawahl auch über Pläne abgestimmt, die Macht der Justiz zu beschneide­n

- Von Thomas Wagner

TEMESWAR - Kommenden Sonntag stehen in Rumänien gleich zwei wichtige Abstimmung­en an: Neben der Wahl zum europäisch­en Parlament haben die rund 17 Millionen wahlberech­tigten Rumäninnen und Rumänen in einer Volksabsti­mmung über eine umstritten­e Justizrefo­rm zu entscheide­n – die korrupten Politiker Straferlei­chterungen in Aussicht stellt. Die Volksabsti­mmung gegen die Reform hat der rumäniende­utsche Staatspräs­ident Klaus Iohannis auf den Weg gebracht. Er stellt sich damit offen gegen die Koalitions­regierung aus den Parteien PSD (Sozialdemo­kraten) und ALDE (Liberale). Für die Zukunft des Präsidente­n hängt einiges ab vom Ausgang der Volksabsti­mmung.

Ovidiu Gant, Parlaments­abgeordnet­er der rumäniende­utschen Minderheit, erklärt, warum er die Justizrefo­rm für problemati­sch hält. „Zum Beispiel hat man alles getan, um vorbestraf­ten Politikern zu helfen, indem Verjährung­sfristen verkürzt wurden bei verschiede­nen Straftaten und Strafen geringer ausfallen“, sagt Gant, der im Abgeordnet­enhaus dagegen gestimmt hat. Im Klartext: Der Korruption überführte Politiker haben im Zuge der umstritten­en Justizrefo­rm die Aussicht auf geringere Strafen – oder sogar, wenn die Delikte weit genug zurücklieg­en, auf eine Amnestie. Zudem soll die Beweisführ­ung bei Korruption­s-verdachtsf­ällen erschwert werden.

Nicht nur der Staatspräs­ident, die Opposition im Parlament und weite Teile der Zivilgesel­lschaft lehnen dies ab. Auch von den europäisch­en Institutio­nen hagelt es Kritik: Die Justizrefo­rm mit ihren Straferlei­chterungen sei mit dem europäisch­en Rechtsstaa­tsgedanken nicht zu vereinbare­n, hieß es beispielsw­eise von der Venedig-Kommission der EU. Kommission­svize Frans Timmermans ging einen Schritt weiter: Er drohte der rumänische­n Regierungs chefin Viorica Dancila Anfang Mai mit der Einleitung eines Vertragsve­rletzungsv­erfahrens gegen Rumänien, sollte die umstritten­e Justizrefo­rm nicht doch noch in letzter Minute zurückgeno­mmen werden.

Doch die Mitglieder der sozialdemo­kratischen Regierungs­partei PSD denken nicht daran, von der Justizrefo­rm abzulassen. Stattdesse­n teilt PSD-Parteipräs­ident Liviu Dragnea, gleichzeit­ig Präsident des Abgeordnet­enhauses, heftig Richtung Europa aus – und das mitten im EuropaWahl­kampf. Man lasse sich „von denen in Brüssel“nicht vorschreib­en, wie man Politik zu machen habe, giftete er unlängst auf einer Wahlkampfv­eranstaltu­ng im ostrumänis­chen Iasi. Und: Justiz und Staatspräs­ident hätten sich zu einer Art „Parallelst­aat“ gegen die Regierung verschwore­n. Dabei ist Dragnea derjenige, der von der geplanten Justizrefo­rm als Erstes profitiere­n würde: Im April 2016 wurde er zu zwei Jahren Haft auf Bewährung wegen Wahlbetrug­s verurteilt. Im vergangene­n Jahr kam ein Urteil wegen Anstiftung zum Amtsmissbr­auch zu drei Jahren Haft hinzu. Letzteres ist aber noch nicht rechtskräf­tig. Die umstritten­e Justizrefo­rm könnte Dragnea vor dem Gefängnis bewahren.

Spaltung zwischen Land und Stadt

Gerade auf dem flachen Land verfangen Dragneas Verschwöru­ngstheorie­n. Ion Borduz ist Bürgermeis­ter der rumänische­n 2000-Einwohner-Gemeinde Farliug, nicht allzu weit von der Grenze zu Serbien entfernt. Der stämmig wirkende Bürgermeis­ter, Anfang 60, gilt als einer, der zupacken kann, ist beliebt bei seinen Bürgern. Er gehört der PSD an – also jener Partei, die die umstritten­e Justizrefo­rm auf den Weg gebracht hat. Die heftige Kritik daran hält Borduz für fehl am Platz. Niemand wolle den Rechtsstaa­t abschaffen. „Aber ich habe ein Problem mit den Institutio­nen der Korruption­sbekämpfun­g: Die werden seit Längerem politisch instrument­alisiert – und zwar gegen uns.“Von Staatspräs­ident Klaus Iohannis, der sich offen gegen die Regierung stellt, sei er enttäuscht: „Der benimmt sich eher wie ein Parteipräs­ident denn als Staatspräs­ident.“

Iohannis dagegen bekommt vor allem Rückhalt von den jüngeren Erwachsene­n in den urbanen Regionen. Andrej Plujar, Ende 20, hat es in kürzester Zeit zum Vorsitzend­en des westrumäni­schen Kreisverba­ndes Caras – Severin der noch jungen Partei „Union Salvai Romania“(„Union zur Rettung Rumäniens“) gebracht. „Unser Hauptprobl­em in Rumänien: die Korruption!“beklagt sich der junge Parteifunk­tionär. Da seien nun mal viel zu viele Strafverfa­hren gegen Politiker anhängig. „Und das einzige Interesse der Regierungs­politiker, die diese Justizrefo­rm vorantreib­en, besteht darin, sich selbst vor dem Knast zu bewahren.“

Doch selbst wenn sich die Mehrheit der Rumäninnen und Rumänen am Sonntag gegen die Justizrefo­rm ausspreche­n sollte, wäre damit nicht sichergest­ellt, dass die Regierung von ihrem Vorhaben ablässt. Einen rechtsverb­indlichen Charakter hat das Referendum nämlich nicht. Staatspräs­ident Iohannis hofft daher auf eine möglichst hohe Wahlbeteil­igung, um entspreche­nd großen politische­n Druck zur Rücknahme des umstritten­en Reformvorh­abens aufzubauen. Bei einem Besuch in Temeswar lässt er seine Zuhörer am Ende wissen: „Seien sie froh, dass sie unter mehreren Alternativ­en auswählen können. Vor der rumänische­n Revolution, im CeausescuK­ommunismus, war das anders. Und wissen Sie, was die dümmste Alternativ­e ist? Nicht zur Abstimmung zu gehen.“

 ?? FOTO: AFP ?? Zweifach verurteilt: Liviu Dragnea, dem Vorsitzend­en der rumänische­n Sozialdemo­kraten, würde die Justizrefo­rm zugute kommen. Er wettert seit langem gegen die Justiz – und Staatspräs­ident Iohannis.
FOTO: AFP Zweifach verurteilt: Liviu Dragnea, dem Vorsitzend­en der rumänische­n Sozialdemo­kraten, würde die Justizrefo­rm zugute kommen. Er wettert seit langem gegen die Justiz – und Staatspräs­ident Iohannis.

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