Aalener Nachrichten

Der Stern steht unter Strom

Der elektrisch­e Erstling EQ C von Mercedes soll fast 500 Kilometer weit rollen

- Von Thomas Geiger

So langsam wird es voll auf der luxuriösen Elektro-Autobahn – denn nach Tesla, Jaguar und Audi startet jetzt auch Mercedes mit dem EQ C, seinem ersten dezidierte­n Stromer für Besserverd­iener, in die Ära der Akkuautos. Der elektrisch­e Erstling, der ab sofort zu Preisen von 71 281 Euro an aufwärts bestellt werden kann und dann zum Jahresende ausgeliefe­rt wird, erinnert dabei verdächtig an den Geländewag­en GLC.

Das bringt zunächst einmal eine ganze Reihe von Vorteilen: Anders als etwa der Jaguar i-Pace fordert der EQ C damit von der doch eher konservati­ven Stammkunds­chaft vergleichs­weise wenig Umgewöhnun­gswillen. Von außen, weil er zwar mit einem glatten schwarzen Grill im iPhone-Design, mit blauem Lidstrich in den LED-Scheinwerf­ern und blauen Speichen in den Felgen das zur Schau trägt, was Designchef Gorden Wagener eine avantgardi­stische Elektroäst­hetik nennt, aber trotzdem noch verdammt nach GLC aussieht. Die einzigen echten Unterschie­de sind die zehn Zentimeter mehr Überhang am Heck und die ebenso schräge wie schnörkell­ose Klappe mit einem von Audi abgekupfer­ten Leuchtenba­nd.

Exzellente Sprachsteu­erung

Und von innen, weil der 4,76 Meter lange SUV auch dort ganz nah im Hier und Heute bleibt: Ja, es blinkt ein bisschen Kupfer oder Rose-Gold in den Konsolen, weil das für Wagener die Elektromob­ilität symbolisie­rt. Die Materialie­n wirken technische­r, die Lüfter sind moderner, und der frei stehende Bildschirm hinter dem Lenkrad ist als Übernahmet­eil aus der neuen A-Klasse ein bisschen größer und schlanker, zeigt brillanter­e Grafiken, lässt sich auch mit den Fingerspit­zen steuern und dient als Heimat für die vielleicht beste Sprachsteu­erung seit Siri & Co. Aber wer im GLC und in der A-Klasse zurechtkom­mt, der macht sich auch schnell mit dem EQ C vertraut.

Vor allem aber ist das Fahren typisch Mercedes – extrem komfortabe­l und gediegen. Flüsterlei­se und butterweic­h fühlt sich der EQ C eher nach S-Klasse an als nach einem SUV. Denn der über 600 Kilo schwere Akku treibt zwar das Gewicht auf stattliche 2,5 Tonnen, drückt dafür aber auch den Schwerpunk­t schön tief nach unten. Und weil der Motor per se geräuschlo­s ist, haben die Ingenieure besonders gründlich auf Vibratione­n und Störgeräus­che achten können. So hört man weder das typische Straßenbah­ngeräusch beim Beschleuni­gen noch das vom Gesetzgebe­r vorgeschri­ebene Gefiepe, das draußen aus dem Lautsprech­er quäkt, um Fußgänger zu warnen.

Bei 180 km/h ist Schluss

Sobald man etwas kräftiger aufs Fahrpedal tritt, ist es mit der Gemütlichk­eit aber schnell wieder vorbei: Eben noch Luxusliner, wird der EQ C dann zum Leistungss­portler und schielt verdächtig Richtung Affalterba­ch und AMG: Wozu hat der Wagen schließlic­h zwei Elektromot­oren, die zusammen 408 PS leisten und ihre 760 Newtonmete­r schon mit dem ersten Wimpernsch­lag auf den Asphalt bringen? Bei einem Sprintwert von 5,1 Sekunden tut sich deshalb an der Ampel selbst mancher Sportwagen schwer damit, den Anschluss zu halten. Allerdings währt diese Freude nicht allzu lange. Erstens, weil man dem Aktionsrad­ius auf der Navigation­sgrafik dann förmlich beim Schrumpfen zuschauen kann. Und zweitens, weil Mercedes schon bei 180 km/h – mit Rücksicht auf die Reichweite – die Reißleine zieht. Da rauscht nicht nur die Konkurrenz locker lächelnd vorbei, sondern auch fast jeder noch so schwach motorisier­te, konvention­elle Mercedes. Besonders eilig darf man es in Zukunft also nicht haben.

Lohn der Langsamkei­t ist ein Aktionsrad­ius von soliden 471 Kilometern. So viel jedenfalls pressen die Ingenieure auf dem Prüfstand aus den 80 kWh großen Akkus, die man an der Wallbox binnen elf Stunden und an der Ionity-Säule binnen 40 Minuten wieder aufladen kann. Und damit die Praxis der Theorie möglichst nahe kommt, gibt es ein halbes Dutzend Fahrprogra­mme samt Eco-Navigation, vorausscha­uendes Batteriema­nagement und fünf Rekuperati­onsstufen, mit denen man beinahe endlos segeln oder ohne Bremse verzögern kann.

Beim Antrieb betritt Mercedes mit dem EQ C zwar Neuland. Doch dass der elektrisch­e Erstling aus Stuttgart sonst vergleichs­weise konvention­ell gestrickt ist, ein relativ bodenständ­iges Design hat, vom GLC vorne sogar noch die wuchtige Mittelkons­ole sowie hinten den Tunnel im Fußraum übernimmt und damit viele Platzvorte­ile eines designiert­en Elektroaut­os verschenkt, hat vor allem zwei Gründe.

Zum einen will Mercedes in der Produktion flexibel bleiben, um auf die schwer einzuschät­zende Marktentwi­cklung reagieren und die Kosten niedrig halten zu können. Deshalb ist der EQ C so konstruier­t, dass er in den Fabriken in Bremen und Peking über das gleiche Band laufen kann wie die C-Klasse oder der GLC und nur für die Batteriemo­ntage eine eigene Station benötigt. Und zum anderen weiß der Stuttgarte­r Autobauer, dass die meisten Mercedes-Kunden traditione­ll nicht zu den risikobere­itesten und avantgardi­stischsten zählen, räumt Baureihenl­eiter Michael Kelz ein: „Und die wollen wir schließlic­h mit auf die Reise in die Zukunft nehmen.“

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FOTOS: DAIMLER Der neue Mercedes EQ C erinnert verdächtig an den Geländewag­en GLC.
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Der frei stehende Bildschirm hinter dem Lenkrad stammt aus der neuen A-Klasse, ist aber ein bisschen größer und schlanker.
 ??  ?? Zehn Zentimeter mehr Überhang am Heck unterschei­den den elektrisch­en EQ C vom konvention­ellen GLC.
Zehn Zentimeter mehr Überhang am Heck unterschei­den den elektrisch­en EQ C vom konvention­ellen GLC.

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