Der Stern steht unter Strom
Der elektrische Erstling EQ C von Mercedes soll fast 500 Kilometer weit rollen
So langsam wird es voll auf der luxuriösen Elektro-Autobahn – denn nach Tesla, Jaguar und Audi startet jetzt auch Mercedes mit dem EQ C, seinem ersten dezidierten Stromer für Besserverdiener, in die Ära der Akkuautos. Der elektrische Erstling, der ab sofort zu Preisen von 71 281 Euro an aufwärts bestellt werden kann und dann zum Jahresende ausgeliefert wird, erinnert dabei verdächtig an den Geländewagen GLC.
Das bringt zunächst einmal eine ganze Reihe von Vorteilen: Anders als etwa der Jaguar i-Pace fordert der EQ C damit von der doch eher konservativen Stammkundschaft vergleichsweise wenig Umgewöhnungswillen. Von außen, weil er zwar mit einem glatten schwarzen Grill im iPhone-Design, mit blauem Lidstrich in den LED-Scheinwerfern und blauen Speichen in den Felgen das zur Schau trägt, was Designchef Gorden Wagener eine avantgardistische Elektroästhetik nennt, aber trotzdem noch verdammt nach GLC aussieht. Die einzigen echten Unterschiede sind die zehn Zentimeter mehr Überhang am Heck und die ebenso schräge wie schnörkellose Klappe mit einem von Audi abgekupferten Leuchtenband.
Exzellente Sprachsteuerung
Und von innen, weil der 4,76 Meter lange SUV auch dort ganz nah im Hier und Heute bleibt: Ja, es blinkt ein bisschen Kupfer oder Rose-Gold in den Konsolen, weil das für Wagener die Elektromobilität symbolisiert. Die Materialien wirken technischer, die Lüfter sind moderner, und der frei stehende Bildschirm hinter dem Lenkrad ist als Übernahmeteil aus der neuen A-Klasse ein bisschen größer und schlanker, zeigt brillantere Grafiken, lässt sich auch mit den Fingerspitzen steuern und dient als Heimat für die vielleicht beste Sprachsteuerung seit Siri & Co. Aber wer im GLC und in der A-Klasse zurechtkommt, der macht sich auch schnell mit dem EQ C vertraut.
Vor allem aber ist das Fahren typisch Mercedes – extrem komfortabel und gediegen. Flüsterleise und butterweich fühlt sich der EQ C eher nach S-Klasse an als nach einem SUV. Denn der über 600 Kilo schwere Akku treibt zwar das Gewicht auf stattliche 2,5 Tonnen, drückt dafür aber auch den Schwerpunkt schön tief nach unten. Und weil der Motor per se geräuschlos ist, haben die Ingenieure besonders gründlich auf Vibrationen und Störgeräusche achten können. So hört man weder das typische Straßenbahngeräusch beim Beschleunigen noch das vom Gesetzgeber vorgeschriebene Gefiepe, das draußen aus dem Lautsprecher quäkt, um Fußgänger zu warnen.
Bei 180 km/h ist Schluss
Sobald man etwas kräftiger aufs Fahrpedal tritt, ist es mit der Gemütlichkeit aber schnell wieder vorbei: Eben noch Luxusliner, wird der EQ C dann zum Leistungssportler und schielt verdächtig Richtung Affalterbach und AMG: Wozu hat der Wagen schließlich zwei Elektromotoren, die zusammen 408 PS leisten und ihre 760 Newtonmeter schon mit dem ersten Wimpernschlag auf den Asphalt bringen? Bei einem Sprintwert von 5,1 Sekunden tut sich deshalb an der Ampel selbst mancher Sportwagen schwer damit, den Anschluss zu halten. Allerdings währt diese Freude nicht allzu lange. Erstens, weil man dem Aktionsradius auf der Navigationsgrafik dann förmlich beim Schrumpfen zuschauen kann. Und zweitens, weil Mercedes schon bei 180 km/h – mit Rücksicht auf die Reichweite – die Reißleine zieht. Da rauscht nicht nur die Konkurrenz locker lächelnd vorbei, sondern auch fast jeder noch so schwach motorisierte, konventionelle Mercedes. Besonders eilig darf man es in Zukunft also nicht haben.
Lohn der Langsamkeit ist ein Aktionsradius von soliden 471 Kilometern. So viel jedenfalls pressen die Ingenieure auf dem Prüfstand aus den 80 kWh großen Akkus, die man an der Wallbox binnen elf Stunden und an der Ionity-Säule binnen 40 Minuten wieder aufladen kann. Und damit die Praxis der Theorie möglichst nahe kommt, gibt es ein halbes Dutzend Fahrprogramme samt Eco-Navigation, vorausschauendes Batteriemanagement und fünf Rekuperationsstufen, mit denen man beinahe endlos segeln oder ohne Bremse verzögern kann.
Beim Antrieb betritt Mercedes mit dem EQ C zwar Neuland. Doch dass der elektrische Erstling aus Stuttgart sonst vergleichsweise konventionell gestrickt ist, ein relativ bodenständiges Design hat, vom GLC vorne sogar noch die wuchtige Mittelkonsole sowie hinten den Tunnel im Fußraum übernimmt und damit viele Platzvorteile eines designierten Elektroautos verschenkt, hat vor allem zwei Gründe.
Zum einen will Mercedes in der Produktion flexibel bleiben, um auf die schwer einzuschätzende Marktentwicklung reagieren und die Kosten niedrig halten zu können. Deshalb ist der EQ C so konstruiert, dass er in den Fabriken in Bremen und Peking über das gleiche Band laufen kann wie die C-Klasse oder der GLC und nur für die Batteriemontage eine eigene Station benötigt. Und zum anderen weiß der Stuttgarter Autobauer, dass die meisten Mercedes-Kunden traditionell nicht zu den risikobereitesten und avantgardistischsten zählen, räumt Baureihenleiter Michael Kelz ein: „Und die wollen wir schließlich mit auf die Reise in die Zukunft nehmen.“